
Wintersport-Bilanz Der Wintersport-Winter - Dramen, Triumphe und ein Mega-Skandal
Auch dieser Winter hatte wieder einige denkwürdige Momente, historische Marken, emotionale Geschichten und Dramen.
Biathlon-Drama zum Finale
Mehr Drama geht nicht. Nach vier Schießen im finalen Massenstart am Sonntag (23.03.2025) lagen die gesamtführende Französin Lou Jeanmonnot und die Deutsche Franziska Preuß gleichauf. Jeanmonnot lag die Winzigkeit von fünf Punkten vor Preuß. Und dann, rund 500 Meter vor dem Ziel stolperte Jeanmonnot in einer Kurve über ihren eigenen Stock und stürzte. Preuß siegte und feierte erstmals in ihrer Karriere den Gesamt-Weltcup. Jeanmonnot wurde Dritte. So richtig freuen konnte sich Preuß aber nicht: "So mag ich nicht gewinnen. Ich hätte es lieber auf der Ziellinie ausgetragen", sagte sie.
Und Preuß bewies Größe: Statt zu feiern, tröstete sie die geschlagene Jeanmonnot. "Franziska hat gleich nach dem Zieleinlauf gesagt, wir könnten doch fragen, ob es zwei Kugeln geben könnte", berichtete die Gesamt-Zweite aus Frankreich später. Der Biathlon-Weltverband gab dann aber nur eine große Kristallkugel aus. Und diese wird Franziska Preuß für immer an die beste Saison ihrer Karriere und an das größte Drama zum Saisonfinale erinnern.
Bö und Bö und Riiber - Abschiede großer Norweger
Auch beim letzten Männer-Rennen der Biathlon-Saison wurde es emotional. Die "Biathlon-Könige" Johannes Thingnes und Tarjei Bö gingen auf ihre allerletzte Ehrenrunde. Mit goldener Krone auf dem Kopf, einem Umhang im Design der norwegischen Flagge und zu den Klängen des Abschieds-Klassikers "Con te partirò" nahmen die beiden Abschied. "Es war uns ein Vergnügen", sagte Johannes Thingnes Bö den jubelnden Fans am Holmenkollen in Oslo: "Wir hoffen, dass wir euch eine große Show geboten haben."
Vor allem Johannes Thingnes tat das, der die Biathlonszene über viele Jahre dominierte, unter anderem fünfmal Olympia-Gold und fünf Gesamt-Weltcupsiege feierte, insgesamt gewann er inklusive verschiedener Staffeln 118 Rennen. "Ich liebe es, Rennen zu laufen, aber ich fühle, dass die Zeit gekommen ist, meine Familie an die erste Stelle zu setzen", erklärte Bö unter Tränen Mitte Januar, dass das Olympiajahr 2025/26 ohne ihn stattfinden werde.
Bö war nicht der einzige norwegische Dominator seiner Sportart, der Abschied nahm: Auch der Nordische Kombinierer Jarl Magnus Riiber verabschiedete sich aus gesundheitlichen Gründen. Nachdem beim Rekord-Weltmeister und fünffachen Weltcup-Gesamtsieger Morbus Crohn, eine chronische Darmerkrankung, diagnostiziert wurde, nahm er Ende Januar Abschied: "Ich möchte einen Körper behalten, der Spiel und Spaß mit meinen Kindern aushält. Und deshalb wird diese Saison meine letzte sein." Denn: "So macht es keinen Spaß mehr." Spaß hatte der 27-Jährige dann aber noch mal bei der Heim-WM in Trondheim, als er noch einmal drei goldene und eine Bronzemedaille gewann.
Emma Aicher: Plötzlich Weltspitze
Einen etwas unerwarteten Aufstieg zeigte Skirennläuferin Emma Aicher in diesem Winter. Die Allrounderin, die in jeder der vier Disziplinen an den Start geht, erlebte im Februar eine echte Leistungsexplosion.
Nachdem sie vor zwei Jahren im norwegischen Kvitfjell das bisher einzige Mal unter die Top 5 gefahren war, schaffte die Deutsch-Schwedin in dieser Saison am gleichen Ort mit Platz zwei in der Abfahrt nicht nur ihr erstes Podest, einen Tag später gewann sie sogar ihren ersten Weltcup. Und damit nicht genug: Knapp anderthalb Wochen später schlug sie im italienischen La Thuile wieder zu - diesmal im Super-G, den sie vor der Lokalmatadorin Sofia Goggia gewinnen konnte.
Vonn feiert erstes Podest nach 2.565 Tagen
Ohne Medaille bei der WM blieb der frühere Alpin-Superstar Lindsey Vonn. Und dennoch jubelte die US-Amerikanerin am Ende der Saison. Über einen zweiten Platz im Super-G von Sun Valley, 2.565 Tage nach ihrem letzten Podestplatz und im letzten Rennen ihres Comeback-Winters, über einen zweiten Platz, den der 40-Jährigen nicht viele zugetraut hatten.
"Dieser Tag bedeutet mir alles", sagte die jetzt älteste Ski-Alpin-Podestfahrerin der Geschichte. Dort vergoss sie bei der Siegerehrung viele Tränen. Später erklärte sie: "Es fühlt sich gut an, wenn man endlich belohnt wird. Es war Freude. Erleichterung. Und Genugtuung darüber, dass dieses Abenteuer, auf das ich mich eingelassen habe, etwas wert ist." Das nächste Ziel seht auch schon fest: Denn auch bei Olympia 2026 will Vonn um Medaillen fahren. Mit dann 41 Jahren.
Mikaela Shiffrin: Weinkrämpfe nach 100er Marke
Einen Rekord stellte auch Vonns Landsfrau Mikaela Shiffrin auf. Die 29 Jahre alte Amerikanerin feierte im italienischen Sestrière Ende Februar den 100. Weltcup-Sieg ihrer Karriere. Die 100er-Marke hatte vor Shiffrin noch niemand geknackt. Und auch für Shiffrin, die in ihren besten Tagen mit einer unglaublichen Leichtigkeit durch die Slalomstangen gleitet, schien diese Marke in diesem Winter schon weit weg.
Ein Unfall beim Heim-Weltcup in Killington im November mit Bauchverletzung und unklarer Zukunft hatten dem Alpin-Wunderkind zugesetzt. "Die letzten Wochen waren schwierig. Heute musste einfach alles passen. Aber am Ende habe ich auch einiges richtig gemacht", sagte Shiffrin, nachdem sich ihre Weinkrämpfe im Ziel gelegt hatten.
Unfälle überschatten den Alpin-Zirkus
Neben Shiffrin erlitten in diesem Winter noch einige andere Athletinnen und Athleten bei Stürzen teils heftige Verletzungen und sorgten dafür, dass die Debatte um die Sicherheit der Alpinen wieder neu entfacht wurde. Ganz vorne zu nennen ist der Franzose Cyprien Sarrazin. Ihn erwischte es bei einer Trainingsfahrt in Bormio, bei der er sich unter anderem eine Hirnblutung zuzog und eine Woche auf der Intensivstation lag. "Ich wäre fast gestorben", sagte der fünfmalige Weltcupsieger zwei Monate nach dem Unfall. In Garmisch stürzte Ende Januar die Tschechin Tereza Nova im Training so heftig, dass sie für mehrere Wochen ins künstliche Koma versetzt und ebenfalls am Gehirn operiert werden musste.
Gerade in der Abfahrt, wo die Gefahr und das Risiko besonders hoch sind, erlitten mehrere Rennläufer und Rennläuferinnen saisonbeendende Brüche oder Muskelverletzungen. Hier ist die FIS gefordert, um spannende und spektakuläre Rennen zu veranstalten, aber auch die Sicherheit und Gesundheit der Aktiven zu gewährleisten.
Deutsche Langläuferinnen mit historischem Erfolg
Mit einer historisch guten Platzierung haben sich auch die deutschen Skilangläuferinnen Richtung Olympia verabschiedet. So sorgte der zweite Platz im Gesamt-Weltcup für Victoria Carl für allerlei Glücksgefühle. "Ich hoffe, dass der Langlauf in Deutschland dadurch noch einmal einen Push bekommt. Wir können es einfach", freute sich Carl nach ihrem abschließenden achten Platz beim 50-Kilometer-Marathon in Lahti in der Sportschau.
Bundestrainer Peter Schlickenrieder: "Der zweite Gesamtrang von Victoria ist für uns historisch, denn dafür muss man bei vielen Wettbewerben vorn dabei sein. Wenn man das schafft, gehört man verdientermaßen zu den Besten der Welt." Schlickenrieder freute sich zudem über zwei Sprintsiege von Coletta Rydzek beim Weltcup-Finale. Nach einer eher durchwachsenen WM hofft der Bundestrainer nun: "Vielleicht haben wir dann im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen mehr Glück."
Skispringen: Frust und Freude
Aus deutscher Sicht war die Skisprung-Welt im Dezember rosig. Kurz vor Weihnachten führten mit Pius Paschke und Katharina Schmid zwei Deutsche die Weltcup-Gesamtwertung an. Das gab es zuvor sieben Jahre lang nicht – und weckte natürlich Hoffnungen auf den Jahreswechsel mit Vierschanzentournee der Männer sowie Two Nights Tour der Frauen.
Paschke feierte in den ersten acht Saisonspringen fünf Siege, der "alte Mann" erlebte mit seinen 34 Jahren einen echten Skisprung-Frühling. Schmid stand in den ersten fünf Springen fünfmal auf dem Podest. "Sie hat eine Bombenleistung vollbracht. Sie ist in Form", sagte Frauen-Bundestrainer Heinz Kuttin nach einer kräftezehrenden zehntägigen Tour durch China. Und Männer-Bundestrainer Stefan Horngacher sagte selbstbewusst: "Wir gehen gern als Favorit in die Tournee."
Doch die Favoritenrolle konnten die Deutschen nicht ausfüllen: Auf das emotionale Hochgefühl der ersten Springen folgte ein tiefes Tief. Paschke flog hinterher. Nach seinem Sieg am 15. Dezember in Titisee flog er immer wieder am Podest vorbei, verpasste sogar immer wieder das Finale der Top 30 und rutschte in der Gesamtwertung weit ab. Schmid sprang am 6. Januar zuletzt in einem Einzelspringen in die Top 3. Ganz so bitter wie für Paschke verlief der restliche Winter für Schmid aber nicht. Bei der WM durfte sie über WM-Bronze von der Normalschanze jubeln.
Aus deutscher Sicht gab es aber noch andere Gründe zum Jubeln: Bei den Frauen sprang Selina Freitag aus dem Schatten von Schmid und beendete die beste Saison ihrer Karriere mit 18 Podestplatzierungen als Gesamt-Zweite. Während Schmid im Sommer überlegt, ob sie ihre Karriere überhaupt noch fortsetzen soll, sagte Freitag nach dem Saisonfinale: "Von mir aus könnte es gern noch länger gehen."
Und auch die deutschen Männer durften noch einmal feiern: mit Andreas Wellinger. Der 29-Jährige gewann erstmals die Raw-Air-Tournee. Acht Jahre, nachdem Wellinger 2017 durch Windpech beim letzten Sprung vom ersten noch auf den dritten Platz zurückfiel, hatte der Wind diesmal wieder die Hände im Spiel: Am letzten Tournee-Tag konnten statt vier Springen nur eins geflogen werden. Den Vorteil nutzte der führende Wellinger zum Gesamtsieg.
Manipulierte Anzüge: Skispringen steckt in größter Krise
Nicht am Start bei der durch Norwegen führenden Raw-Air-Tour waren die Top-Springer der Gastgeber - und das hat mit dem einzigen richtigen Skandal des Wintersport-Winters zu tun. Kurz vor dem Ende der WM in Trondheim tauchte ein Video auf, in dem Anzüge von norwegischen Springern manipuliert wurden.
Ein eingenähtes Band sollte für mehr Stabilität sorgen. In dem Video war unter anderem der norwegische Skisprungtrainer Magnus Brevig zu sehen. Erst flogen Marius Lindvik und Johann Andre Forfang auf, später wurden weitere Skispringer suspendiert.
"Die Art der Dreistigkeit, die da an den Tag gelegt wird, die übersteigt jegliche Vorstellungen", schimpfte Sportschau-Skisprung Experte Sven Hannawald. Seit dem Skandal diskutiert die Skisprung-Welt, wie die Kontrollen verbessert werden können, 3-D-Scanner oder eine Computermessung könnten Verbesserung bringen. Bereits jetzt ist klar: Mit dem Skandal steckt das Skispringen in der größten Krise seit langem.
Vierschanzentournee: Kraft verliert im Herzschlagfinale
Diese Vierschanzentournee war eine der spannendsten in der Geschichte und sie endete mit einem echten Drama: Nach drei der vier Stationen lagen die Top 3 der Gesamtwertung innerhalb von umgerechnet 72 Zentimetern. Stefan Kraft kam als Führender nach Bischofshofen und war auch nach dem ersten Durchgang in Führung. Als letzter Springer stand er oben, ein "normaler" Sprung hätte ihm zu seinem zweiten Gesamtsieg nach 2014/15 gereicht. Doch dann kam der Wind.
Kraft musste warten. Ging rauf auf den Balken und wieder runter, rauf und wieder runter. Sieben Minuten lang zog sich das Spielchen, bis er grünes Licht bekam. Doch die Warterei hatte Nerven gekostet. "Nur" 137,5 Meter standen auf der Anzeigetafel - zu wenig. Der 31-Jährige rang im Auslauf sichtlich um Fassung, erhielt Trost seiner Teamkameraden. Einer von ihnen, Daniel Tschofenig, wirkte ebenfalls konsterniert: Das Missgeschick von Kraft war sein Glück, denn er gewann so die Tournee.
Nordische Kombination: Armbruster gewinnt Gesamtweltcup
Nach einer tollen Saison inklusive der ersten Weltcup-Siege durfte Nathalie Armbruster in Oslo am Holmenkollen die zwölf Kilogramm schwere große Kristallkugel für die beste Kombiniererin der Saison in die Höhe recken. Ihrem Premierensieg auf der zweiten Etappe des Seefeld-Triples, wenn auch bedingt durch die Disqualifikation der bis dato überragenden Ida Marie Hagen, ließ die Abiturientin gleich den zweiten Tageserfolg und auch den Triple-Gesamtsieg folgen. Fortan war sie die Gejagte im Gelben Trikot.
Und auch wenn die WM nicht ganz nach ihren Vorstellungen verlief, behielt Armbruster die Nerven und brachte den Gesamterfolg souverän nach Hause. "Wow! Was für ein Tag! Ich kann mich Gesamtweltcupsiegerin nennen. Es ist so unwirklich, dass ich die Kristallkugel in einem Jahr hole, in dem ich überhaupt nicht damit gerechnet habe", war sie völlig baff nach ihrem Erfolg. Und wenige Tage später wartete auf die 19-Jährige gleich die nächste Herausforderung: Mathe-Abi schreiben.
Kombinierer-König Riiber überlässt Geiger den Gesamtweltcup
Dass Vinzenz Geiger ein Kandidat für den Titel des besten Kombinierers der Saison ist, das hatten dann schon mehr Experten auf dem Zettel. Wie er dann zu seinem ersten Gesamtweltcupsieg kam, war trotzdem etwas Spezielles. Als sich alle auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Bayern und Jarl Magnus Riiber in den letzten drei Saisonrennen eingestellt hatte, tanzte der Norweger plötzlich aus der Reihe.
Er zog seinen für das Saisonende angekündigten Rücktritt vor und machte schon in seiner Heimat Norwegen Schluss. Statt sich also mit Geiger zu messen, zelebrierte Riiber seinen Abschied und schenkte so den Gesamtweltcup ab. Es wirkte ein wenig wie die Übergabe eines Staffelstabs an den womöglich neuen Dominator in der Kombination. Auch wenn Geiger so etwas unverhofft zur großen Kristallkugel kam, soll das seine Leistung in diesem Winter keinesfalls schmälern.