FIFA-Präsident Gianni Infantino (l.) und DFB-Präsident Bernd Neuendorf
analyse

WM-Vergabe 2030 und 2034 WM in Saudi-Arabien - kein Widerspruch vom DFB

Stand: 25.11.2024 13:05 Uhr

Am 11. Dezember wird die Fußball-WM 2030 an sechs Länder und die WM 2034 nach Saudi-Arabien vergeben. Alles andere als ein "Ja" des DFB dazu wäre eine Überraschung.

Die FIFA hat den Kongress, die Versammlung der 211 Nationalverbände, für den 11. Dezember um 15 Uhr angesetzt. Der Kongress findet digital in einer Video-Konferenz statt, die beiden Weltmeisterschaften 2030 und 2034 werden per Mausklick vergeben. Der Ausgang der Vergabe steht praktisch fest:

  • WM 2030: Spanien, Portugal und Marokko mit Eröffnungsspielen in Uruguay, Paraguay und Argentinien
  • WM 2034: Saudi-Arabien

Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben angesichts der Lage in Saudi-Arabien immer wieder erklärt, warum sie die Vergabe des Turniers an dieses Land für eine schlechte Idee halten. DFB-Präsident Bernd Neuendorf versprach im Oktober 2023 eine Positionierung zu der Bewerbung. Der DFB werde die Bewerbung "auf Menschenrechte prüfen", hieß es damals.

Mehr als ein Jahr später und rund zwei Wochen vor der Vergabe des Turniers hat der DFB noch nicht erklärt, wie seine Prüfung ausgegangen ist und wie er abstimmen wird. Auf eine Anfrage der Sportschau zum Abstimmungsverhalten des DFB und zum Ergebnis jener Prüfung teilte der Verband mit: "Eine finale Entscheidung darüber, wie sich der DFB positioniert, ist noch nicht erfolgt."

Unter den weltweit 211 Mitgliedsverbänden der FIFA gibt es kaum Widerspruch gegen die Wünsche des FIFA-Präsidenten Gianni Infantino. Auch nicht beim DFB. Die Zustimmung zur WM in Saudi-Arabien durch den Deutschen Fußball-Bund, der bei der WM 2022 in Katar mit mehreren anderen europäischen Verbänden die "One Love"-Kapitänsbinde im Angesicht "sportlicher Sanktionen" abstreifte, ist mittlerweile erwartbar. Mit Belgien, den Niederlanden und Dänemark haben sich bereits einige andere Verbände aus der "One Love"-Gruppe von 2022 mehr oder weniger klar für Saudi-Arabien als WM-Gastgeber ausgesprochen.

Die "One Love"-Kapitänsbinde am Arm von Manuel Neuer

Die "One Love"-Kapitänsbinde am Arm von Manuel Neuer

FIFA-Rat mit Bernd Neuendorf ebnete Saudi-Arabien den Weg

Dass die Vergabe in der Funktionärswelt nicht infrage gestellt wird, hat mehrere Gründe. Der FIFA-Rat, in dem DFB-Präsident Bernd Neuendorf Mitglied ist und dafür jährlich 250.000 US-Dollar erhält, hatte in dem Prozess mehrere Maßnahmen ergriffen, die Saudi-Arabien den Weg zur WM-Ausrichtung ebneten. Diese Beschlüsse erfolgten allesamt einstimmig, also unter Bejahung aller europäischen Mitglieder inklusive des DFB-Präsidenten.

  • Im Oktober 2023 beschloss der FIFA-Rat einstimmig, die Bewerbung aus Spanien, Portugal und Marokko mit der aus Uruguay, Paraguay und Argentinien zu einer Bewerbung für 2030 zu kombinieren. Die beteiligten Kontinente Europa, Afrika und Südamerika sollten für 2034 allesamt nicht mehr infrage kommen, auch Nordamerika wegen der WM 2026 nicht. Damit blieben nur Asien und Ozeanien übrig. Während aus Ozeanien mit seinen Inselstaaten kaum ein Land infrage kommt, hatte sich in Asien die große Mehrheit längst hinter Saudi-Arabien versammelt. Die Konsequenz: Es konnte praktisch keine Gegenkandidatur geben.
  • Ein Teil der Reformen nach dem großen FIFA-Skandal 2015 sah vor, dass maximal ein Turnier bei einem FIFA-Kongress vergeben werden darf. So sollte Wettbewerb zwischen Bewerbern sichergestellt und Deals vermieden werden. Doch diese Reform wurde zurückgedreht. Der FIFA-Rat beschloss einstimmig, dem Kongress im Mai 2024 mehrere Statutenänderungen zur Abstimmung vorzulegen, die eine Doppelvergabe wieder ermöglichen. Der Kongress nahm die Änderungen an. Die Konsequenz: Die Doppelvergabe der Turniere 2030 und 2034 wurde angesetzt.
  • Der FIFA-Rat ging noch weiter und beschloss wiederum einstimmig: Bei der Vergabe im Dezember sollen die Verbände nur eine Stimme für beide Turniere im Paket haben. Die Konsequenz: Durch die Blockwahl wäre eine Gegenstimme für Saudi-Arabien 2034 auch eine gegen Spanien oder Portugal, was europäische Verbände vermeiden werden.

Die Frage, warum Neuendorf im FIFA-Rat der Blockwahl zugestimmt hat, obwohl dadurch eine getrennte Bewertung der beiden Bewerbungen in der Abstimmung nicht mehr möglich ist, beantwortete der DFB nicht.

Bernd Neuendorf 2023 - "FIFA? Es muss Debatten geben können"

Sportschau, 22.11.2024 17:03 Uhr

Im März 2023 hatte Neuendorf dem FIFA-Präsidenten bei dessen Wiederwahl noch offiziell die Gefolgschaft verweigert. "Wir brauchen Veränderungen in der FIFA", sagte Neuendorf damals in der Sportschau kurz vor seiner Wahl in den FIFA-Rat. Er sei zu Kompromissen und zur Zusammenarbeit bereit, aber: "Wir brauchen mehr Transparenz und müssen Diskussionen zulassen. Es dürfen auch Fragen gestellt werden und es muss Debatten geben können. Dafür stehe ich." Die Realität ist eine andere: Infantinos Wünsche werden durchgewinkt, auch von allen neun europäischen Mitgliedern des FIFA-Rats, die einer gemeinsamen UEFA-Linie folgen.

FIFA-Präsident Gianni Infantino

FIFA-Präsident Gianni Infantino

Europas Mitglieder im FIFA-Rat
Name Land/Funktion
Aleksander Ceferin UEFA-Präsident
Sandor Csanyi Ungarn
Debbie Hewitt England
Bernd Neuendorf Deutschland
Dejan Savicevic Montenegro
Fernando Gomes Portugal
Evelina Christillin Italien
Giorgos Koumas Zypern
Razvan Burleanu Rumänien

Ex-Governance-Chef der FIFA: "Kenne keine Demokratie, in der immer einstimmig abgestimmt wird"

Der portugiesische Jurist Miguel Maduro, der früher für einige Monate in der FIFA als "Head of Governance" die Führungskultur des Verbands überwachte, kritisiert das Vorgehen des Weltverbands. "Die FIFA wird behaupten, dass die Vergabe eine demokratische Entscheidung im Kongress war", sagt Maduro im Gespräch mit der Sportschau. "Aber wir wissen, dass in vielen politischen Regimen die Existenz einer Abstimmung nicht bedeutet, dass dieser Moment wirklich demokratisch ist."

Die FIFA behauptet, sich an demokratische Prinzipien zu halten, die in den Regeln stehen - in der Praxis jedoch nicht gelten."
Miguel Maduro, Ex-Governance-Chef der FIFA

Es habe viele einstimmige Beschlüsse, aber keine echte Debatte gegeben, betont Maduro. Dass alle mit allem einverstanden sind, sei nicht glaubwürdig. "Ich kenne keine Demokratie, in der immer einstimmig abgestimmt wird, in der es keinen Machtkampf gibt, in der der Amtsinhaber immer gewinnt, in der niemand anderer Meinung ist", sagt Maduro. "Man muss daraus schließen, dass dies nur ein weiterer Beweis dafür ist, in welchem ​​Ausmaß die FIFA ein System absoluter Macht und Kontrolle sowie Abstimmungssyndikate betreibt. Gleichzeitig behauptet sie, sich an demokratische Prinzipien zu halten, die in den Regeln stehen - in der Praxis jedoch nicht gelten." Die Präsidenten der nationalen Fußballverbände wüssten, dass sie "loyal" sein müssen, sagt Maduro. "Sie müssen akzeptieren, was der FIFA-Präsident ihnen sagt, weil sie oder ihr Verband sonst politisch abgestraft werden. Davor fürchten sie sich."

Maduro - "Die Existenz einer Abstimmung bedeutet nicht, dass sie demokratisch ist"

Sportschau, 22.11.2024 15:03 Uhr

Abstimmung über die WM-Vergabe per Akklamation?

Und der letzte Schritt könnte besonders harmonisch dargestellt werden: Einige Funktionäre gaben an, dass die Abstimmung über die beiden Turniere in der Video-Konferenz am 11. Dezember per Akklamation durchgeführt werden könnte. Akklamation ist ein zustimmender Beifall, der eine konkrete Abstimmung ersetzt. In der offiziellen Tagesordnung zum Kongress steht "Bestimmung der Gastgeber", nicht aber "Wahl" oder "Abstimmung" - so wie es beispielsweise bei der Vergabe der WM der Frauen 2027 der Fall war.

Ein FIFA-Ratsmitglied sagte gegenüber der Sportschau, dass er selbst von der FIFA keine Information über das Prozedere erhalten habe, angesichts der Wortwahl in der Tagesordnung aber von einer Akklamation ausgehe. Auch der Generalsekretär des niederländischen Verbands, Gijs de Jong, sprach in der Zeitung "Volkskrant" davon, dass eine Vergabe der beiden Turniere per Akklamation vorgesehen sei. Die FIFA verwies in einer Antwort auf die Frage der Sportschau nach der möglichen Akklamation auf einen Text auf ihren Internetseiten, der diese Frage jedoch offen lässt.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf

DFB-Präsident Bernd Neuendorf

Enge Beziehungen zwischen FIFA und Saudi-Arabien

Die geschäftliche Verbindung zwischen der FIFA und Saudi-Arabien wurde zuletzt immer enger. FIFA-Präsident Gianni Infantino besuchte Saudi-Arabiens Machthaber Kronprinz Mohammed bin Salman mehrfach in Riad.

Gianni Infantino neben Kronprinz Mohammed bin Salman (r.) und Sportminister Prinz Abdul Aziz bin Turki Al-Faisal

Der saudische Sportminister Prinz Abdul Aziz bin Turki Al-Faisal (v.l.n.r.), Gianni Infantino und Kronprinz Mohammed bin Salman.

Der saudi-arabische Ölkonzern Aramco wurde im April Großsponsor der FIFA, die Zusammenarbeit läuft nach FIFA-Angaben zunächst bis 2027. Über die Höhe der Zahlungen von Aramco machte die FIFA keine Angaben. Mit einem Börsenwert von umgerechnet rund zwei Billionen Euro ist Aramco eines der wertvollsten Unternehmen der Welt. Die FIFA sucht derzeit Sponsoren für die neue Klub-WM 2025.

Menschenrechtsorganisationen fordern Stopp der Vergabe

Die beiden Menschenrechtsorganisationen Sport & Rights Alliance und Amnesty International forderten die FIFA auf, die Vergabe der WM 2034 nach Saudi-Arabien zu stoppen. "Saudi-Arabien hat die geforderten Risikobewertungen nicht gründlich durchgeführt, wie es die Menschenrechtskriterien im Rahmen des FIFA-Verfahrens vorschreiben", sagt Direktorin Andrea Florence von der Sport & Rights Alliance im Gespräch mit der Sportschau.

Elf Stadien und zehntausende Hotelzimmer sollen neu gebaut werden. Vier Stadien werden modernisiert. Viele Arbeiter aus dem Ausland werden dafür gebraucht. "Und in diesem Punkt müssen wir dringend unsere Lehren aus Katar ziehen", sagt Florence. "Die Welt hat damals gesehen, dass die Stadien auf dem Tod von Gastarbeitern gebaut wurden. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich das in Saudi-Arabien wiederholt. Es gibt bereits jetzt Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den Rechten von Gastarbeitern in Saudi-Arabien." Mit Blick auf den DFB und die anderen FIFA-Mitglieder sagt sie: "Wenn die Verbände eine WM vergeben, ohne dass die erforderliche gründliche Menschenrechts-Prüfung durchgeführt wurde, sind die Verbände auch für Verstöße mitverantwortlich."

Saudi-Arabien reichte bei der FIFA eine "unabhängige Einschätzung" ein, auch in Bezug auf Menschenrechte. Durchgeführt wurde sie durch eine in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad sitzende Anwaltskanzlei. Mehrere Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Dokument als unzureichend und fehlerhaft.

Vor der WM 2022 warb der DFB mit T-Shirts für Menschenrechte.

Vor der WM 2022 warb der DFB mit T-Shirts für Menschenrechte.

Menschenrechte sind Teil der Vergabeanforderungen - aber nur in Bezug auf das Turnier

Kronprinz Mohammed bin Salman herrscht in Saudi-Arabien in einer absoluten Monarchie. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Saudi-Arabien Platz 166 von 180, noch hinter Somalia, Aserbaidschan oder Russland und sehr weit hinter Katar. Es gibt keine Meinungs- oder Versammlungsfreiheit. Unfaire Gerichtsverfahren führen Menschenrechtsorganisationen zufolge zu Todesurteilen - auch gegen Personen, die bei der vermeintlichen Tat noch minderjährig waren.

Frauen haben stark eingeschränkte Rechte, homosexuelle Handlungen stehen unter Strafe. Der regierungskritische saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi wurde 2018 in Istanbul von einem Killerkommando ermordet und mit einer Knochensäge in Stücke zerteilt. Eine Untersuchung der Vereinten Nationen und Berichte des US-Geheimdienstes CIA deuten auf eine Anordnung des Mordes durch Kronprinz bin Salman hin.

Jamal Khashoggi auf einem Gedenkplakat (Archivfoto: Oktober 2018)

Jamal Khashoggi auf einem Gedenkplakat

Die FIFA schreibt in ihren Bewerbungsregeln für die WM 2034, dass die beteiligten Regierungen dazu aufgefordert seien, "sich zur Achtung, zum Schutz und zur Wahrung der Menschenrechte im Zusammenhang mit der Ausrichtung des Turniers zu verpflichten". Das gelte auch für das Thema Arbeitsrechte. Das gilt jedoch nur im Zusammenhang mit der WM, die generelle Lage der Menschenrechte in einem Ausrichterland ist kein Kriterium für die Vergabe.

Auf Anfrage der Sportschau, wie sie zu den verschiedenen Einschätzungen und Forderungen der Menschenrechtsorganisationen steht, teilte die FIFA mit: "Die FIFA führt umfassende Bewerbungsverfahren für die FIFA-Weltmeisterschaft 2030 und 2034 ein." Eine abschließende Bewertung sei noch nicht verfügbar. "Die Berichte zur Bewerbungsbewertung für die FIFA-Weltmeisterschaften 2030 und 2034 werden vor dem außerordentlichen FIFA-Kongress am 11. Dezember 2024 veröffentlicht."