Weitsprung bei den Paralympics Markus Rehm und der Traum von den magischen neun Metern
Kein Deutscher hat den Para-Sport so geprägt wie Weitspringer Markus Rehm. Der Ausnahmeathlet hat insgesamt schon viermal Paralympics-Gold gewonnen. Sein großes Ziel, als erster Mensch über neun Meter zu springen, treibt den mittlerweile 36-Jährigen weiter an.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Rehm ist im 14. Jahr seiner internationalen Karriere nach wie vor ungeschlagen! Der Schwabe gewann schon 2012 bei den Paralympics Gold. 2016 in Rio (dazu war er Teil der goldenen 4x100-Staffel) und auch 2021 in Tokio holte Rehm den Titel. Und irgendwie gelingt es ihm immer wieder, sich zu steigern. Im vergangenen Jahr verbesserte er seinen eigenen Weltrekord auf 8,72 Meter. Und auch in diesem Jahr ist er gut drauf - vor drei Monaten holte er den WM-Titel.
Neun Meter sind eine magische Marke. Viele sagen, dass es nicht möglich ist, so weit zu springen. Ich habe schon oft davon geträumt, als erster Mensch so weit zu springen.
Es ist eine spezielle Situation, denn seine Motivation kann Rehm nur in Maßen aus dem direkten Wettkampf ziehen. Seine Paralympics-Titel gewann er in der Klasse der einseitig Unterschenkelamputierten schon mal mit mehr als einem Meter Vorsprung. Bei der WM im japanischen Kobe waren es zuletzt 61 Zentimeter Vorsprung.
Es ist die Perfektion, die Rehm antreibt - und ein ganz großes Ziel: "Neun Meter sind eine magische Marke. Viele sagen, dass es nicht möglich ist, so weit zu springen. Es ist ein Traum", erklärt der Athlet von Bayer Leverkusen. Denn noch nie ist es einem Menschen gelungen, so weit zu fliegen.
US-Amerikaner Powell landete 1991 bei 8,95 m
Rehm ist davon überzeugt, dass jeder, der schon mal 8,50 m gesprungen ist, auch an diese Marke gedacht hat. Lange schien Bob Beamon aus den USA, mit seinem Sprung auf 8,90 m im Jahr 1968 einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt zu haben. 23 Jahre später landeten jedoch seine Landsmänner Carl Lewis bei 8,87 m und Mike Powells Satz bei 8,95 m - Letzterer blieb bis heute unübertroffen.
Das Olympia-Gold von Paris ging gerade mit 8,48 m an den Griechen Miltiadis Tendoglou. In Tokio hatte der 26-Jährige auch schon gewonnen - mit sieben Zentimetern weniger. Seine persönliche Bestleistung liegt bei 8,65 m.
Trainerin Nerius haut das Ziel "einfach mal raus"
Rehm darf sich nur außer Konkurrenz mit den besten Olympioniken messen. Ob sich die Weiten, die er mit seiner Prothese springt, mit denen der zweibeinigen Konkurrenz vergleichen lassen, ist seit Jahren strittig. Auch eine Studie, an der Rehm vor einigen Jahren teilgenommen hatte, hat den Weltverband World Athletics nicht überzeugen können.
Sein Ziel ist aber klar: "Ich habe schon oft davon geträumt, als erster Mensch die neun Meter zu schaffen." Dass er darüber mittlerweile offen spricht, hat er seiner Trainerin Steffi Nerius "zu verdanken".
Sie habe ihm mal ein Interview von sich zugeschickt, da hatte sie den (gemeinsamen) Traum "einfach mal rausgehauen". Seitdem sind die neun Meter auch offiziell "mein Ziel - darauf arbeiten wir hin".
Der Einzelkämpfer hat sich noch mal neu erfunden
Nach drei Paralympics-Siegen im Weitsprung, fünf EM- und nunmehr sieben Weltmeister-Titeln ist Rehm deshalb trotz seines fortgeschrittenen Alters noch lange nicht am Ziel. Einerseits weil er als gelernter Orthopädietechniker-Meister immer wieder etwas findet, das es an seiner Prothese zu verbessern gibt. "In dieser Saison passt es noch nicht zu 100 Prozent." Er weiß, dass er technisch nachsteuern muss, wenn sich sein Körper oder technische Aspekte verändern.
An meinem Sprung auf 8,72 Meter war noch nicht alles perfekt.
Er sieht aber auch bei sich immer noch körperliches Potenzial. Im Trainingslager im Frühjahr in Südafrika hatte er einmal mehr daran Spaß, seinen Körper zu Höchstleistungen zu bringen. "Es sieht grad gut aus", stellte er damals zufrieden fest.
In der Trainingsgruppe mit Noah Bodelier aus dem Leverkusener Perspektivkader und dem Griechen Stelianos Malakopoulos, der extra nach Deutschland gekommen ist, um vom Besten zu lernen und unter Nerius zu trainieren, hat der "Einzelkämpfer" sich auch noch mal neu erfunden.
Der perfekte Sprung braucht perfekte Bedingungen
Um den Traum von den neun Metern wahr werden zu lassen, muss allerdings alles passen. "Dafür brauche ich perfekte Bedingungen und auch perfekten Wind", erklärt Rehm. In einem geschlossenen Stadion wie bei den Paralympics dürfte so ein Satz deshalb nahezu unmöglich sein. Wenngleich er unterstreicht, dass er ein absoluter Wettkampftyp sei.
Bei der Paralympics-Generalprobe im Rahmen des Diamond-League-Meetings in Lausanne kam er auf 8,20 m. Bei 8,30 m landete er zuletzt bei der WM in Japan. "Da ist noch viel mehr drin", betonte Rehm angesichts schwieriger Windverhältnisse und fügte gewohnt selbstbewusst hinzu: "Wir sind auf dem richtigen Weg und die ganz großen Sprünge kommen noch."
Er möchte an die 8,72 m aus dem vergangenen Jahr anknüpfen - und sein Limit noch weiter nach oben schrauben: "An dem Sprung war noch nicht alles perfekt." Zusammen mit Nerius ist er genau in die Analyse gegangen. Und allein bei der Landung habe er viel verschenkt. "Und wenn man das auf die Weite draufrechnet, kommt man den neun Metern schon sehr nahe."