Ex-Governance-Chef der FIFA "Alles wurde für Saudi-Arabien getan, es ist schockierend"
Miguel Maduro (57) war von 2016 bis 2017 Chef des Governance-Komitees der FIFA, er wachte über korrektes Verhalten im Verband, bis er nach zehn Monaten entlassen wurde. Mit dem Prozess der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2030 und 2034 vollziehe die FIFA eine Abkehr von ihren Reformen, sagt Maduro im Interview mit der Sportschau. Es gebe keinen Wettbewerb und keine Transparenz. Für ihn sei es nach der Kontroverse um Katar "schockierend, dass offensichtlich alles für Saudi-Arabien getan wurde".
Sportschau: Herr Maduro, Saudi-Arabien wird Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft 2034 sein. Die FIFA versprach mit ihren Reformen 2016 Transparenz, insbesondere bei der Vergabe der Weltmeisterschaften. Was ist davon geblieben?
Miguel Maduro: Meiner Ansicht nach hat die FIFA ihre Versprechen nicht eingehalten. Es findet kein Wettbewerb statt, es gibt nur zwei Bewerbungen für zwei Weltmeisterschaften. Diese Tatsache belegt eine Abkehr der FIFA von den Reformen von 2016.
Sportschau: Die Reformen von 2016, die nach dem FIFA-Skandal von 2015 eingeführt wurden, sind teilweise rückgängig gemacht worden. Durch die Statutenänderungen im Mai 2024 wurde ermöglicht, dass im Gegensatz zu den Reformversprechen eine Doppelvergabe wie bei den Turnieren 2030 und 2034 nun doch wieder erlaubt ist. Warum wäre es wichtig gewesen, die beiden Turniere getrennt voneinander zu vergeben?
Maduro: Durch die Vergabe von zwei Weltmeisterschaften in derselben Abstimmung gibt es weniger Aufmerksamkeit und weniger Überprüfung, der jedes einzelne Vergabeverfahren unterliegen sollte. Ein anderer Grund ist, dass dadurch das Risiko erhöht wird, dass gedealt wird. Nach dem Motto: Du unterstützt mich, ich unterstütze dich. Die aktuellen Rahmenbedingungen der anstehenden Abstimmung sind ein Indiz dafür, dass es genau dazu gekommen ist. Die FIFA kehrt zu den Praktiken zurück, die sie vor dem Skandal 2015 genutzt hat.
FIFA-Präsident Gianni Infantino mit dem WM-Pokal
Sportschau: Warum wäre mehr Transparenz wichtig gewesen?
Maduro: Transparenz hat zwei Ziele: Das erste Ziel ist, die Qualität der Entscheidungsfindung zu verbessern, indem man einer Vielzahl von Interessenvertretern die Möglichkeit gibt, an der Entscheidungsfindung mitzuwirken. Und das zweite Ziel ist, die Entscheidung später überprüfen zu können und zu verstehen, warum die Entscheidung so getroffen wurde, wie sie getroffen wurde und wenn nötig, die Entscheidung zu kritisieren. Beide Ziele werden nicht erreicht. Niemand konnte an der Entscheidungsfindung teilnehmen. Die Bewertungsberichte sind immer noch nicht veröffentlicht und sie werden bedeutungslos sein. Denn sie werden keinerlei Auswirkung haben.
Es ist nicht glaubwürdig. Ich kenne keine Demokratie, in der immer einstimmig abgestimmt wird.
Sportschau: Es gab im Rahmen der WM-Vergabe zahlreiche einstimmige Beschlüsse im FIFA-Rat. Neben der Doppelvergabe gab es den Beschluss, dass die Verbände beim Kongress im Block mit nur einer Stimme im Paket über beide Turniere abstimmen werden. Was sagen diese einstimmigen Beschlüsse aus?
Maduro: Die FIFA wird behaupten, dass sie sich an alle Regeln hält, dass die Vergabe eine demokratische Entscheidung im Kongress ist. Aber wir wissen, dass in vielen politischen Regimen die Existenz einer Abstimmung nicht bedeutet, dass dieser Moment wirklich demokratisch ist. Es ist nicht glaubwürdig. Ich kenne keine Demokratie, in der immer einstimmig abgestimmt wird, in der es keinen Machtkampf gibt, in der der Amtsinhaber immer gewinnt, in der niemand anderer Meinung ist, in der es keine alternativen Positionen gibt. Man muss daraus schließen, dass dies nur ein weiterer Beweis dafür ist, in welchem Ausmaß die FIFA ein System absoluter Macht und Kontrolle sowie Abstimmungssyndikate betreibt. Gleichzeitig behauptet sie, sich an demokratische Prinzipien zu halten, die in den Regeln stehen - in der Praxis jedoch nicht gelten.
Sportschau: Warum?
Maduro: Die profitabelsten Geschäfte im Fußball sind die Vergabe der Weltmeisterschaft und der Verkauf von Übertragungsrechten. Das gibt denjenigen, die dieses Geld und seine Verteilung kontrollieren, eine enorme Macht. Die Präsidenten der nationalen Fußballverbände wissen, dass sie "loyal" sein müssen. Sie müssen akzeptieren, was der FIFA-Präsident ihnen sagt. Sie können sich nicht öffentlich gegen den Präsidenten stellen, weil sie oder ihr Verband sonst politisch abgestraft werden. Davor fürchten sie sich. Und das schafft ein System der Kontrolle, gerade bei Abstimmungen.
FIFA-Präsident Gianni Infantino
Sportschau: Es gibt Kritik von Menschenrechtsorganisationen, von Gewerkschaften und Fanbündnissen. Könnte das nicht Verbände dazu bringen, der Vergabe zu widersprechen?
Maduro: Sie werden sehen, dass kein nationaler Verband es wagen wird, Kritik daran zu äußern, wie die FIFA die WM nach Saudi-Arabien vergibt, geschweige denn an der Entscheidung selbst. Die Kontroverse um die One-Love-Binde in Katar gab es nur, weil einige nationale Fußballverbände zu Hause einem großen Druck ausgesetzt waren. Die Weltmeisterschaft lief, die Medien berichteten darüber. Der DFB und einige andere Verbände in Europa wurden kritisiert. Also mussten sie so tun, als wären sie ernsthaft besorgt und als ob sie etwas tun würden. Sie hätten die Entscheidung der FIFA vor dem internationalen Sportgerichtshof anfechten können. Aber am Ende haben sie nichts getan. Ihre Situation ist: Wenn sie anderer Meinung sind, wenn sie eine Abweichung zum Ausdruck bringen, dann gehen sie ein sehr hohes politisches Risiko ein.
Miguel Maduro (r.) bei einer Sitzung mit FIFA-Präsident Gianni Infantino (2.v.r.)
Der Kongress hat nur noch die Aufgabe das durchzuwinken, was der FIFA-Präsident zusammen mit einer kleinen Gruppe von Leuten längst beschlossen hat.
Sportschau: Was ist die Folge daraus?
Maduro: Wer dieses Machtsystem kontrolliert, kann im Grunde für immer an der Macht bleiben. Das ist es, was wir in der FIFA gesehen haben. Und deshalb werden dort Amtsinhaber bei Wahlen nicht herausgefordert. Deshalb wird die Vergabe der Weltmeisterschaften an der Verbandsspitze entschieden, lange vor dem Kongress, der eigentlich darüber abstimmen soll. Der Kongress hat nur noch die Aufgabe das durchzuwinken, was der FIFA-Präsident zusammen mit einer kleinen Gruppe von Leuten längst beschlossen hat.
Delegierte beim FIFA-Kongress 2024 in Bangkok
Sportschau: Wie ist die Wahl dieser Leute auf Saudi-Arabien gefallen?
Maduro: An der WM 2030 sind nun imgrunde drei Konföderationen (Kontinentalverbände wie die UEFA, Anmerkung der Redaktion) beteiligt: Portugal und Spanien aus Europa, Marokko aus Afrika und die FIFA lässt einige Spiele in Südamerika austragen.
Sportschau: Damit waren Europa, Afrika und Südamerika für 2034 aus dem Rennen, Nordamerika wegen der WM 2026 ebenfalls. Wurde damit jede Konkurrenz abgewendet?
Maduro: So haben sie es ermöglicht, dass Saudi-Arabien so kurz nach Katar die WM zugesprochen wird. Das ist schockierend, die Kontroversen von Katar werden sich in Saudi-Arabien widerspiegeln. Und es ist schockierend, dass offensichtlich wirklich alles getan wurde, damit die Weltmeisterschaft 2034 an Saudi-Arabien vergeben wird. Und daraus entstehen weitere Fragen.
Sportschau: Welche?
Maduro: Warum vergibt man das Turnier an Saudi-Arabien? Nach allem, was in Katar passiert ist mit den vielen Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen. Die FIFA hatte verpflichtende Vorgaben bei den Menschenrechten versprochen. Diese wurde damals von dem Komitee entwickelt, dem ich für sehr kurze Zeit vorstand. Der entscheidende Punkt ist, dass diese Bewertung über die Einhaltung der Kriterien bei den Menschenrechten von einem unabhängigen Gremium durchgeführt werden muss. Ich habe meine Zweifel, dass das bei der Vergabe so sein wird. Es wird wichtig werden, vor allem auf die UEFA und die europäischen Verbände Druck auszuüben, um sicherzustellen, dass sie von der FIFA die Einhaltung der Menschenrechte verlangen. Und zwar nicht nur auf dem Papier.
Sportschau: Sie beschreiben eine Abkehr der FIFA von den Reformen. Kann sich die FIFA noch zum Guten entwickeln?
Maduro: Ich hatte die Hoffnung, dass der öffentliche Druck und der Imageschaden Veränderungen fördern würden. Die Reformen machten den Anschein, als würde sich etwas ändern. Ich bin mittlerweile der Ansicht, dass echte Reformen nur dann kommen werden, wenn sie von außen aufgezwungen werden. Ich denke also, es ist an der Zeit, dass die Europäische Union die Bedeutung des Fußballs ernst nimmt - nicht nur die soziale Bedeutung, sondern auch die wirtschaftliche. Die wirtschaftliche Relevanz des Fußballs muss die europäischen Institutionen und die nationalen Regierungen dazu bringen, die Notwendigkeit einer Regulierung dieses Bereichs ernst zu nehmen und einer Institution wie der FIFA Mindestanforderungen bei ihrer Führung aufzuerlegen.