Alpine Ski-WM Der Tag, an dem für Lena Dürr alles Gute zusammenkommt
Lena Dürr hat beim Slalom in Méribel ihre erste WM-Einzelmedaille gewonnen. Damit macht sie auch ihr bitteres Olympia-Erlebnis von Peking vergessen.
Als sie dieses Karriereziel endlich erreicht hatte, da war die Freude bei Lena Dürr verhalten. Das hatte auch seinen Grund: Die 31-Jährige hatte beim Slalom der Ski-WM in Méribel ja davon profitiert, dass die an diesem Samstag (18.02.2023) deutlich schnellere Schweizerin Wendy Holdener ausschied. Die Unachtsamkeit einer Gegnerin kreierte also diesen Moment, in dem der Germeringerin Lena Dürr ihre erste WM-Einzelmedaille nicht mehr zu nehmen war.
Ein wenig musste sie das an ihre eigene Karriere, an ihr eigenes Trauma erinnern: War sie doch vor einem Jahr selbst so schnell unterwegs, führte nach dem ersten Durchgang und bis zur allerletzten Zwischenzeit im Olympia-Slalom von Peking - doch nur Sekunden später saß sie im Ziel im Schnee, die Skier an ihren Füßen, höchst frustriert. Und unweit der drei Medaillengewinnerinnen. Um 16 Hundertstelsekunden verpasste sie Gold, um sieben Bronze, über das sich Holdener im Februar 2022 freute.
Dürr macht die Tränen von Peking vergessen
Nun drehte sich das Schicksal der beiden: Dürr holte Bronze, Holdener ging leer aus. Wohl auch deshalb umarmte die Deutsche die ausgeschiedene Holdener mit beiden Armen, drückte sie eine zeitlang an sich. "Schade" finde sie es für die Schweizerin, die vor dem Finale noch Zweite war, sagte Dürr der Sportschau. "Aber es ist, glaube ich, einfach Skifahren. Es kommt und geht, und die Hundertstel waren an diesem Tag auf meiner Seite. Wenn ich an Olympia vor einem Jahr zurückdenke: Da war ich als Vierte so knapp daneben. Vielleicht ist heute der Tag, an dem ich das zurückbekomme."
All die Tränen, die sie im Ziel von China vergoss, waren am Samstagnachmittag vergessen. Im Alter von 31 Jahren hat sich Dürr schlicht nach oben katapultiert. Kurz vor der WM gewann sie im tschechischen Spindleruv Mlyn erstmals einen Weltcup-Slalom, jetzt folgte WM-Bronze. Über Jahre habe sie mit dem gesamten Team hart gearbeitet, auch nach schwächeren Wintern nie aufgegeben, nun kam all das Glück zurück: "Dementsprechend bin ich heute auch glücklich, dass ich mir und allen in meinem Umfeld die Medaille da schenken kann."
Es hat ein wenig gedauert in ihrer Karriere, aber nun startet sie umso stärker durch. Als ihr Name während der "Flower Ceremony" aufgerufen wurde, schaute Dürr zu Boden. So, als könnte sie dieses Ende dieses Tages kaum fassen.
Wolfgang Maier: "Manchmal ist der liebe Gott ein deutscher Rennfahrer"
Gerade während Holdeners Lauf musste die Oberbayerin ja noch um diesen Glückstag zittern, schließlich lag sie zu diesem Zeitpunkt im Ziel schon hinter der Sensations-Weltmeisterin Laurence St. Germain auf Platz zwei - und nach Holdener sollte auch noch die am Ende Zweitplatzierte Mikaela Shiffrin fahren. Die US-Amerikanerin führte zur Halbzeit, büßte dann aber gegenüber der stark attackierenden St. Germain Zeit ein. Dennoch holte die 27-jährige noch Silber und gewann bereits ihre dritte Medaille in Méribel. Wirklich stolz sei sie auf ihre Leistung in diesen drei Wochen in Frankreich, sagte Shiffrin später.
Doch zurück zu Dürr: Dem DSV-Alpinvorstand Wolfgang Maier schwante, während Holdener so stark nach unten wedelte, Böses: "Ich saß dort und dachte: Scheiße, jetzt wird sie wieder Vierte. Aber manchmal ist der liebe Gott ein deutscher Rennfahrer." Das sei "das Glück, das der Lena das eine oder andere Mal gefehlt hat".
St. Germains Slalom-Sensation
Nach Alexander Schmids Gold im Parallel-Event holte Dürr die zweite deutsche Medaille bei der WM in Frankreich. "Es ist allgemein wichtig für den Deutschen Skiverband, dass man auf beiden Seiten Medaillenanwärter hat", sagte der Frauen-Cheftrainer Andreas Puelacher. Dürrs Edelmetall hatte sich der deutsche Verband erhofft, vielleicht sogar erwartet nach dieser starken Saison, in der sie fast durchweg unter die besten acht fuhr, wenn sie ins Ziel kam.
Anders verhält sich das bei der Weltmeisterin St. Germain, sie dürften die wenigsten Experten auf dem Zettel gehabt haben, denn das Gold der Kanadierin war schlicht eine Sensation. "Das ist unglaublich", sagte auch Dürr. "Aber das ist einfach eine WM. Die größten Ereignisse haben immer ein bisschen eigene Gesetze. Und es freut mich unglaublich für sie."
St. Germain und Dürr plaudern auf dem Weg zur Siegerehrung
Dürr hatte auf dem Weg zur Siegerehrung noch ein wenig mit St. Germain geredet, die Kanadierin konnte dabei gar nicht mehr aufhören zu grinsen. Sie erzählte der Deutschen dabei, dass sie noch nie besser als Sechste im Slalom war. Doch an diesem Tag passte einfach alles zusammen - bei beiden Skirennfahrerinnen.
Für St. Germain hing, anders als für Dürr, Shiffrin, Holdener und so viele andere, noch kein Transparent eines Fanklubs auf der Tribüne. Das dürfte sich bald ändern. Als Weltmeisterin ist sie schließlich im Kreis der ganz großen Slalomfahrerinnen angekommen - so wie spätestens seit dieser Saison auch Lena Dürr.