Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman Al Saud und FIFA-Präsident Gianni Infantino
analyse

Quasi-Vergabe der WM 2030 Der Gewinner heißt Saudi-Arabien

Stand: 05.10.2023 13:28 Uhr

Bei der Vergabe der WM 2030 wurden alle möglichen Kontrahenten beschenkt, um Saudi-Arabien den Weg zum Turnier 2034 freizumachen. Gianni Infantino regiert als Präsident des Fußball-Weltverbandes FIFA durch, sein Geschachere darf ruhig jeder durchblicken.

Am Nachmittag des 2. Dezember 2010 zog Joseph S. Blatter in Zürich ein weißes Blatt Papier aus einem Umschlag. Die Worte, die der damalige Präsident der FIFA dabei sagte, sind legendär. Dem einleitenden "And the winner is" folgte eine künstlerische Pause, dann ein hartes "Qatar".

Das kleine und so reiche Emirat vom Persischen Golf hatte die Wahl gewonnen. Die Umstände waren traditionell dubios, und es liegt nahe, dass viel Geld geflossen war. Kurz vor dem besagten Kongress waren sechs Männer aus dem Exekutivkomitee des Weltverbandes suspendiert worden, weil Medien ihnen nachgewiesen hatten, ihre Stimme zum Kauf angeboten zu haben.

Faktisch aber gab es in Zürich eine Wahl, sogar unter vielen Kandidaten. Im ersten Gang schied Australien mit nur einer Stimme aus, dann Japan, dann Südkorea. Es blieben die USA und Katar übrig. Das Resultat lautete letztlich 14:8, und auch wenn im Vorfeld sehr viel gedealt und vermutlich gezahlt worden war, lag eine erhebliche Spannung in der Luft, als Blatter "Qatar" aus dem Umschlag zog.

Zauberei aus dem Hut

Solche Momente hat Gianni Infantino dem Fußball genommen. Der Nachfolger von Blatter, ebenfalls aus der Schweiz, zauberte am Mittwoch (04.10.2023) nichts aus dem Umschlag, sondern aus dem Hut. Nur Menschen im innersten Zirkel der FIFA dürften gewusst haben, dass zu Beginn des Herbstes 2023 die Weltmeisterschaften der Jahre 2030 und 2034 vergeben werden.

Formell, so steht es in der Mitteilung der FIFA, wird auf einem Kongress 2024 beschlossen, dass die WM 2030 hauptsächlich in Spanien, Portugal und Marokko ausgetragen wird, aber eben auch in Uruguay, Argentinien und Paraguay. Formell sind in der Mitteilung Verbände aus Asien und Ozeanien eingeladen, sich um die WM 2034 zu bewerben.

Das passierte dann auch schon kurze Zeit später. Saudi-Arabien meldete die Bewerbung an. Die asiatische Konföderation sicherte ein bisschen später die Unterstützung zu.

Infantinos Meisterwerk

"And the winner is Saudi Arabia" ist die Botschaft des Mittwochs. Es ist ein Meisterwerk von Infantino, dem inzwischen völlig egal zu sein scheint, dass seine Deals für jeden zu durchschauen sind.

Das Eröffnungsspiel der WM 2030 in Uruguay wird als Bonbon an die Romantiker verpackt, weil die erste Weltmeisterschaft 1930 ebenfalls dort ausgetragen wurde. Argentinien bekommt auch ein Spiel, weil es a) der Endspielgegner des ersten Weltmeisters Uruguay 1930 war, b) eine große Fußballnation ist, c) aktueller Weltmeister ist. Paraguay mag auf den ersten Blick ein bisschen erstaunen, auf den zweiten wird klar, dass hiermit der südamerikanische Kontinentalverband CONMEBOL beschenkt wird, der in Paraguays Hauptstadt Asunción residiert.

Der Rest des amerikanischen Kontinents ist ja mit der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko schon bedient, blieben noch Europa und Afrika. Spanien, Portugal und Marokko heißt die Lösung, die addiert zu Südamerika und 2026 ergibt, dass 2034 nach den Bestimmungen der FIFA nur Asien und/oder Ozeanien zum Zug kommen können. Da Australien 2005 in die asiatische Könföderation AFC wechselte, scheidet Ozeanien quasi aus, denn in dem dortigen Kontinentalverband sind überwiegend die Vertretungen kleiner Inselstaaten vertreten. Dazu kommt Neuseeland, Co-Gastgeber der Frauen-WM 2023, aber ohne jegliche Ambitionen, sich für ein großes Männerturnier zu bewerben.

Niedliches Bemühen der Australier

Nahezu niedlich liest sich ein Statement des australischen Verbandes, eine Bewerbung zu prüfen. Angesichts des Kontrahenten Saudi-Arabien, der am Mittwoch gleich ein Hochglanzvideo in die Welt sandte, um sich als Gastgeber 2034 zu positionieren.

An eine nun quasi verabschiedete Lösung von einer Weltmeisterschaft 2030 auf drei Kontinenten hatte Saudi-Arabien auch gedacht. Eine gemeinsame Bewerbung mit Ägypten und Griechenland war im Gespräch. Der Zuschlag hätte besser zur "Saudi Vision 2030" gepasst, einem von der Herrscherfamilie entwickelten Programm, mit dem das Königreich in ein Zeitalter gleiten will, in dem viel weniger und irgendwann mal gar kein Geld mehr mit fossilen Brennstoffen verdient werden kann.

Seit vielen Jahren gehört auch der Sport zu dem Programm, das einen Staat auf Hochglanz trimmt, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten werden, in dem es weder eine Meinungs- noch eine Pressefreiheit gibt. Kronprinz Mohammed bin Salman ist de facto der Herrscher in dem riesigen Land am Persischen Golf.

Brutaler Herrscher salonfähig

Menschenrechtsorganisationen weisen in regelmäßigen Abständen darauf hin, dass er mit brutaler Härte gegen Kritiker vorgeht. Einer der Kritiker hieß Jamal Khashoggi. Der Journalist wurde 2018 ermordet, als Auftraggeber gilt Mohammed bin Salman. Der Kronprinz weist das von sich.

Selbst dokumentierte Fälle von Willkürjustiz, die zu Hinrichtungen sogar von Jugendlichen führt, haben nicht zu einer Ächtung Mohammed bin Salmans geführt. Bei der WM in Katar saß Infantino neben dem Herrscher und sah zu, wie Saudi-Arabien gegen Argentinien gewann.

Die sportlichen Verhältnisse wurden später zurechtgerückt. Argentinien wurde Weltmeister, Saudi-Arabien schied trotzdem nach der Vorrunde aus. Sportpolitisch sind die Verhältnisse so, dass Argentinien einen trockenen Nostalgiekeks bekommt, Saudi-Arabien eine fette Sahnetorte.

Widerstand? Welcher Widerstand?

Widerstand ist von entscheidender Stelle kaum zu erwarten. Das Geschachere hat fast alle satt gemacht. Der Entscheid, die WM 2030 in sechs Ländern auszutragen, der Saudi-Arabien den Weg freimachte, fiel im Council "einstimmig", wie die FIFA mitteilte. Auch Bernd Neuendorf, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), stimmte bei der digitalen Sitzung zu.

Von ihm war nach dem Turnier in Katar zu hören, dass die Vergabe künftiger Weltmeisterschaften auch an Faktoren wie Einhaltung der Menschenrechte geknüpft werden müsse. Daran wird sich Neuendorf messen lassen müssen. Letztlich hätten aber auch ein paar kritische Deutsche, Briten und Australier keinen entscheidenden Einfluss mehr auf die Pläne eines Schweizers.