Slalom in Courchevel Dieses spektakuläre Ende hat die Ski-WM verdient
Ein furioser Slalom beendet die Ski-Weltmeisterschaften in Courchevel: Henrik Kristoffersen fährt von Rang 16 nach vorne – den lautesten Jubel im vollen Zielstadion erntet trotzdem ein historischer Grieche.
Am Ende des Slaloms bei der Ski-WM in Courchevel hatte Henrik Kristoffersen vermutlich alle Gefühlswallungen durch. Wohl auch deshalb drehte sich der 28-Jährige, nachdem der Österreicher Manuel Feller als letzter Skirennfahrer am Sonntag (19.02.2023) das Ziel erreichte, erst einmal um und stützte sich an der mit Luft gefüllten Bande ab. Nun musste er für ein paar Sekunden durchschnaufen. In diesen paar Sekunden noch einmal diese wilde halbe Stunde, diesen spektakulären WM-Slalom Revue passieren lassen.
Hinter dem Norweger lag eine Zeit zwischen Hadern und Hochgefühl. Von Rang 16 aus war er in den Finaldurchgang gestartet, im Ziel lag er dann erst einmal ganz vorne vor dem Deutschen Sebastian Holzmann. Kristoffersen aber dachte, dass er im oberen Streckenabschnitt zu viel Zeit liegen gelassen hatte. Er haderte, dass ihm kein furioser Lauf gelang. "Ich habe im Ziel nicht geglaubt, dass ich heute Gold gewinne."
Kristoffersen zittert und dankt dem deutschen Team
Er machte es sich trotzdem auf dem mit Lammfell abgedeckten Siegerstuhl gemütlich und beobachtete weit nach vorne gebeugt und mit Blick auf den TV-Bildschirm dort die nächsten Läufer. Rücken-Orthopäden sahen das zwar vermutlich nicht so gerne, aber die sehen auch die wilde Slalom-Wedelei auf diesem Courcheveler Eishang nicht so gerne. Einer nach dem anderen biss sich an Kristoffersens Zeit die Zähne aus, aus dem Hadern wurde ein Lächeln, ein Kopfschütteln, ein Lachen. Aber immer auch wieder ein Zittern. Und als auch sein norwegischer Landsmann Lucas Braathen hinter ihm im Ziel ankam und Kristoffersen Bronze sicher war, flossen sogar ein paar Tränen.
Auch der Grieche AJ Ginnis und Feller waren dann schlicht zu langsam. Jetzt jubelte Kristoffersen, ehe er sich diesen Moment der inneren Ruhe an der Begrenzung im lauten Zielstadion nahm. Als neuer Slalom-Weltmeister. Er hat in diesem zweiten Durchgang rekordverdächtige 15 Plätze gutgemacht. "Danke deutsche Mannschaft, danke Bernd Brunner", sagte er im Sportschau-Interview, Brunner hatte den Kurs gesetzt. "Mit so einer Kurssetzung gibt es Möglichkeiten von Platz 16 im ersten Lauf aus."
Shootingstar Ginnis überrascht alle
Es war die Krönung seines Husarenritts zu seinem zweiten Weltmeistertitel – und dem ersten in seiner Paradedisziplin. Den lautesten Jubel im Zielstadion erntete trotzdem ein Grieche: Alexander John Ginnis. Der raste völlig überraschend auf den zweiten Platz, die erste Medaille für das Land bei einer Ski-WM. Ginnis fasste sich im Ziel immer wieder mit beiden Händen an den Kopf, er konnte diesen Husarenritt kaum glauben. Dritter wurde der Italiener Alex Vinatzer, der ebenfalls seine erste WM-Einzelmedaille holte.
"Ich weiß nicht, was in den letzten zwei Wochen passiert ist", sagte Ginnis – angesichts eines weiteren zweiten Platzes beim letzten Weltcup-Slalom vor der WM in Chamonix. Zu den geplanten Feierlichkeiten meinte er: "Ich muss schauen, was in der Nacht geht. Ich weiß, dass wir morgen um sechs Uhr in die USA fliegen müssen. Ich glaube nicht, dass wir heute Abend schlafen." Ginnis, ebenfalls 28 Jahre alt, nahm für die USA an den Weltmeisterschaften 2017 teil, wurde dann aber nach der Saison 2017/18 aufgrund mehrerer Verletzungen aus dem Nationalteam gestrichen.
Ginnis Coup nicht die einzige WM-Überraschung
Dennoch sagt er: "Ohne das US-Team wäre ich nicht der Skifahrer, der ich heute bin." Er wechselte in sein Geburtsland Griechenland, wo er am Berg Parnassus, 2,5 Autostunden von Athen entfernt, das Skifahren lernte. Im Alter von 12 Jahren zog er nach Österreich und drei Jahre später nach Vermont in die USA.
Ein spektakulärer Coup – und eine der größten Überraschungen bei dieser an Überraschungen reichen WM. Der Kanadier James Crawford wurde etwa Super-G-Weltmeister, seine Kollegin Laurence St. Germain gewann den Slalom, beide hatten zuvor kein Weltcup-Rennen gewonnen.
Holzmann nach Rang fünf "überglücklich"
Dem deutschen Team gelang zum Abschluss auch noch eine Überraschung: Sebastian Holzmann fuhr auf einen starken fünften Rang, nur 24 Hundertstelsekunden fehlten zu Bronze. So gut war er im Weltcup noch nie, da steht bislang Rang elf als stärkstes Ergebnis zu Buche. "Dass es so weit nach vorne geht, hätte ich mir jetzt auch nicht erträumt", sagte der Oberstdorfer, der damit auch erstmals an einer WM-Siegerehrung teilnehmen durfte. "Das ist gigantisch. Ich bin überglücklich."
Der höher eingeschätzte Ausnahmekönner Linus Straßer hat nach Platz vier im ersten Durchgang dagegen die angestrebte Medaille klar verpasst. Der 30 Jahre alte Münchner wurde Neunter. Er kam mit dem von Brunner gesetzten Kurs nicht richtig zurecht. Es war einfach nicht sein Tag, es war einfach nicht sein Lauf – es war der Tag, es war der Lauf von Henrik Kristoffersen und von Alexander John Ginnis.