Arbeiter auf einer Bausstelle eines Stadions der WM 2022 in Katar (2019)

WM-Vergabe 2034 an Saudi Arabien "Wir fordern, das Verfahren einzustellen"

Stand: 29.11.2024 08:24 Uhr

Andrea Florence ist Direktorin der Menschenrechtsorganisation Sport and Rights Alliance. Im Interview mit der Sportschau spricht sie die Risiken an, die die bevorstehende Vergabe der WM 2034 durch die FIFA an Saudi-Arabien mit sich bringt. Sie befürchtet eine Wiederholung der Menschenrechtsverletzungen, die im Rahmen der WM-Vorbereitungen in Katar festgestellt wurden - und sieht auch den DFB in der Mitverantwortung. Florence fordert einen Stopp der Vergabe.

Sportschau: Sie haben gemeinsam mit Amnesty International die Menschenrechtsstrategien der WM-Bewerbungen für 2030 und 2034 analysiert und fordern nun von der FIFA, den Prozess für die Vergabe der WM 2034 an Saudi-Arabien zu stoppen. Warum?

Florence: Die Kriterien der FIFA beim Vergabeverfahren bedeuten, dass die Menschenrechte bei der Auswahl des Gastgebers berücksichtigt werden müssen. Der erste Fehler bestand darin, dass die FIFA das Verfahren fortsetzte, obwohl es nur eine Bewerbung gab. Eigentlich braucht es mindestens drei, um sie vergleichen zu können und tatsächlich einen Gewinner zu haben, der die Voraussetzungen einhält. Mit nur einer Bewerbung verliert man jeglichen Einfluss und die Entscheidungsgewalt über die Vergabe oder ihre Ablehnung. Wir fordern, das gesamte Verfahren einzustellen, da Saudi-Arabien die Risikobewertungen nicht gründlich durchgeführt hat, wie es die Menschenrechtskriterien im Rahmen des FIFA-Verfahrens vorschreiben.

Andrea Florence, geschäftsführende Direktorin der Menschenrechtsorganisation Sports and Rights Alliance

Andrea Florence, geschäftsführende Direktorin der Menschenrechtsorganisation Sports and Rights Alliance

Sportschau: Welche Kriterien werden aus ihrer Sicht nicht eingehalten?

Florence: Die Bewerbungsunterlagen Saudi-Arabiens enthalten sehr ehrgeizige Pläne zum Neubau von elf Stadien und 185.000 Hotelzimmern sowie zu großen Infrastrukturprojekten. Um diese Ambitionen zu verwirklichen, wird eine hohe Zahl an Gastarbeitern benötigt. In den Dokumenten gibt es jedoch keine Verpflichtungen zur Reform des ausbeuterischen Kafala-Systems des Landes, zur Einführung eines Mindestlohns für ausländische Staatsbürger, zur Erlaubnis, Gewerkschaften beizutreten oder für Maßnahmen um Todesfälle von Arbeitern zu verhindern. Auch die schwere Unterdrückung der freien Meinungsäußerung oder den Inhaftierungen von Personen, die sie sich für Menschenrechte oder den Schutz der Rechte von LGBTI-Menschen und Frauen ausgesprochen haben, werden nicht angesprochen. Zwangsräumungen, die Diskriminierung von Frauen, die Kriminalisierung außerehelicher und gleichgeschlechtlicher Beziehungen - alles kein Thema.

Die FIFA muss aus der Vergangenheit lernen und sicherstellen, dass die WM nicht auf den Leichen von Gastarbeitern aufgebaut wird.
Andrea Florence, Direktorin Sport and Rights Alliance

Sportschau: Welche Parallelen sehen sie zur WM in Katar?

Florence: Es gibt bereits jetzt Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den Rechten von Gastarbeitern in Saudi-Arabien. Und in diesem Punkt müssen wir dringend unsere Lehren aus Katar ziehen. Die Welt hat gesehen, dass die Stadien auf dem Tod von Gastarbeitern gebaut wurden. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich das in Saudi-Arabien wiederholt. Die FIFA muss aus der Vergangenheit lernen und sicherstellen, dass die WM nicht auf den Leichen von Gastarbeitern aufgebaut wird. Dasselbe gilt für Saudi-Arabien in Bezug auf die Rechte von Frauen und LGBTI-Menschen. Es geht nicht nur um Fans, die das Land zur WM besuchen. Sondern auch um die Rechte der Menschen, die derzeit in Gefahr sind und in Saudi-Arabien kriminalisiert werden. Wenn es Saudi-Arabien mit seinen Menschenrechtsverpflichtungen wirklich ernst wäre, würde das Land die entsprechenden Reformen durchführen, bevor es die WM bekommt.

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Benjamin Best, Robert Kempe, Jochen Leufgens, Katar - WM der Schande (Staffel 1), 07.10.2022 11:15 Uhr

Sportschau: Was erwarten sie von Mitgliedsverbänden der FIFA wie beispielsweise dem DFB?

Florence: Wir fordern die Mitgliedsverbände der FIFA auf, das Verfahren auszusetzen, nicht zur Abstimmung zu stellen, da die Kriterien nicht erfüllt sind. Wir hoffen, dass die Verbände unseren Bericht lesen und zu demselben Schluss kommen. Wenn die Verbände eine WM vergeben, ohne dass die erforderliche gründliche Menschenrechts-Prüfung durchgeführt wurde, sind die Verbände auch für Verstöße mitverantwortlich. Wir hoffen, dass die Mitgliedsverbände ihre Verantwortung wahrnehmen.

Sportschau: Wie hat die FIFA auf den Bericht reagiert?

Florence: Wir haben den Bericht sowohl der FIFA-Administration als auch dem FIFA-Unterausschuss für Menschenrechte vorgelegt. Niemand hat auf unsere Briefe geantwortet. Wir würden sehr gerne mit ihnen in Kontakt treten, unsere Analyse teilen und mitteilen, welche nächsten Schritte sie unserer Meinung nach unternehmen sollten. Aber sie haben sich nicht gemeldet.

FIFA-Präsident Gianni Infantino

FIFA-Präsident Gianni Infantino

Sportschau: Manche Funktionäre argumentieren damit, dass der Sport eine Kraft für Veränderungen sein kann. Wenn sie die jüngsten großen Sportveranstaltungen in China, Katar und Russland gesehen sehen - kann der Sport etwas zum Besseren verändern?

Florence: Wir sind fest davon überzeugt, dass Sport ein mächtiges Instrument sein kann, um Menschenrechte zu stärken und die Menschenrechte und die soziale Entwicklung weltweit voranzutreiben. Dafür gibt es auch gute Beispiele: Eine brasilianische Schwimmerin war Opfer von Missbrauch im Sport. Aufgrund ihres Engagements wurde die Gesetzgebung in Brasilien geändert, sodass Opfer von Missbrauch viel mehr Zeit haben, das zu melden. Die Verjährungsfristen wurden aufgehoben. Bei der Fußball-EM in Deutschland konnten Mitarbeiter, Fans, Spieler oder Medien sich über eine Beschwerdestelle melden, die sofort reagieren musste. Das hat ein sicheres Stadionerlebnis gefördert.

Der Schlüssel zu einer Veranstaltung, die nicht nur die Menschenrechte respektiert, sondern auch ein Erbe hinterlässt, liegt darin, mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenzuarbeiten. Das ist einer unserer großen Kritikpunkte an Saudi-Arabien. Keine der uns bekannten Menschenrechtsorganisationen wurde bei der Risikobewertung gefragt. Und das ist eine entscheidende Säule. Man muss die Organisationen vor Ort fragen, die direkten Zugang zu den Menschen haben, deren Rechte gefährdet sind. Wenn man diese Organisationen nicht fragt, welche Risiken es gibt, dann kann man sie auch nicht verhindern. Deshalb glauben wir, dass Saudi-Arabien noch nicht bereit ist.

Vertrauen in die FIFA? Menschenrechte sind keine Frage des Vertrauens. Sie sind eine rechtliche Vorgabe.
Andrea Florence, Direktorin Sport and Rights Alliance

Sportschau: Haben Sie Vertrauen in die FIFA oder in deren Präsidenten Gianni Infantino, dass der Prozess so verändert wird, um Saudi-Arabien in die Lage zu bringen, die von Ihnen genannten Anforderungen zu erfüllen?

Florence: Das ist keine Frage des Vertrauens. Menschenrechte sind eine rechtliche Vorgabe, an die sich Unternehmen wie die FIFA, das Internationale Olympische Komitee und die UEFA halten müssen. Man sollte sich nicht auf Vertrauen verlassen. Es ist eine Vorgabe. Und ich möchte auch die Verantwortung der Schweiz als Hauptregierung, die all diese Sportverbände beherbergt, hervorheben. Die Schweiz hat auch die Verantwortung, sicherzustellen, dass die Sportverbände auf ihrem eigenen Territorium die Menschenrechte respektieren, wenn sie solche großen Sportereignisse organisieren. Die Schweiz kann also eine Rolle spielen, um zu vermeiden, mit schweren und vermeidbaren Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht zu werden.