Dario Benedetto (l.) im Duell mit Gonzalo Montiel von River Plate

Der Superclásico von Buenoes Aires Boca gegen River - "Nicht irgendein Derby"

Stand: 03.02.2025 22:09 Uhr

Der argentinische Superclásico zwischen River Plate und Boca Juniors ist eines der größten Derbys der Welt. Wenn die "Millonarios" gegen die "Bosteros" kicken, geht es um mehr als Fußball. Manchmal sogar um Leben und Tod.

Die Bilder - sie gingen um die Welt. Kein Geringerer als Diego Armando Maradona feuerte mit nacktem, verschwitztem Oberkörper aus dem Fenster einer Loge hängend die Boca Juniors an. Ekstatisch, fanatisch und immer wieder kurz davor, aus dem Fester ins Innere von La Bombonera zu fallen - dem Stadion der Boca Juniors.

Diego Maradona im Stadion der Boca Juniors

Diego Maradona im Stadion der Boca Juniors

Argentinien verehrt Maradona auch vier Jahre nach seinem Tod unverändert. Und Maradona verehrte Zeit seines Lebens die "Bosteros", wie früher die Menschen genannt wurden, die in La Boca den Pferdemist von den Straßen geräumt haben. Maradona war stolz, ein Mitglied der Boca-Juniors-Familie zu sein. Besonders, wenn sie den Sieg im Superclásico feierte.

In Argentinien geht es nicht ohne Fußball

Und so geht es sehr vielen Menschen in Argentinien - von denen sich rund 70 Prozent als Fan eines der beiden Klubs bezeichnen. Boca liegt in der Gunst leicht vor River, das mit 37 Meistertiteln allerdings vor dem Rivalen (35) aktuell argentinischer Rekordmeister ist.

Es ist nicht irgendein Derby. Es reicht also nicht, das Derby Clásico zu nennen, sondern Superclásico.
Journalist Ezequiel Fernández Moores

"In Argentinien ist der Fußball immer und überall präsent. Und wenn das für den Fußball allgemein gilt, kann man sich denken, was das für den Superclásico bedeutet", sagt Ezequiel Fernández Moores, der seit mehr als 45 Jahren in Buenos Aires als Sport-Journalist arbeitet und für die großen Zeitungen des Landes mit Vorliebe über die soziale Bedeutung des Fußballs schreibt.

Seine Landsleute seien dafür bekannt, sich "von den Emotionen mitreißen" zu lassen: "Es ist nicht irgendein Derby. Es reicht also nicht, das Derby Clásico zu nennen, sondern Superclásico."

Auch River Plate einst in La Boca gegründet

Seinen Anfang hat das Duell in La Boca genommen. In dem Arbeiterviertel am Hafen wurde nämlich 1901 zunächst River Plate gegründet. Und damit rund vier Jahre vor den Boca Juniors. Früher gab es Spieler, die - teilweise sogar am selben Wochenende - bei beiden Klubs spielten.

Auch die Trikots waren anfangs sehr ähnlich, was die Grundlage für den Mythos ist, dass beide Teams irgendwann ein Entscheidungsspiel um das Recht austrugen, die weiß-roten Trikots zu tragen. Mit dem besseren Ende für River.

Und was machten die Boca-Verantwortlichen? Sie sollen am Hafen stehend entschieden haben, ihre neuen Vereinsfarben entsprechend der Flagge des nächsten Schiffes zu wählen, das vorbeikommt. Es kam aus Schweden - und die Farben sind seitdem blau und gelb.

Zwei Stadien, zwei unterschiedliche Welten

River Plate spielt mittlerweile im deutlich nobleren Stadtteil Belgrano, wo das Estadio Monumental steht. Es ist sozusagen das Nationalstadion Argentiniens. Hier wurde die "Albiceleste" 1978 vor knapp 71.500 Zuschauern Weltmeister. Heute bietet das Stadion fast 90.000 Fans Platz, wurde mehrfach modernisiert und verströmt zusammen mit dem hochmodernen Museo River - dem Vereinsmuseum, das nur ein paar Schritte die Avenida Pres. Figueroa Alcorta hinunter liegt - den Charme eines Großklubs.

Fans von River Plate im Estadio Mas Monumental Antonio Vespucio Liberti

Fans von River Plate im Estadio Monumental

Eine halbe Stunde entfernt befindet sich La Bombonera, was auf Deutsch so viel wie Pralinenschachtel bedeutet. Das Stadion, das offiziell den Namen Estadio Alberto José Armando trägt und gut 50.000 Zuschauern Platz bietet, erinnert von seiner Architektur her mit den drei steilen Tribünen und einer flacheren an eine geöffnete Süßigkeitenschachtel.

Süßes gibt es aber nur für das Heimteam. Journalist Moores denkt bei der Bombonera ans Kolosseum. Die Gegner hätten früher berichtet, dass "sie den Himmel nicht sehen konnten, wenn sie nach dem Gang durch den Spielertunnel aufs Feld kamen. Sie fühlten sich wie in einem Käfig. Und wenn sie herauskamen, würden die Löwen da sein, um sie zu fressen. Das war keine stimmungsvolle Atmosphäre, sondern eine Atmosphäre der Angst."

Klubs zwischen Fan-Liebe und Kriminalität

Auch wenn das Stadion mittlerweile sehr in die Jahre gekommen ist, bleibt die Heimat der Boca Juniors auch der Bezugspunkt für die Menschen im Arbeiterviertel. Und viele Menschen, selbst Halbgötter wie Maradona, geben tatsächlich ihr letztes Hemd für den Klub.

Fans von den Boca Juniors vor einem Spiel gegen River Plate

Fans von den Boca Juniors vor einem Spiel gegen River Plate

"Boca ist Herz, keine Frage. Da ist ganz viel Gefühl im Spiel", erklärt Gastronomin Sandra Yarlone aus Boca. "Es ist wirklich eine ganz große Passion. Für manche Leute ist Boca ihr Leben. Wirklich!"

Boca ist Herz, keine Frage. Da ist ganz viel Gefühl im Spiel.
Gastronomin Sandra Yarlone

An dieser Stelle ähneln sich die beiden Klubs, die nicht miteinander verglichen werden wollen, allerdings sehr. Auch Nelson Ariel, der dem Fanklub River Tour angehört, betont: "Ich habe River mein Leben gewidmet. Ich wurde nach einem River-Spieler benannt. Wegen meines Vaters, meiner Familie und meiner Freunde: River ist mein Leben."

Doch Fußball ist in Argentinien nicht nur Liebe und Leidenschaft. Immer wieder kommt es zu Gewalt, sogar zu Morden, Hooligans und kriminelle Vereinigungen sind in beiden Klubs präsent.

2018: Gewaltexzesse in Buenos Aires

Wegen einer langen Historie von Gewalt in den Stadien hat der argentinische Verband bereits im vergangenen Jahrzehnt Gästefans bei den Spielen verboten. "Schon das Tragen eines Trikots von River oder Boca konnte tödlich enden", berichtet Journalist Moores und fügt hinzu: "Der argentinische Fußball hat mehr als 350 Tote zu beklagen."

Dass das Gästefanverbot allein das Problem nicht löst, wurde 2018 überdeutlich: Auf dem Weg zum Rückspiel der Copa Libertadores (die südamerikanische Champions League) im Estadio Monumental wurde der Boca-Mannschaftsbus von River-Anhängern angegriffen.

Scheiben gingen durch Wurfgeschosse kaputt, Spieler wurden verletzt. Und vor dem Stadion gab es auch noch harte Auseinandersetzungen von River-Fans und der Polizei. Das Spiel wurde wenige Stunden vor Anpfiff abgesagt.

River gewinnt in Madrid Finale gegen Boca

Nach dem 2:2 in La Bombonera verlegte der südamerikanische Verband das Rückspiel in das mehr als 10.000 Kilometer entfernte Madrid. Bis heute gilt diese Verlegung als die größte Schmach in der Geschichte des Superclásicos.

Aber: Für River brachte das Spiel dennoch einen legendären Abend. Nach Rückstand siegten die "Millionarios" mit 3:1 nach Verlängerung und setzten sich damit in Spanien Südamerikas Fußball-Krone auf.

Und nicht zuletzt wegen der besonderen Umstände und wegen des Finales gegen den großen Erzrivalen feiern die Fans seither jeden Jahrestag.

Im Superclásico werden Spieler zu Legenden

Die argentinischen Nationalspieler Lucas Pratto und Gonzalo Martinez sowie der Kolumbianer Juan Fernando Quintero schrieben an diesem Abend Geschichte für River Plate. Und auch wenn es in der Vergangenheit immer wieder Spieler und Trainer gab, die von einem der beiden Klubs zum anderen gewechselt sind, lebt die Rivalität natürlich davon, dass ein Leben mit beiden Klubs gemeinsam nicht möglich sein soll.

River kann man nicht kaufen. River ist Leidenschaft. River ist Liebe. River ist alles für mich. So bin ich geboren und so werde ich auch sterben. Mit dem Trikot von Boca? Vergiss es. Ich bin doch nicht verrückt.
River-Legende Beto Alonso

Auch deshalb ist Norberto "Beto" Alonso eine River-Ikone. "Hör mir bloß auf mit Boca. Die von Boca wollten mich kaufen. Ich bin zu dem Treffen gegangen, hab mich bedankt, aber das Trikot würde ich ums Verrecken nicht tragen", berichtet der heute 72-Jährige, der mit Unterbrechungen in seiner Karriere rund 15 Jahre das weiß-rote Trikot getragen hat.

"Maradona ist mehr Boca-Fan als Boca-Spieler"

Auf der blau-gelben Seite fällt bei den Ikonen meist ein Name: Maradona. "Manchmal kommen ausländische Journalisten hierher und meinen, Maradona sei das größte Boca-Idol", sagt Journalist Moores. "Maradona war mehr Boca-Fan als Boca-Spieler."

Der argentinische Superstar hat nur zweimal kurz für Boca gespielt - zu Beginn und zum Ende seiner Karriere. Dabei gelangen ihm allerdings in sieben Superclásicos starke fünf Treffer. Und so ist Maradona zwar in Argentinien als Nationalheld in die Geschichte eingegangen, aber nur für ein Team der Superclásico-Held. Und das ist für manche Argentinier sogar noch wichtiger.