Saisonfazit Skispringen DSV-Männer mit viel Licht und ein wenig Schatten
Es gab viel zu feiern, aber auch ein paar Nackenschläge. Wie soll man also die Saison der deutschen Skispringer beschreiben? Trotz eines Premierensieges, mehrerer Heimerfolge und WM-Medaillen war sie nicht überragend. Und nur, weil sich jeder Springer mal eine Schwächephase erlaubte, war sie keineswegs schlecht. Die Wahrheit liegt - wie immer - irgendwo dazwischen.
"Mit der Saison kann man sicherlich gut leben", lautete das Fazit von Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher nach dem letzten Springen der Saison am Sonntag (24.03.2024) in Planica im Interview mit dem ZDF. Denn die Erfolge lesen sich gut: "Wir hatten fünf Leute auf dem Podest, drei Springer haben mindestens einen Weltcup gewonnen. Dazu den zweiten Platz bei der Vierschanzentournee und zwei Medaillen beim Skifliegen."
Auch wenn die Mannschaft "sehr viel richtig gemacht hat", schwang in seiner Bilanz dennoch auch etwas Unzufriedenheit mit. Denn am Ende ließen die Kräfte etwas nach und damit auch die Ergebnisse ein bisschen zu wünschen übrig. Platz zwei in der Nationenwertung wurde noch an Slowenien verloren. Bei den letzten elf Wettkämpfen war kein deutscher Springer mehr an der Siegerehrung beteiligt. "Den Knick müssen wir in Ruhe analysieren. Am Anfang waren wir sehr, sehr gut unterwegs. Dann sind die Erwartungshaltungen ein bisschen zu hoch gewesen – auch von den Sportlern. Dann kam eine gewisse Verkrampfung rein", analysiert Horngacher.
Es musste sich etwas tun im Team
Aber mal von ganz vorne: Nach der schwachen Vorsaison mit lediglich zehn Podestplätzen in 32 Wettkämpfen musste sich etwas tun beim Sprungteam der Männer des Deutschen Skiverbandes (DSV). Also hat man sich zusammengesetzt und die Lage offen analysiert. "Wir haben uns nach der letzten Saison, die echt schwer war, richtig gut zusammengerauft. Da gehören alle dazu, wir Sportler haben an uns arbeiten müssen und Stefan (Horngacher, Anm. der Red.) hat auch das ein oder andere mit auf seine Kappe genommen", erklärte Andreas Wellinger nach dem letzten Durchgang von Planica.
Diese Gespräche, das Training im Sommer und das richtige Material für die Regeländerungen sorgten für einen wahrlichen Traumstart der deutschen Adler in diese Saison. Die Regeländerung, so erklärte Sportschau-Skisprung-Experte Sven Hannawald vor der Vierschanzentournee, hatten dabei einen nicht unwesentlichen Einfluss: Neben der 3D-Vermessung der Anzüge kämen vor allem kleinere Keile in den Schuhen den technisch guten deutschen Springern entgegen.
Allein in den ersten acht Springen im November und Dezember holten Wellinger, Pius Paschke, Stephan Leyhe und Karl Geiger die gleiche Anzahl an Podiumsplatzierungen wie im gesamten Winter davor. "Die ersten Monate bis zum Jahreswechsel waren natürlich bombastisch", so Wellinger.
Schwarz-Rot-Goldener Jubel in Klingenthal, Engelberg und Oberstdorf
In Klingenthal war es Geiger, der die Sieg-Phalanx von Stefan Kraft durchbrach. Der Österreicher hatte zuvor alle vier Springen in Skandinavien gewonnen. Nun stand der Oberstdorfer bei beiden Events in der Vogtland Arena ganz oben auf dem Podest. "Das macht Hoffnung auf mehr", lobte Horngacher anschließend und sah bei seinem Vorzeigespringer noch einige Reserven.
Doch es sollte zunächst ein anderer ins Scheinwerferlicht treten: Pius Paschke. Im stolzen Skisprung-Alter von 33 Jahren krönte er seine bis dahin starke Saison mit seinem ersten Weltcup-Sieg. "Wahnsinn. Ich muss das erstmal verarbeiten, das war jetzt alles ein bisschen viel", sagte der sichtlich nach Worten ringende Paschke danach.
Und kurz nach Weihnachten folgte dann das emotionale Highlight des Winters für Wellinger, der Sieg beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee in Oberstdorf: "Diese Kulisse daheim, als bei der Siegerehrung 25.000 Leute die Hymne mitgesungen haben. Das war so ein geiler und besonderer Moment für mich." Die Tournee schloss Wellinger als Zweiter ab.
Silber und Bronze bei der Ski-WM
Und es blieb kaum Zeit zum Durchatmen: Wenige Wochen später stand Wellinger auch bei der Skiflug-WM auf dem Podest. "Der Kulm war echt anstrengend. Bevor wir den letzten Sprung machen durften, haben wir vier Stunden gewartet. Ich lag davor noch auf Platz vier mit 0,5 Punkten Rückstand. Ich war in der Situation, dass ich es selber biegen konnte, als Vierter möchte man nicht heimgehen. Auch wenn es am Ende knapp war – zwei Punkte nach drei Durchgängen sind beim Skifliegen nichts –, habe ich Silber gewonnen", blickte er später zurück.
Ein neuer Stern mit Philipp Raimund
Mit seinen Teamkollegen Paschke, Leyhe und Geiger gab es zudem noch Bronze im Mannschaftswettbewerb. Während es bei seinen Teamkollegen nun etwas zäher wurde, war Wellinger noch nicht fertig. Heimsieg in Willingen und Platz zwei im Super Team mit Philipp Raimund in den USA folgten. Raimund legte sogar noch einen nach und holte in Lake Placid sein erstes Einzelpodest der Karriere.
Während die anderen also etwas hinterhersprangen, ging plötzlich ein neuer Stern auf. Die Hoffnungen, bei Raimund sei nun der Knoten geplatzt, erfüllten sich aber nicht ganz. Lediglich in Trondheim schaffte er einen weiteren Top-10-Platz.
Beste Saison für Wellinger
Aber auch Wellinger konnte in der Folge nicht mehr ganz so häufig vorne reinspringen, wie noch in den Wochen zuvor. Doch sein persönliches Fazit konnte das nicht trüben. Er sei "froh und stolz" über das Erreichte. Sein Ziel, "von Anfang bis Ende der Saison auf hohem Niveau zu springen", sei ihm "sehr, sehr gut gelungen", auch wenn es "die letzten Wochenenden nicht mehr ganz so leicht gefallen" ist. Mit 28 Jahren schaffte er mit Rang 3 in der Gesamtwertung sein bestes Karriereresultat. Zudem war er in diesem Winter der einzige Starter im Feld, der es im jedem Springen in die Top 30 schaffte und damit Punkte sammelte. Mehr Konstanz geht nicht.
Zweitbester DSV-Springer in der Endabrechnung war Pius Paschke auf dem zehnten Rang. Neben dem angesprochenen Sieg in Engelberg waren für ihn einige "richtige coole Sachen" in dieser Saison dabei. Trotz seines fortgeschrittenen Alters für einen Skispringer hofft er, dass es "nicht die letzten Erfahrungen in diese Richtung war".
"Zwischensaison" für Karl Geiger
Und Karl Geiger? "Das war echt eine interessante Saison", erklärte er mit einem Lächeln. Danach war ihm zwischenzeitlich aber gar nicht mehr zumute. Denn nach seinem Doppelsieg von Klingenthal verpasste er mehrfach zweite Durchgänge und wirkte ratlos. "Das hatte ich mir anders vorgenommen", "das System läuft nicht zusammen", "es ist gerade einfach mühsam", versuchte er sich trotzdem jedes Mal zu erklären. Doch man merkte dem Skiflug-Weltmeister von 2020 an, dass die Suche nach Antworten nur sehr schleppend voranging.
"Die letzten drei Monate waren nicht so, wie ich mir das erhofft hatte. Da muss ich mir in Ruhe anschauen, in welche Richtung ich da wieder arbeiten muss", so Geiger nach dem Saisonfinale. Aufgeben will er nicht und auch das Vertrauen des Bundestrainers ist weiter vorhanden: "Karl ist jetzt vier Jahre auf höchstem Niveau gesprungen und hatte jetzt so etwas wie eine Zwischensaison, wo es etwas schwerer gegangen ist. Er hat gewonnen, war aber auch mal ganz weit weg. Deshalb brauchen wir uns um Karl keinen großen Stress machen, er muss in Ruhe weiterarbeiten."
Karl Geiger wirkte in der zweiten Saisonhälfte ein ums andere Mal ratlos.
Alles spricht für den Verbleib von Horngacher
Apropos weiterarbeiten. Wie geht es denn mit Horngacher selbst weiter? Offiziell verkündet hat der DSV noch nichts, aber zwischen den Zeilen wird deutlich: Horngacher wird auch in der kommenden Saison Bundestrainer bleiben. "Wir wissen genau, dass wir noch sehr viel zu tun haben. Das gesamte Team ist hoch motiviert. Wir haben echt ganz gute Gespräche geführt in letzter Zeit, wie wir weitermachen", sagte der 54-Jährige. Eine Trennung klingt definitiv anders.
Noch ist ja auch die aktuelle Saison für ihn und seine Trainermitstreiter nicht vorbei. Denn es folgen noch die Analysen: "Wir werden unsere Schlüsse ziehen und das Ziel wird sein, dass wir nächsten Jahr bis zum Ende durchziehen können", kündigte Horngacher an.