
Biathlon Denkwürdiges Finale und praktische Preuß-Probleme
Franziska Preuß ist erstmals Weltcup-Gesamtsiegerin. Das Finale des Weltcup-Winters war an Drama kaum zu überbieten. Für Preuß endet damit eine lange Leidenszeit. In der Stunde des größten Erfolges ihrer Karriere zeigte die Deutsche menschliche Größe. Zu Hause hat sie nun ganz praktische Probleme.
Denkwürdig. Der Biathlon-Weltcup endete am Sonntag denkwürdig. Weil mit Johannes Thingnes Bö der größte Biathlet der vergangenen Jahre, vielleicht sogar der Biathlon-Geschichte, zurücktrat. Weil mit Franziska Preuß erstmals seit 2017 Laura Dahlmeier wieder eine deutsche Biathletin den Gesamt-Weltcup gewann. Weil Preuß‘ Sieg in einem der dramatischsten Finishes der Biathlon-Geschichte zustandekam, kurz vor dem Ziel stürzte die in Führung liegende Kontrahentin Lou Jeanmonnot.
Preuß tröstet Jeanmonnot: "So mag ich nicht gewinnen"
Und, weil Preuß nach dem Rennen menschliche Größe zeigte. Nachdem die 31-Jährige als Erste über die Ziellinie fuhr, lief sie nicht zu ihren wartenden Teamkolleginnen um sich, den Tagessieg und den Gesamtsieg feiern zu lassen. Sie drehte sich um, ging zu der erschöpft und traurig im Schnee liegenden Jeanmonnot und tröstete die bitter enttäuschte Französin. Auch später, als ein Protest des französischen Teams wegen möglicher Behinderung zurückgezogen wurde, als Preuß der größte Erfolg ihrer Karriere sicher war, bewies sie menschliche Größe: "So mag ich nicht gewinnen", sagte sie, als die Tränen der Freude und Erleichterung getrocknet waren. Und: "Eigentlich müssten wir die Kugel in der Mitte auseinanderschneiden und jeder kriegt die Hälfte."
Jeanmonnot: "Sie ist gleich zu mir gekommen"
Jeanmonnot nahm im Ziel jegliche Schuld am Sturz von Preuß ("Ich habe mir die Stöcke zwischen die Ski geschlagen") und lobte im Sportschau-Interview Preuß‘ Fairplay nach dem Rennen: "Sie ist gleich zu mir gekommen. Franziska hat gleich nach dem Zieleinlauf gesagt, wir könnten doch fragen, ob es zwei Kugel geben könnte. Ich glaube, sie hätte es genauso geliebt, wenn es anders gekommen wäre." Preuß und Jeanmonnot umarmten sich, weinten gemeinsam, lachten gemeinsam.
Entscheidung um 20 Punkte
"So mag man nicht gewinnen", sagte Preuß. Und sie betonte, dass ihr der Weltcup-Gesamtsieg mehr bedeute, als die WM-Medaillen. Die beste Biathletin der gesamten Saison zu sein, davon hat die 31-Jährige in ihrer mittlerweile zwölfjährigen Weltcup-Karriere bisher nur träumen dürfen. In ihrer zuvor besten Saison 2020/21 war sie als Gesamt-Dritte schon einmal dran. Mit mehr als 300 Punkten Rückstand auf Tiril Eckhoff aber dennoch deutlich entfernt. Diesmal entschied die Winzigkeit von 20 Punkten darüber, wer die große Kristallkugel als Übergepäck in den Flieger mitnehmen durfte.
Ein Winter anders als die anderen
Die Corona-Saison 2020/2021 war einer der wenigen Winter, in denen Preuß in jedem Rennen am Start war. In vielen anderen Jahren musste Preuß aus Infektgründen Pausen einlegen oder die Saison vorzeitig abbrechen. So auch im vergangenen Jahr. Mit dem Wissen, dass sie in ihrer Biathlon-Karriere vermutlich nicht mehr viele Chancen auf die ganz vorderen Plätze haben wird, ließ sich Preuß im Frühjahr operieren, ein Infektherd in den Nasennebenhöhlen wurde entfernt. Während der Saison, die überragend und mit sechs Podestplatzierungen im ersten Trimester begann, kam sie immer wieder mit Mund-Nasen-Schutz zu Pressegesprächen. Auch hier wollte sie kein Risiko eingehen.
Preuß: "Gab viele Herausforderungen"
Dennoch verlief der Winter nicht ganz ohne Probleme: "Ich bin komplett erschöpft", sagte sie nach dem letzten Wettkampf am Sonntag in Oslo. Und blickte zurück: "Es gab viele Herausforderungen. In Frankreich war die erste Challenge, als die Franzosen nur für die französischen Athleten geschrien haben. Dann nach Oberhof einen Haken dranzusetzen und in Ruhpolding wieder anzugreifen. Es waren viele Herausforderungen, auch extrem viele schöne Momente. Man kann es kaum fassen", blickte die Bayerin auf den Weltcup in Annecy-Le Grand Bornand, ihren 28. Platz beim Sprint von Oberhof und auch auf das Podest-Comeback in Ruhpolding sowie die WM-Medaillen von Lenzerheide zurück.
15 von 30 Podestplatzierungen
Fünf ihrer insgesamt sechs Einzelsiege feierte Preuß in diesem Winter, 15 der 30 Podestplatzierungen ihrer Karriere und damit die Hälfte sammelte die Verfolgungs-Weltmeisterin in diesem Jahr. "Jetzt bin ich jetzt mega erleichtert", sagte sie nach der Siegerehrung. "Man hat da so viel reingesteckt all die Jahre und dass das aufgeht, das weiß ich wirklich zu schätzen."
Sportdirektor Bitterling: "Hat lange gedauert"
"Wir freuen uns wahnsinnig, dass der gesamt Weltcup wieder nach Deutschland kommt", jubelte auch Biathlon-Sportdirektor Felix Bitterling. "Es hat lang gedauert, bis er wieder nach Deutschland gekommen ist, und jetzt ist es hoch verdient." Preuß ist die erste deutsche Gesamtsiegerin seit Laura Dahlmeier 2017 und insgesamt erst die sechste Weltcupsiegerin in 37 Jahren Frauen-Weltcup. "Der Tag könnte nicht viel schöner sein."
Urlaub - wo niemand Biathlon kennt
Ob Preuß im kommenden Jahr an die Erfolge anknüpfen kann? Eine olympische Einzelmedaille fehlt ihr noch. Und zur Geschichte der vielen Rückschläge der aktuell besten Biathletin der Welt gehört auch, dass sie bei den vergangenen Spielen 2014, 2018 und 2022 nie ganz im Vollbesitz ihrer Fähigkeiten war. Kann der Staffel-Medaille von 2018 nun die erste Olympia-Einzelmedaille folgen? Daran will Preuß erst mal gar nicht denken. "Jetzt geht es erst einmal in den Urlaub nach Thailand. Das ist gut, denn dort weiß niemand etwas vom Biathlon."
Kugeln wieder in den Abstellraum?
Dennoch antizipierte Preuß noch in Oslo ein Problem: Wohin mit den ganzen Kristallkugeln? Neben der großen Kugel für den Gesamt-Weltcup gewann sie schließlich auch die kleinen Kugeln für den Sprint-Weltcup und den Massenstart-Weltcup. "Ich muss zugeben, meine erste Kugel, die ich schon mal gewonnen habe, die steht im Keller im Abstellraum", berichtete Preuß vom Verbleib der Massenstart-Kugel aus dem Jahr 2015. Vielleicht könne ja "im Kraftraum ein schönes Regal für die Kugeln" entstehen. "Die sind aber relativ schwer. Also das muss echt robust sein. Da haben wir jetzt genügend Zeit, das rauszufinden." Und diese Entscheidung wird mit Sicherheit weniger emotional als die Massenstart-Entscheidung von Sonntag in Oslo.