Sichtlich gut gelaunt: Tadej Pogacar auf dem Podium von Lüttich-Bastogne-Lüttich

Radsport-Phänomen Wer soll Pogacar bei der Tour stoppen?

Stand: 28.04.2025 10:25 Uhr

Tadej Pogacar gewann am Sonntag mit Lüttich-Bastogne-Lüttich bereits sein neuntes Radsport-Monument. Er war der überragende Radprofi dieses Frühjahrs, und nach Lage der Dinge wird er auch im Sommer kaum zu schlagen sein.

Von Stephan Klemm

Diesmal passierte es genau 34,8 Kilometer vor dem Ziel, in einem schweren Anstieg mit Namen Côte de la Redoute. Und eigentlich war es klar, dass es hier und in diesem Moment geschehen würde. Dass also Tadej Pogacar dieses Hindernis abgewartet hatte, um an dieser Stelle den Unterschied zu machen, um wie so oft in den Radrennen, die er bestreitet, allen anderen davonzufahren, sie stehen und staunen zu lassen, ohne dass sie etwas gegen ihn ausrichten können. Der jüngste Coup gelang dem slowenischen Weltmeister nach 252 Kilometern und sechs Stunden im Sattel am Sonntag bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, dem vierten Monument dieser Saison: Sieg als Solist und die Krönung einer außergewöhnlichen Klassiker-Kampagne des Frühjahrs.

Tadej Pogacar auf der Côte de La Redoute bei Lüttich-Bastogne-Lüttich

Tadej Pogacar auf der Côte de La Redoute

Sieben Siege bei 14 Renntagen

So viel kam diesmal zusammen für Pogacar, dass es für eine ganze Karriere reichen würde. Es begann mit einem Erfolg bei Strade Bianche im Februar, einem Schotterklassiker über steile Anstiege in der Toskana. Bei den vier wichtigsten Rennen dieses Frühjahrs, im Radsportjargon als Monumente bezeichnet, belegte Pogacar Rang drei bei Mailand-Sanremo, gewann die Flandern-Rundfahrt, beendete Paris-Roubaix auf Platz zwei und siegte nun in Lüttich, der harten Prüfung über elf Ardennen-Hügel. Zwischendrin gewann er am vergangenen Mittwoch noch auf der Mauer von Huy den Flèche Wallonne und damit nun zwei Klassiker hintereinander. Insgesamt kommt er bei 14 Renntagen auf sieben Siege - das ist eine sensationelle Quote, die jede Norm sprengt.

Das noch ausstehende fünfte Monument, die Lombardei-Rundfahrt im Oktober, ist zudem eine Art Freispiel für Pogacar. Dort gewann er seit 2021 viermal in Serie. Bei sechs Monumenten in Folge besetzte dieses Phänomen aus der mittelslowenischen Stadt Komenda mittlerweile das Podium der Radsport-Denkmalserie. Das hatte noch nicht einmal der sieghungrige Belgier Eddy Merckx geschafft, dessen Widergänger 50 Jahre später mit Pogacar gefunden zu sein scheint. Pogacar sagte zu seiner zunehmend geschichtsträchtigen Rolle inmitten seines Sports in Lüttich: "Ich bin Radprofi, weil ich Spaß daran habe, nicht, um irgendwelche Bücher zu schreiben, in denen ich auftauche."

Pogacar bereits Dritter in der ewigen Klassiker-Wertung

Merckx bringt es auf phänomenale 19 Erfolge in den fünf Superklassikern des Radsports. Diese Bestmarke schien auf ewig für ihn reserviert zu sein. Pogacar, 26 Jahre jung, jedoch ist bereits Dritter in dieser ewigen Wertung mit nunmehr neun Siegen, diese Position teilt er sich mit den Italienern Constante Girardengo und Fausto Coppi sowie dem Iren Sean Kelly, Helden ihrer Sportart vor 100, 70 und 40 Jahren. Zu Platz zwei und dem Belgier Roger de Vlaeminck fehlen Pogacar nur noch zwei Triumphe.

Und die Konkurrenz? Muss sich ergeben. Der Italiener Giulio Ciccone, Zweiter in Lüttich mit knapp einer Minute Rückstand, sagte: "Nur von Tadej geschlagen zu werden, ist zwar kein Erfolg, fühlt sich aber so an." Nichts zu sehen war diesmal von Remco Evenepoel, dem belgischen Doppelolympiasieger, der als Pogacars Herausforderer ausersehen war. Evenepoel verpasste Pogacars Angriff und war als isolierter Verfolger danach chancenlos. Am Ende belegte er Rang 59.

Pogacar wiederum feierte seinen Sieg, indem er hinter der Ziellinie sein Rad in die warme Luft des späten Nachmittags hob. Es war einstweilen sein letzter Auftritt, jetzt will er sich erst einmal zurückziehen, "guten Kaffee trinken, mit Freunden abhängen und Abstand vom Radsport nehmen".

Unterhalten sich auf dem Siegerpodest: Tadej Pogacar (r.) und Giulio Ciccone

Unterhalten sich auf dem Siegerpodest: Tadej Pogacar (r.) und Giulio Ciccone

Pause bis zur Dauphiné-Rundfahrt

Und sich recht bald schon wieder auf die nächsten Aufgaben vorbereiten. Sein nächster Einsatz ist für den Juni bei der Dauphiné-Rundfahrt terminiert, die er als Generalprobe für die Tour de France im Juli benutzt, deren jüngste Ausgabe er im vergangenen Sommer gewann. Drei Siege hat Pogacar beim größten Radrennen der Welt bisher gesammelt, und es stellt sich die Frage, wer ihn daran hindern könnte, den vierten Triumph einzufahren.

Evenepoel, 2024 Tour-Dritter, ist gerade nach einer viermonatigen Wettkampfpause zurückgekehrt, zu der ihn ein Trainingsunfall Anfang Dezember zwang. Dabei brach er sich das rechte Schulterblatt, eine Rippe und das rechte Handgelenk. Am Sonntag wurde wie schon beim Flèche Wallonne deutlich, dass er noch viel Zeit benötigt, um sich in den Sphären zu bewegen, in denen sich Pogacar aufhält.

Vingegaard 2025 die Sphinx des Radsports

Mathieu van der Poel, der sich im Frühjahr ein faszinierendes Duell mit Pogacar lieferte und ihn in Sanremo sowie in Roubaix bezwingen konnte, ist wegen seiner robusten Konstitution bei Rundfahrten kein Anwärter auf eine Top-Platzierung im Gesamtklassement. Und Jonas Vingegaard, der es 2022 und 2023 fertigbrachte, Pogacar bei der Tour zu bezwingen, ist in dieser Saison die Sphinx des Radsports. Er ist in Wettkämpfen kaum zu sehen.

Die Algarve-Rundfahrt im Februar konnte Vingegaard gewinnen, bei Paris-Nizza im März stürzte er im Verlauf der fünften von acht Etappen, fuhr sie noch zu Ende, stieg aber danach aus - eine starke Gehirnerschütterung setzte ihm sehr zu. Nach einer Phase der Regeneration trainiert er nun intensiv. Bei der Dauphiné wird er erstmals auf Pogacar treffen, und danach wissen, ob seine Form für einen dritten Tour-Coup reichen könnte. Tour-Direktor Christian Prudhomme hat da allerdings seine Zweifel: "Zuletzt hat derjenige Fahrer die Tour gewonnen, der im Frühjahr nicht gestürzt ist", sagte er der Sportschau in Lüttich. Vingegaard hatte bereits vor der Tour 2024 einen heftigen Unfall bei der Baskenland-Rundfahrt im April, der eine lange Regenerationsphase nach sich zog.

Tour-Chef hofft auf "tatsächliches" Duell Pogacar - Vingegaard

Bei der Tour belegte der Däne zwar Rang zwei, war aber gegen Pogacars Urgewalt in den Pyrenäen und in den Alpen völlig chancenlos. Pogacar gewann schließlich sechs Etappen und die Tour mit mehr als sechs Minuten vor Vingegaard. 2023 stürzte wiederum Pogacar bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, brach sich ein Handgelenk, und hatte bei der Tour im Juli seinerseits keine Chance gegen Vingegaard. "Die Auswirkungen von Vingegaards Rückschlag waren hoffentlich nicht zu groß, um tatsächlich ein Duell bei der Tour zu erwarten", hofft Prudhomme.

Aber angesichts der zuletzt gezeigten Dominanz von Pogacar, seinem Status als überragendem Bergfahrer und herausragendem Zeitfahrer dürfte es in diesem Sommer für Vingegaard schwer werden, seinen slowenischen Tour-Dauergegner ein drittes Mal zu bezwingen. Denn die Frankreich-Rundfahrt hat in diesem Sommer Höchstschwierigkeiten in den Pyrenäen und in den Alpen im Programm. Pogacar-Terrain.