Vorschau Olympia ist Geschichte, jetzt kommen die Paralympics
Die Paralympics werden am Mittwochabend (28.08.2024) in Paris feierlich eröffnet. Bis zum 8. September fallen 549 Medaillenentscheidungen. Und die Hoffnung ist groß, dass nach den begeisternden Olympischen Spielen auch die 4.400 Para-Athletinnen und -Athleten unvergessliche Sommerspiele erleben werden.
Thomas Schmidberger ist in den Tagen vor seinen vierten Paralympics in Paris tiefenentspannt. "Es ist richtig schön hier", freut sich der deutsche Tischtennisspieler bei strahlendem Sonnenschein auf der Plaza im paralympischen Dorf. "Ob man hier um sieben Uhr morgens oder zehn Uhr abends unterwegs ist - man trifft immer jemanden und kommt ins Gespräch." Nach den Erfahrungen von den Corona-Spielen in Tokio weiß der 32-Jährige dieses Miteinander umso mehr zu schätzen.
Dass es bei den Olympischen Spielen Kritik an Unterbringung und Verpflegung gegeben hat, kann Schmidberger nicht nachvollziehen. "Mein Eindruck ist bis jetzt extrem positiv", sagt er und fügt hinzu: "Ich finde es ein bisschen komisch. Wenn jemand erwartet, dass er hier dreimal täglich beim Fünf-Sterne-Koch isst, ist er vielleicht einfach falsch."
Und dann ist da noch diese große Vorfreude auf die eigenen Wettkämpfe - die "Mega-Stimmung bei Olympia" hat auch beim sechsfachen Paralympics-Medaillengewinner große Lust auf mehr gemacht.
549 Medaillenentscheidungen in 22 Sportarten
Und es kann losgehen: Die Wettkampfstätten sind umgebaut worden und haben ihr Gesicht noch einmal verändert. Die olympischen Ringe sind dem Agitos-Logo der Paralympics gewichen - so zum Beispiel am Stade de France, das man weithin sehen kann. Einige Venues sind abgebaut worden, in den meisten geht es allerdings ab Donnerstag wieder rund. An den elf Wettkampftagen fallen in 22 Sportarten 549 Medaillenentscheidungen. Etwa 4.400 Aktive aus 167 Delegationen, dem Team der Geflüchteten und unter neutraler Flagge (Russland und Belarus) sollen am Start sein.
Aus dem olympischen ist das paralympische Dorf geworden
Auch das olympische Dorf ist durch wenige Umbauarbeiten schnell zum paralympischen Dorf geworden. Schon bei der Planung und beim Bau sei an Sportlerinnen und Sportler mit eingeschränkter Mobilität gedacht worden, betonte der Leiter des Komplexes, Laurent Michaud: "Öffentliche Plätze, Straßen, Bürgersteige und Fußgängerüberwege wurden so gestaltet, dass Rollstuhlfahrer sie problemlos benutzen können. Dadurch hatten wir in diesen Bereichen nur noch sehr wenig zu tun."
Auch an Rampen für Rollstuhlfahrende und Menschen mit Einschränkungen beim Gehen beim Haupteingang, im Empfangszentrum der Delegationen oder am Busbahnhof war bereits bei der Planung gedacht worden. Neu sind hingegen farbliche Markierungen, um optisch auf besondere Hindernisse und gefährliche Stellen hinzuweisen.
Außerdem seien die Trinkwasserbrunnen in Paris auf eine niedrigere Höhe gebracht worden, um sie für Rollstuhlfahrer, Blindenführ- und Assistenzhunde zugänglich zu machen. Insgesamt wurden rund 125 Millionen Euro für mehr Barrierefreiheit in der Olympiastadt ausgegeben.
Volle Arena und super Stimmung statt Masken und Angst
Auch Rollstuhlbasketballerin Lisa Bergenthal kann kaum erwarten, dass es losgeht. Tokio war für die 24-Jährige das erste Turnier überhaupt mit der Nationalmannschaft. Deshalb sei sie erst einmal von allem "geflasht" gewesen. "Aber wie traurig war es, dass wir überall Maske tragen mussten, immer in Sorge, dass wir uns anstecken und vielleicht in Quarantäne müssen. Und dass wir vor leeren Rängen gespielt haben, war schon sehr enttäuschend", blickt die Triererin inmitten des paralympischen Treibens von Paris zurück.
Diese Paralympics werden so viel schöner als Tokio sein. Ich werde alles aufsaugen.
Der Gedanke an die volle Arena "ist jetzt umso geiler. Anders kann man es gar nicht sagen. Diese Paralympics werden so viel schöner. Ich werde alles aufsaugen." Die Athletin strahlt und begrüßt freudig einige ihrer Teamkolleginnen, die bei ihrer Tour durch das olympische Dorf an der Plaza vorbeigekommen sind.
Größeres Aufgebot = größere Medaillenchancen?
Insgesamt 143 Sportlerinnen und Sportler umfasst das Aufgebot, das der Deutsche Behindertensportverband (DBS) für diese Sommerspiele nominiert hat. Zum Vergleich: Das sind acht Aktive mehr als bei den Spielen in Japan, bei denen das deutsche Team insgesamt 43 Medaillen (13/12/18) gewann.
Aus der Größe des Aufgebots lassen sich allerdings nur wenige Rückschlüsse auf die Medaillenchancen ziehen. Allein ein Dutzend Teilnehmende entfallen auf das (Mixed-)Team im Rollstuhlrugby, das sich erstmals seit 2008 wieder qualifizieren konnte. Aber die Hoffnung ist groß, dass es auch diesmal ähnlich viele Podestplätze werden.
Die Prämien für deutsche Medaillen entsprechen denen bei den Olympischen Spielen: 20.000 Euro gibt es für eine Goldmedaille, 15.000 für Silber und 10.000 für Bronze. Gestaffelte Prämien gibt es auch für die Plätze vier bis acht.
Rehm: "Es wird besonders emotional"
Weil die Paralympics erstmals seit zwölf Jahren wieder in Europa stattfinden, kann sich die deutsche Mannschaft auf viel Unterstützung aus der Heimat freuen. "Meine Erwartungen an Paris sind hoch", betonte Sprinter Johannes Floors, der vor drei Jahren auf seinen beiden Prothesen zu Bronze über 100 m und Gold über seine Paradestrecke 400 m gesprintet ist. "Jetzt mit den Spielen so nah hoffe ich auf ganz besondere Spiele, die für jeden zugänglich sind. Meine Familie und einige Freunde werden mich vor Ort unterstützen und wollen das paralympische Feeling einfach mal mitnehmen."
Auch Rollstuhlfechter Maurice Schmidt sprach von einem "ordentlichen Fanclub", der ihn begleiten werde. "Ich glaube, das wird sehr spaßig. Das erzeugt ein bisschen mehr Druck, aber ich glaube, der tut mir auch gut." Bergenthals Basketball-Teamkollegin Mareike Miller unterstrich: "Ich glaube, die Spiele werden einfach großartig."
Und auch Weitsprung-Champion Markus Rehm freut sich auf die besondere Unterstützung: "Meine Eltern werden wie schon bei meinen ersten Spielen in London wieder mit dabei sein. Ich glaube, es wird ganz besonders emotional, wenn man all die lieben Menschen sieht, die einen über all die Jahre großartig unterstützt haben."
DBS-Präsident Beucher: "Olympia und Paralympics auf Augenhöhe"
DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher bezeichnete seine Vorfreude als riesig und erklärte: "Mir geht das Herz auf mit jeder Symbolik, auf die ich an der Straßenecke treffe. Das hat am Rathaus von Paris angefangen - wo an der linken Seite die olympischen Ringe waren und an der rechten Seite die Symbole der paralympischen Weltbewegung." Schon während der Olympischen Spiele prangten am Eiffelturm zwar die Ringe, am Arc de Triomphe wurde allerdings mit dem Agitos-Logo schon für die Paralympics geworben.
In dieser Hinsicht gehe Frankreich voran. "Das ist das Tolle, was den Franzosen hier gelungen ist: Optisch auf Augenhöhe darzustellen, dass olympischer und paralympischer Sport eben Sport ist - ob mit oder ohne Behinderung", so Beucher, der fest davon ausgeht, "dass es bei den Paralympics wie bei Olympia sein wird".
Sportschau-Expertin Bruhn vor Paralympics skeptisch
Sportschau-Expertin Kirsten Bruhn schaut hingegen mit gemischten Gefühlen auf die kommenden zwölf paralympischen Tage. "Olympia hat meine Erwartungen noch übertroffen. Es war ein internationales Sport-Stadtfest, bei dem die Pariserinnen und Pariser ganz dicht dran sein konnten. Besonders nach den Erfahrungen von Tokio hat mich das für die Athleten sehr gefreut", sagt die elfmalige Paralympics-Medaillengewinnerin und stellt fest: "Die Unterstützung pusht natürlich alle, man wird getragen - das ist einfach so. Die Leistungen werden dadurch besser."
Ich habe die Befürchtung, dass die Paralympics da nicht mithalten können und man nach dieser Begeisterung jetzt in ein Loch fällt.
Aber die Olympischen Spiele haben die Latte natürlich auch hoch gelegt. "Ich habe die Befürchtung, dass die Paralympics da nicht mithalten können und man nach dieser Begeisterung jetzt in ein Loch fällt", sagt Bruhn.
Paris peilt Ticketrekord an
Die Zahl der verkauften Tickets zog zuletzt zumindest noch einmal an: Einen Tag vor dem Start waren mehr als zwei Millionen Karten verkauft, teilte Organisationschef Tony Estanguet am Dienstag (27.08.2024) mit. Er sei optimistisch, dass Kurzentschlossene auch die verbleibenden 500.000 Eintrittskarten noch erstehen werden. Der Rekord von London, als 2,5 Millionen Zuschauer bei den Wettkämpfen dabei waren, könnte geknackt werden.
Auf der Plaza des paralympischen Dorfes hat Routinier Schmidberger keine Sorgen, dass die Stadien und Hallen leer bleiben. "Die Leute gehen einfach davon aus, dass sie safe noch eine Eintrittskarte bekommen, wenn sie zu den Spielen wollen", sagt der Athlet, der vor Tokio auch schon in Rio und London mit dabei war. "Und ich gehe fest davon aus, dass wir ein gut besuchtes Stadion haben werden. Nachdem was bei Olympia abging, freue ich mich besonders auf das Publikum."