Denise Herrmann-Wick beim Zieleinlauf der WM-Staffel
analyse

WM in Oberhof Eine Biathlon-WM mit zwei Gesichtern für den DSV

Stand: 19.02.2023 20:02 Uhr

Es gab Tränen der Freude, aber auch die der puren Verzweiflung. Die Biathlon-WM in Oberhof hatte mit Wind, Nebel und Regen zu kämpfen - die deutschen Männer wiederum mit schwachen Ergebnissen. Bei den DSV-Frauen sah das anders aus. 

Von Uri Zahavi und Jonas Schlott

Als sich am Sonntagnachmittag das Stadion schon halb geleert hatte, viele der 23.500 Zuschauer bereits auf dem Weg nach Hause waren, erklomm Denise Herrmann-Wick ein drittes und letztes Mal bei den Biathlon-Weltmeisterschaften das Podest.

Die 34-Jährige gesellte sich auf das Treppchen neben ihre Teamkolleginnen Vanessa Voigt, Hanna Kebinger und Sophia Schneider. Sie bekamen das silberne Edelmetall für ihren grandiosen Staffel-Auftritt nachträglich überreicht - Dauerregen und Sturmböen hatten eine große Party am Abend zuvor auf der Medal Plaza in Oberhof verhindert. 

Staffel-Medaille eines der großen Highlights

"Das ist eine Medaille für ganz Biathlon-Deutschland", hatte Herrmann-Wick freudestrahlend nach dem Rennen gesagt. "Die Teammedaille ist die, für die wir das ganze Jahr lang kämpfen", ergänzte WM-Debütantin Sophia Schneider.

Die Staffel-Medaille vor voller Hütte gewonnen zu haben, ist sicherlich eines der großen Highlights - und wird das gesamte deutsche Frauen-Team auch in Zukunft beflügeln. "Die Staffel der Frauen war einfach super", blickte Sportschau-Experte Erik Lesser zurück. "Gerade wie Sophia Schneider und Hanna Kebinger sich präsentiert haben."

Herrmann-Wick nimmt den Druck vom Team

Im Schatten der Galionsfigur Denise Herrmann-Wick, die mit zwei Medaillen - Gold und Silber in Sprint und Verfolgung - früh bei dieser WM den großen Druck vom deutschen Team genommen hatte, konnten sich die jungen deutschen Starterinnen zu starken Leistungen aufschwingen. Die 25-jährige Schneider landete bei ihrer ersten WM drei Mal in den Top 15, Kebinger, die noch zu Jahresbeginn im unterklassigen Deutschlandpokal startete, gelang das ebenfalls. "Wir sind gut aufgestellt", warf Frauen-Trainer Kristian Mehringer schon mal den Blick in die Zukunft.

In dieser wird auf Sicht der große deutsche Superstar dieser WM keine Rolle mehr spielen. Herrmann-Wick begeisterte Fans und Experten gleichermaßen. "Bei ihrer letzten oder vorletzten WM mit dem Druck und den Erwartungen so umzugehen und abzuliefern, das hat mich wirklich tief beeindruckt", sagte Sportschau-Experte Arnd Peiffer. Herrmann-Wick zeichnete für die einzigen beiden deutschen Einzelmedaillen dieser WM verantwortlich, ohne sie wäre die Bilanz noch deutlich ernüchternder. Apropos ernüchternd, das war diese WM für die deutschen Männer.

Benedikt Doll: "Sehr viele Tiefs, wenige Hochs"

Kopfschüttelnd und pitschnass stand Benedikt Doll nach dem abschließenden Massenstart im strömenden Regen von Oberhof. Das Bild - so bitter es auch war - passte zu seiner Leistung an diesem Tag. Gleich sechs Strafrunden hatte Doll im Massenstart geschossen und kam abgeschlagen auf dem 26. Platz ins Ziel. Entsprechend ernüchternd fiel sein Fazit aus. "Es waren sehr viele Tiefs dabei, wenige Hochs. Am Schießstand habe ich es nicht hingekriegt, die Ski waren schlecht, läuferisch war die Motivation dann auch mal weg", bilanzierte Doll: "Es war ein Tag zum Vergessen."

Große Hoffnungen lagen auf dem 32-jährigen Schwarzwälder bei dieser Heim-WM. Mit seiner Erfahrung war Doll als Medaillenanwärter nach Oberhof gereist. Der Erwartungshaltung wurde er nicht gerecht. In der Mixed-Staffel schoss er eine Strafrunde und vergab dadurch die Medaille. Im Sprint setzte sich die Misere mit Rang 55 fort. Im Verfolger (15.) und im Einzel (5.) konnte er wiederum überzeugen. Umso bitterer der enttäuschende Abschluss im Massenstart.

Historische Pleite für DSV-Männer

Da auch seine Teamkollegen nicht auf das Treppchen liefen, blieben die deutschen Männer erstmals seit 1969 ohne WM-Medaille. Selbst in der Staffel, in der Doll und Co. in dieser Weltcup-Saison verlässlich abgeliefert hatten und in jedem der vier Rennen auf das Podest gelaufen waren, gab es nach Platz fünf lange Gesichter. "Wir haben es am Ende nicht hingekriegt", lautete Dolls einfache, aber klare Analyse.

Lediglich fünf Top-Ten-Plätze fuhren die Schützlinge von Bundestrainer Mark Kirchner am Ende dieser beiden Wochen am Rennsteig ein. Die historisch schwache Ausbeute nagte auch an Sportdirektor Felix Bitterling. "Enttäuschend" seien die Leistung insgesamt gewesen. "Unterm Strich bleibt stehen, dass wir keine Medaille haben. Wir waren in dem einen oder anderen Wettkampf nicht gut genug."

Damit kann man natürlich nicht zufrieden sein. Wenn man in jeder Staffel vorher auf dem Podest steht, möchte man zur WM auch eine Medaille holen.
Arnd Peiffer, Sportschau-Experte

2019 in Östersund und 2020 in Antholz hatte die deutsche Staffel noch Silber und Bronze geholt. Mit Doll damals noch auf der Strecke: Arnd Peiffer. Das Fazit des Olympiasiegers fällt ähnlich klar aus, wie das seines ehemaligen Teamkollegen. "Damit kann man natürlich nicht zufrieden sein. Wenn man in jeder Staffel vorher auf dem Podest steht, möchte man zur WM auch eine Medaille holen", sagte der Sportschau-Experte. "Aber es nicht alles eine Katastrophe. Die Ansätze sind da."

WM-Debütant Strelow überzeugt

So gab es auch einige Lichtblicke bei diesen Titelkämpfen. Johannes Kühn war im Sprint als Achter und in der Verfolgung als Sechster nah an den Top-Platzierungen dran. Auch Doll fehlte im Einzel nicht viel, um das Podest zu knacken. "Wir hatten viele Wettkämpfe, wo wir dabei waren, und dann hat der letzte Schuss oder sonst was nicht gepasst", meinte Bitterling.

Einer dieser Lichtblicke war aber vor allem Justus Strelow. Bei seinem WM-Debüt kam er in allen vier Einzel-Rennen unter die Top 15. "Er macht klasse Rennen, schießt gut", lobte Peiffer. Es fehle "einfach noch ein Stück weit die Laufperformance, um weiter nach vorne zu kommen".

DSV-Nachwuchs mit "gewissen Defiziten"

Strelow ist - trotz seiner bereits 26 Jahre - ein Versprechen für die Zukunft. Doll wird seine Karriere nach dieser oder der nächsten Saison beenden. Auch Kühn (31 Jahre) und Roman Rees (29) werden nicht mehr ewig im Weltcup-Zirkus mitmischen. Peiffer sieht das Team aber gut aufgestellt. "Die nächste Generation könnte wieder ganz vorne reinlaufen. So eine Mannschaft muss wachsen. Das war bei uns auch so. Ich wünsche mir, dass wir in zwei Jahren nicht mehr über die Erfolge von Lesser, Peiffer, Doll und Schempp reden, weil dann hoffentlich Neue da sind."

Von ihrer einstigen Stärke haben die deutschen Biathlon-Männer dennoch einiges eingebüßt - vor allem auf der Strecke. Konkret nannte Bitterling "gewisse Defizite bei den Athleten, die ins DSV-Kadersystem kommen. Die meisten sind läuferisch zu weit weg:" Um dem entgegenzuwirken, habe man bereits eine Trainer-Taskforce zusammengestellt: "Aber grundsätzlich müssen wir realistisch sagen, dass wir zwei, drei Jahre brauchen, bis wir von unten die nächsten hochkriegen."

Die WM-Festspiele des Johannes Thingnes Bö

Toptalente hat Norwegen dagegen zuhauf. Die Skandinavier waren auch bei diesen Weltmeisterschaften die dominierende Nation. Allen voran natürlich Johannes Thingnes Bö. Es folgt eine kleine, aber feine Auflistung von Spitznamen, Neologismen und Begriffen, die alle versuchen, die Leistungen von Bö bei diesen Weltmeisterschaften und insgesamt in dieser Saison in Worte zu gießen: Außerirdischer, Alien, Über-Biathlet, der Unschlagbare, Dominator, König, Biest, Übermensch, Kannibale der Strecke - die Aufzählung könnte noch eine Weile so weitergehen.

Oberhof wird zu "Böberhof"

Die Sportart in der sich Johannes Thingnes Bö verwirklicht, heißt naturgemäß "Böathlon" - der Austragungsort der WM könnte umbenannt werden in "Böberhof". Das Organisationskomitee überreichte Bö auf der letzten Pressekonferenz bereits ein Ortsschild mit genau diesem Namen. Fünf Goldmedaillen hat er gewonnen - dazu einmal Silber und einmal Bronze. "Das bedeutet mir sehr viel", gab sich der 29-Jährige erleichtert. "Vor der WM hoffst du, in jedem Rennen eine Medaille zu holen. Es ist sehr harte Arbeit und ich bin stolz drauf."

Seit Wochen versuchen Journalisten und Experten, das Erfolgsgeheimnis des norwegischen Superstars zu dechiffrieren, "Er hat die beste Technik, er hat das beste Material und auch seine Genetik - es passt einfach alles zusammen", versucht Peiffer das Phänomen Johannes Thingnes Bö zu analysieren.

Der Dominator schwächelt kurz vor Schluss

Ironischerweise ging dem Dominator im letzten Rennen so ein wenig die Puste aus. Selten war jemand vor einem Wettbewerb so favorisiert gewesen, wie Bö vor dem Massenstart. Doch drei Fehler am Schießstand waren zu viel. Bö musste sich mit Bronze begnügen. "Ob der da Bronze oder Gold gewinnt, ist mir eigentlich egal - er ist für mich so oder so der neue Don", resümierte Lesser. Und beweist gleichzeitig: Es sind doch noch nicht alle Umschreibungen für Johannes Thingnes Bö aufgebraucht.