Ski-WM in Méribel Wo Draisaitls Puck auf der Torlinie liegen blieb
Das Medienzentrum der Ski-WM befindet sich in Méribel an einem aus deutscher Sicht sporthistorischen Ort: im Olympia-Eisstadion von 1992. Dem Ort also, an dem Millimeter ein deutsches Eishockey-Wunder zunichte machten.
Der Eishockey-Puck kullerte Richtung Tor, die deutschen Fans hofften und bangten. Doch dann entschied sich das Spielgerät im letzten Moment dafür, umzukippen. Exakt auf der Torlinie. Es blieb dieses historische Bild: die schwarze Scheibe auf der roten Torlinie.
Jeder deutsche Eishockey-Fan weiß, wann und wo sich das zutrug. 1992 bei den Olympischen Winterspielen. Peter Draisaitl war der Pechvogel, Deutschland verpasste die Sensation im Viertelfinale, weil der NHL-Star Eric Lindros anders als Draisaitl seinen Penalty zuvor traf.
Plastikmatten statt Eis, Journalisten statt Eishockey-Cracks
31 Jahre später war dieser historische Boden endlich wieder Teil eines Wintersport-Großereignisses: Doch es lagen unzählige, schwarze Plastikmatten dort aus, wo Peter Draisaitl auf Schlittschuhen einst aufs Tor schoss. Journalisten saßen auf dem Hallenboden auf grauen Plastikstühlen an großen, weißen Tischen. Sie stierten auf ihre Bildschirme, tippten auf ihren Laptops, sprachen in ihre Aufnahmegeräte oder hörten den Medaillengewinnern bei ihren Pressekonferenzen zu. Und es roch da drin überhaupt nicht nach frisch aufbereitetem Eis, sondern nach Essen: Mal schwebte der Schinken-Sandwich-Duft durch die Lüfte, mal der warme, geschmolzene Savoyer Käse. Beides gab es im Restaurant über den Zuschauerrängen.
Der Innenraum des Mediacenters in Meribel
Die olympische Arena in Méribel wurde in den vergangenen zwei Wochen zum Medienzentrum der Ski-WM von Courchevel/Méribel umfunktioniert. Statt der weißen Schalensitze war nun eben der Innenraum gut gefüllt. Volunteers in blauen Pullovern betreuten die Journalisten dort am Eingang. Ob sie wissen, auf welcher Seite der Halle Draisaitl damals abzog und der Puck auf der Torlinie liegen blieb? Puh, das nicht, aber ja, diese deutsche Eishockey-Geschichte haben sie schon gehört. Es war ein olympischer Moment für die Ewigkeit.
Fast ein Wunder von Méribel
Ein "Klassiker", wie Draisaitl, der Vater des aktuellen NHL-Profis Leon, selbst mit einem breiten Lachen in einer Olympia-Dokumentation der Sportschau sagte. Die Geschichte ist so oft erzählt, so oft gezeigt worden. Und immer wieder packt sie einen. Schließlich wäre dieser Eishockey-Abend beinahe zum "Wunder von Méribel" geworden – le miracle de Méribel (angelehnt ans "Miracle on ice", das die US-Cracks zwölf Jahre zuvor in Lake Placid vollbracht hatten). Wenn – ja, wenn – eben nur alles gut gegangen wäre aus Draisaitls Sicht.
Die Eishockey-Spielerbänke in Méribel
Mit einem 3:3 kämpften sich die Mannschaften an diesem 18. Februar 1992 vor 5.500 Zuschauern in die Verlängerung, später im Penaltyschießen stand es nach fünf Schützen 2:2, die Entscheidung musste auch da in der Verlängerung fallen.
Draisaitl bangte, dass der Puck die Linie noch überquert
Lindros traf schon einmal. Dann kam Peter Draisaitl – er brauchte ein Tor, um sein Team weiter im Spiel zu halten. "Penaltyschießen ist keine einfache Geschichte für die, die anlaufen. Da hat der Torwart die viel größeren Chancen", sagt er. Seinen ersten Penalty hatte er vergeben, nun der zweite Versuch. Der deutsche Mittelstürmer lief an, tauchte blitzschnell vor dem Tor auf, dann schoss er. Sein Ziel: durch die Beine von Torwart Sean Burke treffen.
Auf den ersten Blick misslang das, Burke wehrte ab. Und auf den zweiten? Da nahm Draisaitl wie die schon vor Freude hinter Burke aufgesprungenen kanadischen Fans wahr: "Dann habe ich das Ding rauskullern sehen. Dann stehst du da." Er bangte, als die Scheibe hinter dem liegenden Burke weiterrollte, beharrlich näherte sie sich dem Ziel.
Bis sie unmittelbar vor der Überquerung der Torlinie, wie eine Geldmünze auf dem Tisch, noch eine letzte Kreiselbewegung machte und sich aufs Eis legte. Das Bild ging um die Welt, um Millimeter hatte Deutschland die Sensation gegen Kanadas Weltstars verpasst. Deren Fans durften nun doch jubeln – am Ende gewannen sie Silber, das DEB-Team wurde Sechster. "Im Nachhinein trotz der ganzen Tragik eine schöne Geschichte", sagt Draisaitl. Seine Karriere ist damit untrennbar verbunden.
Olympia-Eisstadion in Méribel mittlerweile umgebaut
Das Stadion in Méribel ist mittlerweile umgebaut wurden, die vielen weißen Plastiksitzschalen umrahmen zwar weiterhin das Oval. Nur sind sie weniger geworden: Statt der mehr als 6.000 Zuschauer passen inzwischen gerade einmal 2.500 Zuschauer hinein. Eishockey ist in Frankreich keine Top-Sportart, die Olympia-Kapazitäten zu ausladend. Die "Bouquetins", die Steinböcke vom Klub Hockey Courchevel Méribel Pralognan, tragen hier einen Großteil ihrer Drittliga-Heimspiele aus.
Das Olympia-Eisstadion in Méribel von außen
In den Ski-WM-Tagen war es natürlich deutlich ruhiger in der Halle als vor 31 Jahren. Konzentrierte Büroarbeit und Pressekonferenzen eben, kein Gerangel, keine Bandenchecks und laute Anfeuerungen. Unweit der Umkleidekabinen der Eishockey-Cracks befanden sich die Toiletten für die Medienvertreter, in der Bar oberhalb der Spielerbänke kauften diese Wasser, Limo und Cola. Und ganz oben, weit über den Köpfen der Reporter und direkt unter dem Dach des Eisstadions von Méribel, war dann doch noch dieses eine Zeichen an die Winterspiele 1992: eine Fahne mit den olympischen Ringen. Sie schwebte auch in den Tagen der Ski-WM über allem.
Im Innenraum der Halle arbeiten Journalisten, unter dem Dach die Olympia-Flagge