
Flandern-Rundfahrt Duell um Monumente - Pogacar legt in den flämischen Ardennen vor
Tadej Pogacar gewinnt mit der Flandern-Rundfahrt sein achtes Monument. Sein Dauerrivale Mathieu van der Poel belegt Rang drei. Die nächste Ausgabe dieses Duells findet am kommenden Sonntag bei Paris-Roubaix statt.
Zweieinhalb Stunden nach seinem Triumph bei der Flandern-Rundfahrt, Belgiens größtem Sporttag, erscheint Tadej Pogacar im Hinterzimmer eines Schulanbaus unweit des Marktplatzes von Oudenaarde und erzählt von seinem Tag auf dem Rad. "Das war ein großer Sieg, ich kann gar nicht beschreiben, wie groß er sich für mich anfühlt und wie viel er mir bedeutet", sagt der müde und hungrig wirkende Slowene. Er ist direkt von seinem Warteplatz hinter dem Podium gekommen, die 800 Meter Distanz von der Ziellinie bis zur Schule hat er mit seinem Rennrad überbrückt, er ist dick eingepackt, den Reißverschluss seiner wärmenden Jacke im Regenbogenmuster des Weltmeisters hat er bis zum Kinn hochgezogen.
Mit der Zeit wurde es kalt neben dem Podium, das er erst nach dem Finale des Frauen-Rennens gemeinsam mit dem Zweit- und Drittplatzierten betreten durfte. Und das dauerte noch gut zwei Stunden. Diese skurril lange Wartezeit ist eine Kuriosität dieses Radsport-Monuments, dessen erste Auflage 1913 ausgetragen wurde.
Kwaremont - Moment voller Thrill und Geschrei
Diesmal aber ging es in die 269 Kilometer lange 109. Runde, sie führte von Brügge über flaches Land hinein in einen Zickzack-Kurs durch die flämischen Ardennen mit ihren schmalen Wegen und den fiesen Hellingen. Das sind kurze, aber bisweilen extrem steile Anstiege, Orte, die Profis mit Ambitionen in Abgehängte verwandeln. Orte aber auch, an denen der Wahnsinn tobt, vor allem in der Passage des Alten Kwaremont, einem der berühmtesten Hügel dieses Rennens. Die Zuschauer platzierten sich dort am Sonntag in Fünferreihen, mindestens, links und rechts der gerade mal gefühlt nur zwei Meter breiten Passage, die auf 2.200 Metern Kopfsteinpflasteruntergrund immer steiler wird, bis zu 11,6 Prozent in der Spitze. 16 Hellingen sind über den Parcours verteilt, gleich dreimal ging es diesmal über diesen Kwaremont, zuletzt gut 18 Kilometer vor dem Ziel. Und bis hierhin, bis zu diesem Moment voller Thrill und Geschrei von beiden Seiten, wartete Pogacar, um seine Gegner zu erledigen.

Tadej Pogacar fährt bei der Flandern-Rundfahrt vorneweg.
Die Vorarbeit verlief nach hektischem Beginn und nach Attacken verschiedenster Gruppen, die sich gebildet hatten, perfekt für Pogacar, den Kapitän des UAE-Teams Emirates. Eine mit Topstars der Gegenwart bestückte Gruppe um Pogacar, den niederländischen Vorjahressieger Mathieu van der Poel (Alpecin-Deceuninck), dessen belgischem Rivalen Wout van Aert (Visma-Lease a bike) sowie dem robusten Dänen Mats Pedersen (Lidl-Trek) und seinem belgischen Teamkollegen Jasper Stuyven hatten vor der finalen Passage des Alten Kwaremont alle Ausreißer eingesammelt und bildeten nun ein Quintett. Und van Aert legte fulminant los, sprintete in den Kwaremont und hatte damit alle seine Chancen auf den Sieg vertan.
Wie zu Eddy Merckx‘ Zeiten - Krümel für die Gegner
Denn wenig später reagierte Pogacar, der aktuelle Tour-de-France-Sieger und beste Bergfahrer der Gegenwart sprang los, jagte nach vorn, van Aert wirkte in diesem Moment wie ein stehender Fahrer. Nur van der Poel konnte folgen, kurz, doch unter einem Laubbaum mit einem grünen Blätterflaum war es vorbei, Pogacar war enteilt, 18 Kilometer vor dem Ziel, jagte über die finale Helling, den steilen Paterberg, baute seine Führung auch im Gegenwind des Finales immer weiter aus und siegte mit 1:01 Minuten Vorsprung auf seine vier Verfolger in Oudenaarde. Was für ein Coup.
Und wie zu Eddy Merckx‘ Zeiten blieben für Pogacars Gegner nur Krümel übrig, diesmal in Form von Ehrenplatzierungen. "Er war heute in einer anderen Liga", sagt der Zweitplatzierte Pedersen hinterher. Van der Poel belegte Rang drei.
Politt: "Tadej wollte, dass wir alle bei ihm bleiben"
Bei Mailand-Sanremo Mitte März hatte van der Poel der finalen Attacke von Pogacar im Poggio kurz vor der Zielgerade gemeinsam mit Filippo Ganna noch widerstanden und gewann im Sprint. Pogacar wurde Dritter. Hier aber, in den flämischen Hügeln, konnte Pogacar nach fast 250 Kilometern Renndistanz den Unterschied machen. Und folgte damit einem Plan, den Nils Politt, sein Helfer aus Hürth bei Köln, im Gespräch mit der Sportschau später erläuterte. Die Teams seiner Gegner hatten jeweils Fahrer in die vorweg fahrenden Gruppen geschickt – nur Pogacar nicht. "Das war unser Plan – niemand geht in die Gruppen. Tadej wollte, dass wir alle bei ihm bleiben", sagte Politt.

Tadej Pogacar (l.) mit Nils Politt
Doch das gelang anfangs nur bedingt. Denn bei einem furchtbaren Sturz im hinteren Feld, 130 Kilometer vor dem Ziel, hatte Pogacar zunächst zwei Helfer verloren. An dieser Stelle endete nach einem brutalen Aufprall auf dem Asphalt auch der Renntag des deutschen Veteranen John Degenkolb. Die Diagnose ist dramatisch: Bruch des Ellbogens, des Handgelenks und des Schlüsselbeins. Auch van der Poel war in diesen Crash verwickelt, prellte sich die rechte Schulter, fuhr aber weiter und nach gut zehn Kilometern wieder zu Pogacar auf.
Pogacar attackiert wie geplant
Dass die Entscheidung in der dritten Passage des Alten Kwaremont fiel, folgte auch dem in der Mannschaftsbesprechung von Pogacars und Politts Team besprochenen Plan: "Das hatten wir so abgemacht. In diesem Moment sollte Tadej losstürmen. Chapeau, wie er das wieder einmal gemacht hat", sagt Politt, Drittplatzierter der Ronde des Vorjahres. Pogacar pulverisierte an einem sonnigen und windigen Renntag in Belgien auch den Schnitt für diese 269 Kilometer, er steht nun bei 44,91 Stundenkilometern. Zuvor waren es 44,48, aufgestellt im Vorjahr von van der Poel.

Tadej Pogacar (l.) und Mathieu van der Poel
Der Niederländer, 30 Jahre alt inzwischen, erzählte später, dass er kurz vor dem Rennen eine Erkältung mit Antibiotika behandeln musste. Diese Tatsache und die kräftezehrende Rückkehr zu den Favoriten nach seinem Sturz dürfte ihn viel seiner Kraft gekostet haben. Doch das wollte er nicht als Entschuldigung geltend machen: "Der Beste hat gewonnen." Van der Poel besetzte seit 2020 stets das Podium der Flandern-Rundfahrt. Seine Platzierungen seither: Erster, Zweiter, Erster, Zweiter, Erster, Dritter. Und obwohl diese Bilanz spektakulär gut ist, zum alleinigen Siegrekord dieses Rennens fehlt ihm nur noch ein Triumph, hatte die Niederlage gegen Pogacar (26) statistische Folgen. 8:7 steht es nun für den Slowenen in Bezug auf die Erfolge bei Monumenten, mythischen Eintagesrennen, zu denen neben Mailand-Sanremo und der Ronde noch Paris-Roubaix, Lüttich-Bastogne-Lüttich und die Lombardei-Rundfahrt zählen.
Neues Duell bei der Königin der Klassiker
Es ist anzunehmen, dass sich die Auseinandersetzung der beiden am kommenden Sonntag fortsetzen wird, dann steht Paris-Roubaix an, noch ein Monument, die Königin der Klassiker. Van der Poel ist der Titelverteidiger, Pogacar ein Debütant. Wird es danach 8:8 stehen im Duell der Monumente zwischen den beiden? "Das wird ein anderes Rennen. Aber die Herausforderung gefällt mir sehr", sagt Pogacar. Er nimmt sie auch an. Bei einer Besichtigung in der vergangenen Woche stellte er bei drei von 30 zu befahrenden Kopfsteinpflaster-Sektoren schon mal Allzeit-Geschwindigkeitsrekorde auf.