WM-Vergabe nach Saudi-Arabien Ex-Kontrolleur der FIFA: "Transparenz? Die FIFA hat ihre Versprechen nicht gehalten"
Miguel Maduro (56) war von 2016 bis 2017 Chef des Governance-Komitees der FIFA, er wachte über korrektes Verhalten im Verband, bis er nach zehn Monaten entlassen wurde. Über die de facto feststehende Vergabe der WM 2034 nach Saudi-Arabien sagt er im Gespräch mit der Sportschau: "Die FIFA hat mit ihren Reformen viel versprochen, aber nichts gehalten." Widerspruch vom DFB oder anderen Nationalverbänden erwarte er nicht - die Angst vor Konsequenzen sei zu groß.
Sportschau: Herr Maduro, Saudi-Arabien wird voraussichtlich Gastgeber der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2034 sein. Wie bewerten Sie den Prozess, der dazu geführt hat, dass im kommenden Jahr nur eine einzige Bewerbung im Kongress zur Abstimmung stehen wird?
Maduro: Die FIFA hat 2016 mit den Reformen viel versprochen, was die Art der Vergabe von Weltmeisterschaften angeht. Diese Versprechen beinhalteten ein viel höheres Maß an Transparenz, eine leistungsorientiertere Bewertung der Kandidaten, mehr Wettbewerb und schließlich auch, dass es Mechanismen geben wird, um die Einhaltung der Menschenrechte in diesen Ländern sicherzustellen.
Was wir jetzt erleben, ist das genaue Gegenteil davon. Alles wurde im Hinterzimmer abgesprochen und führt nun unweigerlich zu dem Schluss, dass die WM 2034 an Saudi-Arabien vergeben wird. Grundsätzlich müssen wir feststellen, dass die FIFA ihren Zusagen für mehr Transparenz, Leistungsprinzip, Wettbewerb und Berücksichtigung von Menschenrechten bei der Vergabe der WM nicht nachgekommen ist.
FIFA-Präsident Gianni Infantino mit dem WM-Pokal
Sportschau: Würden Sie sagen, dass im FIFA-Rat Deals gemacht wurden?
Maduro: Das kann ich nicht sagen, weil ich nicht eingeweiht bin. Ich habe keine Insiderinformationen. Wir wissen, dass wir nicht wissen, was da genau passiert ist und wie es passiert ist. Doch die FIFA hatte uns als Fußballfans und als Öffentlichkeit versprochen: Nun wird die Vergabe der Weltmeisterschaften transparent sein, auf klaren Kriterien basieren und die Einhaltung von Menschenrechten garantieren. Aber nichts davon wurde erreicht.
Die FIFA, Fußballorganisationen und leider auch Sportorganisationen im Allgemeinen agieren als politische Kartelle. Die Machtkonzentration an der Spitze, die mangelnde Transparenz bei ihrer Arbeit oder auch das Fehlen von Maßnahmen, um beispielsweise Interessenkonflikte zu verhindern, führen dazu, dass innerhalb dieser Organisationen selbst keine Kontrollmechanismen vorhanden sind. All dies schafft das perfekte Umfeld dafür, dass diese Entscheidungen durch Abkommen im Hinterzimmer getroffen werden. Die WM 2034 ist einfach nur ein weiteres Beispiel dafür.
Sportschau: Was sind die Ursachen für diese Zustände?
Maduro: Die FIFA und andere Sportorganisationen haben die Funktion, den Sport zu organisieren. Sie nehmen aber zugleich die kommerziellen Interessen wahr. Dadurch ist die FIFA auch die Organisatorin der wichtigsten kommerziellen Veranstaltungen rund um den Fußball. Diese Machtkonzentration verleiht demjenigen, der bei der FIFA an der Macht ist, einen enormen Einfluss - und den kann er nutzen: Denn an wen und wie die FIFA dieses Geld verteilt, ist eine Möglichkeit, die Stimmen zu kontrollieren.
Der Präsident kann bestimmte Personen belohnen oder bestrafen. Auch deshalb gehen Wahlen und Abstimmungen fast immer einstimmig aus. Wenn der Präsident und zwei oder drei Präsidenten der Kontinentalverbände einer Meinung sind, können sie entscheiden, was passiert und die wichtigsten Entscheidungen treffen.
"Der DFB traut sich nicht, das Handeln der FIFA infrage zu stellen"
Sportschau: Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Bernd Neuendorf, ist Mitglied des FIFA-Rats. Der DFB teilte mit, er werde sich nicht zu Saudi-Arabiens Bewerbung äußern, bis diese im Juli offiziell bei der FIFA eingereicht wird. Ist es eine gute Strategie, die kommenden acht Monate zu schweigen?
Maduro: Sie haben Angst, wenn sie nicht mit dem übereinstimmen, was die Führung der FIFA bereits entschieden hat - das gilt für fast alle Verbände. Wir alle wissen: Es gibt keine Alternative, die WM wird an Saudi-Arabien vergeben. Und die FIFA hat dafür gesorgt, dass es keine Alternative geben wird. Einerseits spüren die Nationalverbände den öffentlichen Druck in ihrem Land, insbesondere in demokratischen Staaten, wo zumindest versucht wird, diese Verbände in gewisser Weise zur Rechenschaft zu ziehen, wie es in Deutschland der Fall ist.
Aber gleichzeitig wissen die Verbände - lassen Sie mich diesen Ausdruck verwenden -, dass sie spuren müssen. Wenn der DFB eine Entscheidung trifft, die das Handeln der FIFA-Führung infrage stellt, dann muss er einen Preis bei seinem Einfluss in der Welt des Fußballs zahlen und könnte ins Abseits gestellt werden. Deshalb trauen sie sich nicht, es zu tun.
"Bei der 'One Love'-Binde war niemand bereit, das Bekenntnis zu seinen Werten gegen die FIFA durchzusetzen"
Sportschau: Gibt es dafür Beispiele?
Maduro: Als die FIFA den Mannschaften in Katar verboten hat, die "One Love"-Kapitänsbinde zu nutzen, war das meiner Ansicht nach eine rechtswidrige Entscheidung. Sie hätte vor dem Internationalen Sportgerichtshof angefochten werden können. Die Verbände standen zu Hause unter Druck. Trotzdem war keiner von ihnen bereit, sein Bekenntnis zu seinen Werten durchzusetzen und die Entscheidung der FIFA anzufechten. Was war der Grund dafür?
Jeder Verband weiß, dass er dann in Zukunft Konsequenzen hätte tragen müssen. Dieses hohe Maß an Machtkonzentration macht es unmöglich, innerhalb der FIFA irgendeine Form von demokratischer Rechenschaftspflicht zu gewährleisten. Das kann nur entstehen, wenn staatliche Stellen von außen versuchen, der FIFA und anderen Sportorganisationen eine Form der öffentlichen Kontrolle aufzuzwingen.
Sportschau: FIFA-Präsident Gianni Infantino pflegte zuletzt eine enge Beziehung zu Saudi-Arabien und Kronprinz Mohammed bin-Salman. Hat Infantino aus ihrer Sicht die WM 2034 an Saudi-Arabien verschenkt?
Maduro: Ich bin Jurist und kann solche Aussagen nicht ohne Beweise machen. Ich kann sagen, dass er auf eine Art und Weise gehandelt hat, die zu einem Interessenkonflikt geführt hat. Es war offensichtlich, dass er eine Präferenz für dieses Regime, für dieses Land hatte. Als FIFA-Präsident hätte er viel umsichtiger agieren sollen.
Miguel Maduro (r.) bei einer Sitzung mit FIFA-Präsident Gianni Infantino (2.v.r.)
"Es reicht nicht aus, ein paar faule Äpfel auszusortieren, wenn der Baum das Problem ist"
Sportschau: Bei der FIFA, der UEFA und dem IOC gibt es mittlerweile Amtszeitbeschränkungen. Aber Infantino und der FIFA-Rat sagen, dass Infantinos erste Amtszeit - der Rest von Sepp Blatters Amtszeit - nicht zählt. IOC-Präsident Thomas Bach schloss eine weitere Amtszeit nicht aus, obwohl der aktuelle Wortlaut der Olympischen Charta die Amtszeit des Präsidenten auf zwölf Jahre begrenzt. Stehen heutzutage Dinge wie eine Amtszeitbeschränkung auf dem Spiel?
Maduro: Ja, ich denke, das ist klar. Die Verbände haben ihre Reformen nicht deshalb angenommen, weil sie wirklich von ihrer Notwendigkeit überzeugt waren, sondern weil sie es zum Zeitpunkt ihrer Annahme für notwendig hielten, um die öffentliche Meinung zu besänftigen. Die FIFA hatte aufgrund des Korruptionsskandals im Jahr 2015 ein Imageproblem. Und dieses Imageproblem wurde zu einem finanziellen Problem, weil Sponsoren drohten, die FIFA nicht länger zu finanzieren. Die FIFA musste also zeigen, dass sie Reformen durchführt, aber sie war nicht wirklich von der Sache überzeugt. Das war meine eigene Erfahrung im FIFA-Governance-Komitee.
Der öffentliche Druck hat mittlerweile jedoch abgenommen. Denn gleichzeitig haben sich die Geldquellen zu einem großen Teil verlagert: von Unternehmen, die in westlichen Ländern mit Demokratie und Menschenrechten ansässig sind, hin zu Ländern, die sich nicht mit diesen Themen befassen. Der Reformdruck hat also nachgelassen. Und im Grunde ist es so, dass die Verbände einige dieser Reformen langsam rückgängig machen.
Sportschau: Ist die FIFA mit Gianni Infantino besser dran oder war das bei seinem Vorgänger Sepp Blatter der Fall?
Maduro: Es ist ein Fehler, dass wir darüber sprechen, ob das Problem Blatter oder Infantino ist. Das Problem liegt im System, wie Sportorganisationen und in diesem Fall insbesondere die FIFA organisiert sind. Insbesondere die Herren Blatter und Infantino sind eine Folge dieser Probleme und ihres Verhaltens. Es reicht nicht aus, ein paar faule Äpfel auszusortieren, wenn der Baum, an dem diese faulen Äpfel wachsen, das Problem ist.
Der frühere FIFA-Präsident Sepp Blatter
Sportschau: Herr Maduro, vielen Dank für das Gespräch.