Montage: Trainerin Kim Kulig vom FC Basel (l.) neben Sydney Schertenleib im Schweizer Nationaltrikot

Frauen-EM 2025 100 Tage bis zur EM - "Der Schweizer Frauenfußball ist hintendran"

Stand: 24.03.2025 18:44 Uhr

Am 2. Juli beginnt die Fußball-EM der Frauen in der Schweiz. Die Bestandsaufnahme in der heimischen Liga fällt ernüchternd aus. Aber die Zukunftsvisionen im Nationalteam machen Hoffnung.

Manchmal ist Kim Kulig desillusioniert. Wenn sie am Donnerstag vor dem Liga-Wochenende erfährt, dass ihr Auswärtsspiel auf einem ganz anderen Platz und auf Kunst- anstatt auf Naturrasen stattfindet, wähnt sich die Trainerin der Frauen des FC Basel im falschen Film. Das klingt nicht nach dem großen Fußball, den die nahende EM in der Schweiz verspricht, sondern nach biederem Amateurgekicke.

Wir müssen uns alle fragen, wie viele junge Talente im Sommer wieder die Schweiz verlassen werden.
Trainerin Kim Kulig vom FC Basel

"Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Schweiz hinten dran", stellt Kulig auch deshalb fest. Es gebe noch vieles, was sich in der Liga verbessern ließe. In Basel habe sich in den vergangenen Jahren schon viel zum Positiven verändert. Doch das Zuschauerinteresse bleibt überschaubar, das Leistungsgefälle ist groß. Und nach wie vor hat die ehemalige deutsche Nationalspielerin zum Beispiel als Trainerin in der Schweiz noch nie eine Pressekonferenz nach dem Spiel erlebt.

Sie blickt aufs große Ganze: "Die Vereine in der Schweiz müssen eine Entscheidung treffen: Ist es nur eine Ausbildungs-Liga oder doch mehr?" Mit Blick auf das EM-Turnier spricht sie von "einer spannenden Phase. Aber ich habe schon die Angst und befürchte, dass die Schweiz insgesamt weiter abgehängt wird."

Schweizer Clubs in der Champions League chancenlos

Der Blick auf die Ergebnisse in der Champions League nährt diese Sorge: In unschöner Regelmäßigkeit sind die Schweizer Meisterinnen in den vergangenen Jahren immer an der Auftakthürde gescheitert - entweder bereits in den Play-offs, wie Servette Genf in dieser Saison, oder punktlos in der Gruppenphase wie der FC Zürich in der vergangenen Spielzeit oder Genf im Jahr davor.

Der letzte Sieg datiert aus der Saison 2018/2019. Vor der Champions-League-Reform überstand Zürich durch zwei Siege gegen Honka Espoo aus Finnland die erste K.o.-Runde. Nach zwei Niederlagen gegen den FC Bayern war dann allerdings in Runde zwei Schluss.

Beim Nationalteam sitzen Sundhage und Angerer auf der Bank

Auch die Erfolge der Nationalmannschaft sind überschaubar. Bei der WM war das Team zweimal im Achtelfinale (2015/2023), bei der EM war zuletzt aber zweimal nach der Vorrunde Schluss. Dazu passt, dass die Schweiz in der Nations League in den ersten beiden Spielen sieglos geblieben ist.

Nationaltrainerin Pia Sundhage (l.) von der Schweiz und Torhüterinnen-Trainerin Nadine Angerer (r.)

Mit der ehemaligen Welttrainerin Pia Sundhage sitzt eine große Hoffnungsträgerin auf der Bank. Und die Schwedin hat sich mit Nadine Angerer, die 2003 und 2007 mit Deutschland Weltmeister geworden ist, als Torhüterinnen-Trainerin prominente Verstärkung ins Team geholt.

"Ich mag solche Sprüche eigentlich nicht: Aber man kann sagen, dass der Weg zur EM das Ziel ist", erklärt die 46-jährige Angerer. "Wir nutzen die Zeit, um etwas aufzubauen und zu entwickeln. Das Turnier ist dann unsere Belohnung."

Die jungen Spielerinnen sollen die alten mitreißen

Viele Schweizerinnen spielen in der Bundesliga. Einige spielen aber auch in der aufstrebenden Serie A in Italien wie Alisha Lehmann, in England wie Lia Wälti oder in den USA wie Ana-Maria Crnogorcevic. Die erst 18-jährige Sydney Schertenleib, die im vergangenen Sommer zu Champions-League-Sieger FC Barcelona gewechselt ist, steht für die jungen Wilden, von denen sich auch Angerer viel erhofft.

Wir nutzen die Zeit, um etwas aufzubauen und zu entwickeln. Das Turnier ist dann unsere Belohnung.
Co-Trainerin Nadine Angerer vom Schweizer Nationalteam

"Pia hat einen Umbruch eingeleitet und der braucht Zeit. Wir haben aber mittlerweile einen guten Mix aus Erfahrung und jungen Spielerinnen", erläutert sie. "Die Alten leiten an, lassen sich aber auch von der Unbeschwertheit der Jungen mitreißen."

Wirkt das 0:6 gegen Deutschland noch nach?

Eine gewisse Inkonstanz sei dabei normal. Das 0:6 gegen Deutschland im vergangenen November sei abgehakt. "Wir haben auch Frankreich geschlagen, gegen Australien 1:1 gespielt und gegen England nur 0:1 verloren", zählt Angerer auf und leitet daraus ab: "Wir sind nicht weit weg. Uns fehlt aber oft der letzte Schritt, um die Großen ärgern zu können."

EM soll für die Schweiz keine "Eintagsfliege" sein

Kulig hofft auf eine erfolgreiche EM - nicht zuletzt, um die eigene Arbeit zu erleichtern. "Es ist schon schwierig, eine gute Mannschaft zusammenzustellen. Das ist die größte Herausforderung", berichtet die 34-Jährige, die bei ihrem Amtsantritt in Basel vor eineinhalb Jahren auch davon profitierte, "dass das Projekt in Basel schon viele Spielerinnen interessiert hat". Doch die internationale Konkurrenz hole auf.

Die EM also womöglich nur eine Party im Sommer 2025? Angerer wiegelt ab: "Das Heimturnier ist natürlich mit der Hoffnung und dem Ziel verbunden, dass es anders kommt. Dafür wollen wir erfolgreich sein." Der Verband habe einige Projekte aufgelegt, "damit der Frauenfußball auch nach der EM präsent bleibt".

Eine "Eintagsfliege" solle das Turnier jedenfalls nicht sein. Und vielleicht wird Kulig ja in der kommenden Saison wieder überrascht - dann allerdings in positiver Hinsicht.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 02.07.2025 | 18:00 Uhr