Tennis-Revolution Linienrichter raus - ATP setzt auf elektronische Überwachung
Ende einer jahrhundertealten Tennis-Tradition: Die ATP setzt ab Anfang 2025 bei ihren Turnieren ausschließlich auf das sogenannte Electronic Line Calling, auch bekannt unter dem Namen Hawk Eye. Damit sind die Linienrichter aus Fleisch und Blut Geschichte. Aber noch nicht ganz ...
Neulich, beim ATP-Turnier im französischen Metz, spielte sich eine Szene ab, die sämtliche Tennisprofis nur allzu gut kennen. "Da gab es einen Aufschlag meines Gegners, von dem ich dachte, der ist gut zehn Zentimeter aus", sagt Jan-Lennard Struff der Sportschau. "Der wurde aber gut gegeben. Das ist manchmal so. Das gehört dazu."
Die Szene ereignete sich auf einem Nebenplatz, auf dem, anders als auf dem Centre Court, noch kein digitales Überwachungssystem wie das Hawk Eye (Falkenauge) genutzt wurde. Stattdessen waren noch Linienrichter im Einsatz.
Menschliche Komponente fällt weg
Diese klassische Art der Überwachung wird ab 2025 auf der ATP-Tour - also nur im Herren-Tennis, nicht im Damen-Tennis - endgültig wegfallen, die Linienrichter werden abgeschafft. Bei jedem ATP-Turnier muss dann die Hawk-Eye-Technologie eingesetzt werden.
Jan-Lennard Struff in Aktion
In einem Sport wie Tennis, bei dem der Ausgang eines einzigen Ballwechsels den Verlauf des gesamten Matches und damit auch den Gewinn des Preisgeldes beeinflussen kann, sollen menschliche Fehler möglichst ausgeschlossen werden.
"Ich glaube, das ist gut für den Sport. Auch wenn es schade ist, dass die menschliche Komponente wegfällt. Es hat sich vieles extrem verbessert", sagt Struff.
Auch Kritik am Hawk Eye
Aber: Auch das Hawk Eye ist nicht unfehlbar. Die amerikanischen Spieler Taylor Fritz und Frances Tiafoe etwa beschwerten sich erst jüngst darüber, dass die eingesetzte, digitale Linienüberwachung in entscheidenden Momenten falsche oder verspätete Signale gegeben hätte.
Ungenauigkeiten bei der Messung, Stromausfälle, technische Defekte - all das kann künftig natürlich Einfluss haben. Dennoch: "Es gibt in jedem Sport Fehlentscheidungen, das wird wohl auch so bleiben. Aber die Fehler werden durch das Hawk Eye weiter minimiert", sagt Struff.
Weg in die weitere Professionalisierung
Auch aufseiten des Deutschen Tennis Bundes (DTB) wird die Entwicklung grundsätzlich begrüßt. "Das ist ein Weg in die weitere Professionalisierung des Tennis-Sports und damit ein konsequenter und logischer Schritt", sagt DTB-Präsident Dietloff von Armin der Sportschau.
Natürlich gebe es immer Skeptiker und auch einen nicht gerade kleinen Kreis von Traditionalisten. Aber von Arnim erinnert in diesem Zusammenhang an die jüngere Vergangenheit, in der auch schon mit Traditionen gebrochen wurde. "Diese Diskussionen hatten wir ja auch schon bei Netzrichtern, die mit einem Ohr immer auf dem Netz gelegen haben. Auch das hat sich positiv entwickelt." Netzberührungen beim Aufschlag werden heute über elektronische Sensoren erfasst.
Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennis Bundes (DTB)
French Open noch nicht dabei
Auch bei den vier Grand-Slam-Turnieren setzt sich die Digitalisierung zunehmend durch. Jenseits der regulären ATP-Turniere können sie eigenständige Entscheidungen treffen. Selbst im traditionsbeladenen Wimbledon - wie schon länger bei den Australian Open und bei den US Open - wird ab dem kommenden Jahr vollständig auf das Hawk Eye gesetzt.
Lediglich bei den French Open verzichtet man noch darauf. "Dabei soll das Hawk Eye noch deutlich genauer sein als der auf dem roten Sand ohnehin schon gut sichtbare Ballabdruck, der zur Entscheidung herangezogen wird“, so DTB-Präsident von Arnim.
Zusätzliche Fairness
Mit Blick auf die Vorzüge des Hawk Eye verweist von Arnim zudem auf die "Challenge", also auf die schon lange bewährte Gelegenheit für die Spieler, dreimal pro Satz einen Ballabdruck elektronisch überprüfen zu lassen.
"Da erkennt man, wie viele Fehler den mittlerweile sehr gut ausgebildeten Linienrichtern leider noch immer passieren. Mit dem System des Hawk Eye scheint man das ausschließen zu können, was zusätzliche Fairness gegenüber den Sportlern bedeutet", meint der DTB-Präsident.
Ein Nebeneffekt sind die Möglichkeiten der Vermarktung, etwa bei den Überprüfungs-Einblendungen im TV. Die Kosten für die Turniere für das Hawk Eye (ein sechsstelliger Betrag) werden zunächst von der ATP mitgetragen.
Noch mehr Schiedsrichter könnten fehlen
Allerdings sieht von Arnim einen grundsätzlichen Nachteil bei der Abschaffung der Linienrichter für den deutschen Verband. Denn der DTB sucht - wie wohl jeder europäische Verband - händeringend Schiedsrichter für die Turniere und Mannschaftsspiele im eigenen Land.
Und es galt lange als klassischer Weg, dass sich junge Linienrichter so sehr für den Sport begeisterten und Erfahrungen sammeln konnten, dass sie sich zum Schiedsrichter weiterqualifizierten. "Dieser Karriereweg fällt jetzt leider weg.“