
Madrid Open Kontroverse um "Hawk Eye" - Zverevs Kampf gegen die Technik
Das Electronic Line Calling soll den Tennissport gerechter machen - wenn es funktioniert. Bei den Madrid Open musste Alexander Zverev die gegenteilige Erfahrung machen. Es war nicht das erste Mal, dass der digitale Linienrichter in Madrid kurzzeitig ausfiel.
Die Verwarnung war es Alexander Zverev wert: Mitten in seiner Drittrundenpartie der Madrid Open gegen den Spanier Alejandro Davidovich Fokina ging der 28-Jährige plötzlich zu seiner Bank, nahm sein Handy aus der Tasche und schoss unter den Pfiffen der Zuschauerinnen und Zuschauer auf dem Platz ein Foto. Schiedsrichter Mohamed Layhani bestrafte Zverev mit einer "Code Violation".
Zverevs Fotomotiv: ein Ballabdruck im Sand. Kurz zuvor hatte Davidovich Fokina einen Rückhandvolley gespielt, der nach Zverevs Meinung deutlich im Aus gelandet war. Der "Aus"-Ruf blieb aber aus. Schuld daran hatten aber nicht die Linienrichter, die gibt es in Madrid nämlich gar nicht. Sondern das elektronische System, das sogenannte Electronic Line Calling (ELC), auch "Hawk Eye" (Falkenauge) genannt.
Zverev postet Foto auf Instagram-Profil
In diesem Fall hätte das Adlerauge aber eine Brille gebraucht. Nach dem Spiel postete Zverev seinen Schnappschuss auf seinem Instagram-Profil. Demnach war der Ball eindeutig im Aus. Doch auch eine längere Diskussion mit Schiedsrichter Layhani half nicht, der Punkt ging an Davidovich Fokina - 0:15 aus Zverevs Sicht. Weil der Deutsche danach gleich drei Fehler in Folge produzierte, glich der Spanier im zweiten Satz zum 5:5 aus. Mit einem Break hätte Zverev den Satz für sich entscheiden können.
Nachhaltige Folgen hatte die Szene für Zverev nicht. Nachdem er nach schwachem Start den ersten Satz mit 3:6 abgab, holte er sich Satz zwei im Tiebreak (7:6) und zeigte dann auch im dritten Satz seine mentale Stärke, gewann ebenfalls im Tiebreak (7:6) und buchte sein Ticket für die vierte Runde.
Zverev: "Hoffe nicht, dass ich eine Strafe bekomme"
Was aber bleibt, ist die Diskussion um das Electronic Line Calling. "Das war nicht normal", sagte Zverev später. "Ich bin gespannt, was jetzt passiert und ob ich eine Strafe bekomme, obwohl ich Recht hatte. Ich finde nicht, dass ich dafür eine Strafe bekommen sollte, denn ich hatte vollkommen Recht."
Seit dieser Saison verzichtet die ATP, die die Männer-Tour organisiert, bei ihren Turnieren komplett auf menschliche Linienrichterinnen und Linienrichter. Stattdessen kommt das Electronic Line Calling zum Einsatz. Zehn Kameras analysieren den Aufprall eines Balles in Bruchteilen von Sekunden und entscheiden, ob der Ball im Aus war oder nicht. Der Ausruf kommt über die Lautsprecher.
Fehler sollen so möglichst ausgeschlossen werden. Gerade im Tennis, wo ein einzelner Ballwechsel über Sieg oder Niederlage entscheiden kann.
"Ich glaube, das System war defekt"
"Ich bin eigentlich ein Fan des Systems. Nach meinen Erfahrungen hat es bislang immer korrekt funktioniert", sagte Zverev in Madrid. "Aber dieser Ball war nicht einen Millimeter im Aus, sondern vier bis fünf Zentimeter. Ich glaube, das System war defekt."
Vor dem ELC ist die Schiedsrichterin oder der Schiedsrichter vom Stuhl heruntergekommen, um strittige Ballabdrücke auf Bitten der Spielerinnen und Spieler zu überprüfen. Layhani tat das in Madrid nicht, weil er es auch nicht mehr darf. "Den Schiedsrichter tritt keine Schuld", zeigte sich Zverev verständnisvoll, wünsche sich aber, dass diese Regel für solche Fälle angepasst wird.
ATP veröffentlicht Erklär-Video
Geht es nach der ATP, sollten Ballabdrücke im Sand aber überhaupt keine Rolle mehr spielen. Anfang Februar veröffentlichte die Organisation extra dafür ein Erklär-Video. Darin stellt sie dar, dass die Flugbahn des Balles und die Menge des Sandes auf der entsprechenden Stelle des Platzes einen "falschen" Abdruck herbeiführen können. Liegt beispielsweise viel Sand auf einer Stelle, wird der Ballabdruck größer. Dann kann es so aussehen, als hätte der Ball noch die Linie berührt, obwohl das gar nicht der Fall war.
Deshalb gibt es auch auf Hartplatz oder Rasen deutlich weniger Diskussionen um das Electronic Line Calling. Schlicht, weil es keine Abdrücke gibt.
Schon mehrere Fotobeweise bei den Madrid Open
Auf Sand ist das anders. Und deshalb ist Zverevs Fotobeweis nicht die erste Kontroverse der Madrid Open um den elektronischen Linienrichter. Auch die deutsche Nummer eins bei den Damen, Eva Lys, postete nach ihrer Zweitrunden-Niederlage gegen die US-Amerikanerin Jessica Pegula ein Abdruckfoto in den sozialen Medien. Die ehemalige Weltranglistenerste Viktoria Azarenka als Belarus ebenso.
Kurios wurde es in der Partie zwischen der Tschechin Katerina Siniakova und der Britin Katie Boulter. Ein Aufschlag Boulters segelte sichtlich weit ins Aus. Das System blieb aber stumm. Erst nach minutenlanger Rücksprache mit dem Technik-Team des Turniers wurde der Aufschlag letztlich Aus gegeben.
Sabalenka startet Foto-Trend
Den Foto-Trend gestartet hatte die Weltranglistenerste der Damen, Aryna Sabalenka aus Belarus. Beim Tennis Grand Prix in Stuttgart Mitte April wurde ein Ball Sabalenkas Aus gegeben. Die 26-Jährige wollte dem aber nicht so recht glauben und machte beim Seitenwechsel ein Beweisfoto. Genau wie Zverev bekam auch sie eine Verwarnung.
Der Unterschied war: Anders als die ATP setzt die Damen-Tour WTA nicht flächendeckend auf ELC. Der Ausruf kam von einem Linienrichter. Egal ob Technik oder nicht, Diskussionen wird es immer geben.