FIFA-Präsident bei der Akklamation zur WM-Vergabe 2030 und 2034
analyse

WM 2030 in sechs Ländern FIFA vergibt WM 2034 offiziell nach Saudi-Arabien

Stand: 11.12.2024 17:24 Uhr

Die FIFA hat die WM 2030 an sechs Länder und die WM 2034 nach Saudi-Arabien vergeben. Die Entscheidung führt den Fußball in eine große Abhängigkeit von saudi-arabischem Geld. Den Preis dafür werden andere bezahlen.

Die bisher vielleicht wichtigste Entscheidung im Weltfußball in diesem Jahrhundert wurde ohne eine echte Abstimmung getroffen. Im FIFA-Kongress, der in einer Videokonferenz stattfand, wurde schlicht geklatscht. Das im Alltag eher selten gebrauchte Wort Akklamation ist Fußballfans dank Verbänden wie der FIFA seit Jahren ein Begriff.

Die Delegierten der Verbände applaudierten fast alle auf Kommando des FIFA-Präsidenten in ihre Webcams, für den DFB tat dies Generalsekretärin Heike Ullrich. Präsident Bernd Neuendorf war als Ratsmitglied ebenfalls zugeschaltet und klatschte. Damit waren zwei milliardenschwere WM-Turniere vergeben. Ohne Gegenkandidaten, ohne Wettbewerb, ohne Diskussion und ohne Transparenz wurden die Entscheidungen getroffen, die seit Monaten feststanden:

  • WM 2030: Spanien, Portugal und Marokko mit Eröffnungsspielen in Uruguay, Paraguay und Argentinien zur 100-Jahr-Feier der ersten WM 1930, die damals in Uruguay stattfand
  • WM 2034: Saudi-Arabien

Norwegen erwirkt kritische Notiz im Protokoll

"Wir sind uns natürlich der Kritik und der Angst bewusst", sagte FIFA-Präsident Gianni Infantino anschließend. "Aber ich vertraue unseren Gastgebern voll und ganz, dass sie alle offenen Punkte angehen werden und Turniere abliefern, die die Erwartungen der Welt erfüllen", sagte Infantino. "Wir werden eine WM abliefern, die niemand vergessen wird", versprach Saudi-Arabiens Verbandspräsident Yasser al-Misehal.

Saudi-Arabien wird Gastgeber der Fußball-WM 2034

Philipp Sohmer, Sportschau

"Die FIFA und die Nationalverbände, die dafür gestimmt haben, können niemals behaupten, dass sie sich der Schwere der Risiken nicht bewusst waren", teilte eine Gruppe mehrerer Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Fanbündnisse unmittelbar nach der WM-Vergabe an Saudi-Arabien mit. Sie befürchten eine Ausbeutung von Arbeitern, wie sie sich im Rahmen der WM-Vorbereitung für Katar 2022 ereignet hat. Mehrere Menschenrechtsorganisationen hatten vergeblich einen Stopp der Vergabe gefordert.

Bauarbeiter schaufeln Erde in Doha, Katar

Bauarbeiter schaufeln Erde in Doha, Katar

Infantino musste seinen Generalsekretär Mattias Grafström Teile eines Briefs des norwegischen Verbands verlesen lassen, der sich auf das Vergabeverfahren bezog. Norwegens Verbandspräsidentin Lise Klaveness hatte der FIFA geschrieben, dass ihr Verband Bedenken zu dem Prozess habe, es spreche gegen die Reformen, die die FIFA nach den Skandalen 2016 beschlossen hatte. Norwegens Verband beantragte, dies im Protokoll festzuhalten. Grafström kündigte eine schriftliche Antwort an. Klaveness hatte angekündigt, nicht mitzuklatschen. Es waren die einzigen Widerworte.

Norwegens Verbandspräsidentin Lise Klaveness

Norwegens Verbandspräsidentin Lise Klaveness

FIFA-Rat mit DFB-Chef Neuendorf leitet Ende vieler FIFA-Reformen ein

Das Vergabeverfahren, das Norwegen kritisierte, hatte der FIFA-Rat, in dem DFB-Präsident Bernd Neuendorf als Mitglied 250.000 US-Dollar pro Jahr erhält, auf den Weg gebracht. Im Oktober 2023 wurden in einem ersten Schritt die Bewerbungen für 2030 aus Südamerika auf der einen sowie Europa und Afrika auf der anderen Seite zu einer verknüpft und diese drei Kontinente dann genau wie Nordamerika wegen der WM 2026 für die Vergabe der WM 2034 ausgeschlossen. Eine WM in sechs Ländern auf drei Kontinenten - damit war der Weg freigeräumt für Saudi-Arabien, ohne Konkurrenz.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf (l.), FIFA-Präsident Gianni Infantino

DFB-Präsident Bernd Neuendorf (l.), FIFA-Präsident Gianni Infantino

Der FIFA-Rat brachte im Mai 2024 als weitere Maßnahme Statutenänderungen auf den Weg, die dem FIFA-Präsidenten nun auch offiziell eine enorme Machtfülle geben, die er eigentlich nicht mehr haben sollte. Die FIFA bezeichnete die Änderungen als nötig, Experten sehen dagegen eine Abkehr von den Reformen aus dem Jahr 2016. Die Statutenänderungen ermöglichen wieder Doppelvergaben, wie nun bei den Turnieren 2030 und 2034.

Diese waren aus gutem Grund durch die Reformen verboten worden. 2010 gingen zwei Turniere nach Russland und Katar. Die Verhaftungen von Funktionären, die Ermittlungsergebnisse und die Nachwirkungen jener Vergabe führten zu den Reformen 2016. Die Maßnahmen konnten nie eine Wirkung entfalten und sind in entscheidenden Teilen schon wieder Geschichte.

Opposition in der FIFA ist aussichtslos - hätte aber einen Sinn

Präsident Bernd Neuendorf hatte zuvor angekündigt, dass er beide Bewerbungen unterstütze. Und er hätte auch für Saudi-Arabien gestimmt, wenn es keine Blockwahl mit nur einer Stimme im Paket für beide Turniere gegeben hätte, betonte Neuendorf. Die Beschlüsse des FIFA-Rats waren einstimmig, Neuendorf sagte zu allen Vorgängen und zur Abkehr von den Reformen "ja".

Der WM-Pokal der FIFA

Der WM-Pokal der FIFA

Bei einem Medientermin sprach Neuendorf von einer drohenden Isolierung des DFB, wenn dieser sich auflehne. Er wolle Einfluss nehmen auf eine Verbesserung der Lage in Saudi-Arabien. "Warum Opposition spielen, die völlig zum Scheitern verurteilt wäre?", fragte Neuendorf. In einer Demokratie hat eine Opposition einen Sinn und eine Funktion. In der Demokratie der FIFA, bei der seit Jahren fast immer einstimmig oder per Akklamation abgestimmt wird, ist die Opposition seit einiger Zeit aber meist auf Norwegens Verbandschefin Klaveness beschränkt.

Bernd Neuendorf - "Wir werden diese beiden Bewerbungen unterstützen"

Sportschau, 06.12.2024 15:26 Uhr

Was folgt: Ein Zeitalter der finanziellen Abhängigkeit von Saudi-Arabien

Saudi-Arabien übernimmt strategische Elemente von Katar. Die staatseigene Erdölfördergesellschaft Aramco, die als riesiger Emittent von klimaschädlichen Treibhausgasen den PR-Kampagnen von Fußballverbänden zum Klimaschutz entgegensteht, ist Hauptsponsor der FIFA geworden. Derzeit bahnt sich ein Einstieg des saudi-arabischen Staatsfonds beim Streamingdienst "DAZN" an. "DAZN" hat die Medienrechte für die Klub-WM der FIFA zum Preis von rund einer Milliarde Euro gekauft und soll die Spiele gratis anbieten.

Der Schriftzug der saudi-arabischen Erdölfördergesellschaft Aramco

Der Schriftzug der saudi-arabischen Erdölfördergesellschaft Aramco

Über Sponsoring und TV-Geld hat Katar Abhängigkeiten bei Verbänden und Klubs geschaffen und immer mehr Fürsprecher im europäischen Fußball gefunden. Mit Nasser Al-Khelaifi konnte der Chef des katarischen Sportsenders "beIN Sports" zum wichtigsten Funktionär der Klub-Vereinigung ECA aufsteigen. Keine relevante Entscheidung in Europas Fußball geht an ihm vorbei.

Auch Saudi-Arabien will geopolitische Ziele erreichen und noch besseren Zugang zu Entscheidungsträgern weltweit bekommen. Das Land will offenbar mit noch größeren Summen den Fußball nach katarischem Vorbild an die Nadel legen. Das Turnier muss wegen der klimatischen Bedingungen wahrscheinlich im Januar stattfinden, im proppevollen Fußballkalender wird das ein Kraftakt. Widerspruch sucht man trotzdem auch bei Klubs, Ligen und Spielern weitgehend vergeblich. Sie alle wissen, dass sie mittelfristig noch von dem Geld profitieren werden, das Gianni Infantino besorgt hat, die Diskussionen leid sind sie seit Katar sowieso. Den Preis dafür werden wohl andere bezahlen.

Menschenrechtsorganisationen: "Diese Entscheidung wird viele Leben gefährden"

Die FIFA stellte Saudi-Arabien in einem Prüfbericht zur Bewerbung ein "mittleres Risiko" bei den Menschenrechten aus. Der Weltverband beruft sich dabei auch auf eine Bewertung, die Saudi-Arabien im Zuge der Bewerbung bei einer Anwaltskanzlei aus Riad selbst in Auftrag gegeben hatte. Menschenrechtsorganisationen nennen das Dokument fehlerhaft und unzureichend.

"Diese Entscheidung wird viele Leben gefährden", sagte demnach Steve Cockburn von Amnesty International. Gemeint sind die zahlreichen benötigten Arbeiter, die nach Saudi-Arabien kommen werden. Elf Stadien und fast 200.000 Hotelzimmer sollen neu gebaut werden. Vier Stadien werden modernisiert. "In jeder Phase dieses Bewerbungsverfahrens hat die FIFA gezeigt, dass ihr Engagement für die Menschenrechte vorgetäuscht ist", sagte Cockburn.

Kein Kriterium für die WM-Vergabe ist die allgemeine Lage der Menschenrechte abseits der Turniervorbereitungen. Kronprinz Mohammed bin Salman herrscht in Saudi-Arabien in einer absoluten Monarchie. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Saudi-Arabien Platz 166 von 180. In diesem Jahr wurden in dem Land nach einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP mehr als 300 Menschen hingerichtet, nur China und Iran stehen in dieser Statistik weiter oben. Auch für Saudi-Arabien ist es ein Höchstwert seit mehr als drei Jahrzehnten. Menschenrechtsorganisationen kritisieren eine teils willkürliche Verhängung der Todesstrafe.

Epsiode 1 - Die Vergabe

Benjamin Best, Robert Kempe, Jochen Leufgens, Katar - WM der Schande (Staffel 1), 07.10.2022 11:00 Uhr

Episode 2 - Die Toten

Benjamin Best, Robert Kempe, Jochen Leufgens, Katar - WM der Schande (Staffel 1), 07.10.2022 11:15 Uhr

Episode 3 - Der Plan

Benjamin Best, Robert Kempe, Jochen Leufgens, Katar - WM der Schande (Staffel 1), 07.10.2022 11:30 Uhr

Episode 4 - Der Schein

Benjamin Best, Robert Kempe, Jochen Leufgens, Katar - WM der Schande (Staffel 1), 07.10.2022 11:45 Uhr

Episode 5 - Ein Jahr danach

Benjamin Best, Robert Kempe, Katar - WM der Schande (Staffel 1), 30.10.2023 21:00 Uhr