
Viele Spiele abgesagt Von "aufregend" bis "Wahnsinn" – Stromausfall legt Madrid Open lahm
In Badelatschen sitzt Grigor Dimitrov auf dem Boden an einem Kanal, der einmal um die Tennisanlage in Madrid verläuft. Mit dem Rücken an einen Pfeiler gelehnt, schaut er immer wieder auf sein Handy, nimmt seine Kappe vom Kopf und streicht sich mit beiden Händen durch die Haare und über das Gesicht. Seine Frustration ist spürbar.
In seiner Drittrundenpartie der Madrid Open gegen den Briten Jacob Fearnley hatte der bulgarische Tennisspieler beim Stand von 5:3 im zweiten Satz die Chance, bei eigenem Aufschlag das Match für sich zu entscheiden. Doch stattdessen kassierte er das Break zum 5:4.
Etwas mehr als eine Stunde später sitzt Dimitrov frustriert am Kanal. Aber nicht, weil er das Spiel verloren hat. Denn er führt immer noch mit 5:4. Das Match aber musste unterbrochen werden. Stromausfall.
Electronic Line Calling, Bildschirme und Zahlungssystem betroffen
Gegen 12.50 Uhr geht in Madrid auf einmal nichts mehr. Alle Bildschirme in der Caja Magica sind schwarz, die Zahlungssysteme an den Essensständen funktionierten nicht. Und auch das Electronic Line Calling, das elektronische Linienrichter-System, fällt aus – und zwingt Dimitrov zu einer Pause.
"Wenn es mir so gehen würde, wäre ich definitiv ein bisschen sauer. Aber das ist Tennis, das ist das Leben", sagt Coco Gauff in Sichtweite von Dimitrov. Auch die US-Open-Siegerin von 2023 war vom Stromausfall betroffen. Zwar hatte die US-Amerikanerin ihr Match gegen die Schweizerin Belinda Benic bereits mit 6:4 und 6:2 souverän gewonnen, konnte in ihrem Sieger-Interview aber nicht mehr zu Ende erzählen, was sie zum Frühstück gegessen hatte.
"Es ist bizarr. Ich dachte erst, das Mikrofon sei kaputt", sagt sie. "Als ich dann nach dem Spiel die Treppe benutzten sollte, hab ich gesehen, dass alles dunkel ist."
Doch nicht nur in Madrid ist alles dunkel. Wie der portugiesische Netzbetreiber REN erklärte, sei auf der ganzen iberischen Halbinsel und auch in Teilen Frankreichs der Strom ausgefallen. Die Ursache ist unbekannt. "Das ist Wahnsinn", meint Gauff.
Ballkinder werden Aushilfs-Linienrichter
Aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Auf einem Außenplatz wurde beim Doppelmatch der Australier Mattew Ebden und John Peers gegen die US-Amerikaner Evan King und Christian Harrison kurzerhand die Ballkinder zu Aushilfs-Linienrichtern gemacht.
Auch Mirra Andreeva ist ein Schicksal wie Dimitrov erspart geblieben. Auch sie führte in ihrem Match gegen die Ukrainerin Julija Starodubzewa mit 5:4 im zweiten Satz. Den ersten Durchgang hatte sie mit 6:1 für sich entschieden. Beim Seitenwechsel informierte der Stuhlschiedsrichter die Spielerinnen über den Stromausfall.
Statt abzubrechen, wurde der Schiedsrichter gleichzeitig zum Linienrichter. "Ich war froh, dass wir weitermachen konnten", sagt Andreeva später. "Ich lag dann aber 15:40 bei eigenem Aufschlag hinten und dachte nur: ‚Bitte, Mirra. Tu alles in deiner Macht Stehende, um dieses Spiel zu gewinnen.‘ Ich wusste, wenn es 5:5 steht, müssen wir wahrscheinlich abbrechen. Und dann würde ich jetzt immer noch warten."
Andreeva drehte das Spiel noch und gewann den zweiten Satz mit 6:4. Strittige Entscheidungen gab es trotz fehlender Linienrichter nicht. "Wir hatten einen guten Schiedsrichter. Wir hatten aber auch keine Bälle, die wirklich nah an die Linien gesprungen sind. So mussten wir keine Abdrücke checken."
Andreeva: "Ich habe Buch und Uno-Karten dabei"
Für die Russin, die am Dienstag (29.04.2025) 18 Jahre alt wird, ist das alles eine neue Erfahrung: "Das ist mein erster Stromausfall. Es ist ein bisschen aufregend, weil ich so etwas noch nie erlebt habe." Vorbereitet ist sie trotzdem: "Ich habe ein Buch und Uno-Karten dabei", sagt sie. "Ich habe auch kein Problem damit, ohne mein Handy zu sein. Das Einzige, was ich gerade brauche, ist die Taschenlampe".
Andere Spielerinnen und Spieler haben es nicht so leicht. Zum Beispiel Diana Schneider, die eigentlich nach Dimitriov auf dem Center Court gegen die Weltranglistenzwiete Iga Swiatek aus Polen spielen sollte. Schneider, ebenfalls Russin, ist auch Andreevas Doppelpartnerin. "Diana hatte sich schon warm gemacht, als sie vom Stromausfall erfahren hat. Jetzt wartet sie immer noch", sagt Andreeva.
Auch Gauff ist froh, dass sie ihr Match schon hinter sich hat: "Nicht zu wissen, wann man spielt, ist superschwer. Es ist wie eine Regenpause, außer dass es total seltsam ist. Die Leute tun mir leid. Man kann nichts machen. Es ist ein bisschen langweilig."
Andreeva kann die Situation aber noch etwas Positives abgewinnen: "Ich war eben im Fitnessstudio. Alles ist super dunkel. Alle benutzen eine Taschenlampe. Aber es macht Spaß, weil jetzt alle miteinander reden. Die Stimmung ist viel gelöster als sonst."
Restliche Spiele des Tages abgesagt
Wie es weitergeht, wisse Andreeva jedoch nicht. Und auch Gauff weiß nicht, wie ihr weiterer Tag aussehen wird. "Ich weiß gar nicht, ob wir zurück ins Hotel können, weil alle Ampel ausgefallen sind. Es ist verrückt, wie sehr wir auf Strom angewiesen sind. Da muss ich an alle die Menschen denken, die früher komplett ohne Strom gelebt haben und daran, wie beeindruckend das ist", sagt sie und lacht herzlich.
Humor sei sowieso das Einzige, was in dieser Situation noch helfen könne: "Irgendwann werden wir uns alle an den Tag erinnern, als in Madrid der Strom ausgefallen ist."
Gegen 16.50 Uhr ziehen dann auch die Organisatoren endgültig den Stecker und bitten die Zuschauerinnen und Zuschauer, das Gelände zu verlassen. Die restlichen Matches des Tages sind abgesagt. Grigor Dimitrov muss also noch weiter warten.