Mathieu van der Poel (l) hinter Tadej Pogacar

Paris-Roubaix Van der Poel und Pogacar - sie bekämpfen und sie loben sich

Stand: 13.04.2025 20:51 Uhr

Mathieu van der Poel hat bei Paris-Roubaix das Duell gegen Tadej Pogacar gewonnen. Die herausragenden Fahrer dieses Frühjahres loben sich anschließend gegenseitig.

Von Stephan Klemm, Roubaix

Eine Stunde nach seiner zweiten Niederlage gegen Mathieu van der Poel in diesem Frühjahr sitzt Tadej Pogacar auf einem Podium und ist so müde, dass er sich abstützen muss. Und dennoch: Großartig sei die Erfahrung des Sonntags gewesen, der Start bei Paris-Roubaix und "auf diesem Kopfsteinpflaster zu fahren, zumal wir als Mannschaft sehr erfolgreich waren". Das ist nicht falsch, Platz zwei für ihn, den slowenischen Weltmeister, und Rang fünf für Florian Vermeersch ist ein vorzügliches Ergebnis.

Doch für Pogacar, den sieghungrigen neuen Eddy Merckx ist Position zwei eine Niederlage, auch wenn er sich anders äußert. Den niederländischen Sieger jedoch, wie Pogacar ein Phänomen der Landstraßen, bedenkt er mit einem außergewöhnlichen Lob: "Mathieu ist ein großartiger Champion und einer der besten Fahrer der Welt. Wäre ich ein Kind, dass sich für Radsport interessiert, wäre er mein Idol."

Die alles überragenden Fahrer

Pogacar und van der Poel haben die ersten Monate dieser Radsportsaison mit ihrem vorzüglichen Duell bei den ersten drei von insgesamt fünf Radsportmonumenten geprägt. Monumente sind besonders alte, archaische und prestigeträchtige Eintagesrennen, die wichtigsten des Radsportkalenders. Van der Poel gewann zwei davon, Mailand-Sanremo im März, Pogacar wurde an der ligurischen Küste Dritter, und am Sonntag Paris-Roubaix, den Ritt über diesmal 55,3 Kilometer Kopfsteinpflaster.

Pogacar wiederum siegte vor einer Woche bei der Flandern-Rundfahrt und verwies van der Poel auf Rang drei. Die anderen beiden Radsport-Denkmäler sind eine Spezialität von Pogacar: Lüttich-Bastogne-Lüttich Ende April und die Lombardei-Rundfahrt. Das sind Ausflüge über viele Hügel und Anstiege, van der Poels Konstitution als schwerer Fahrer lässt Erfolge dort kaum zu, erst recht nicht gegen Pogacar, den wohl besten Bergfahrer der Gegenwart. 8:8 steht es nun in der internen Monumente-Wertung zwischen van der Poel und Pogacar.

"Das Monster ist nicht verschwunden"

Für Mads Pedersen, einen auf den Pavés des Nordens ebenfalls außergewöhnlichen Fahrer, blieb diesmal Rang drei, ein Platten bremste ihn gut 70 Kilometer vor dem Ziel in Sektor 15 aus. Zu diesem Zeitpunkt lag er aussichtsreich im Rennen. Doch er lamentierte nicht, so ein Schicksal erleide der eine oder andere eben auf den unebenen Pflastersteinen. Aber eines müsse er schon betonen: "Ich habe einmal gesagt, dass Mathieu van der Poel ein Monster ist. Jetzt lässt sich sagen: Das Monster ist nicht verschwunden."

Das Monster hatte neben einer herausragenden Leistung gleichwohl auch Glück, in mehrfacher Hinsicht. Zum einen profitierte van der Poel von einem Fahrfehler Pogacars, 38 Kilometer vor dem Ziel in Sektor neun zwischen Pont-Thibault und Ennevelin, eine Passage, die mit drei von fünf möglichen Sternen bewertet ist. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die erwarteten Duellanten dieses Rennens vom Rest abgesetzt, gut sieben Kilometer zuvor hatten sie Jasper Philipsen, van der Poels Teamkollegen, als letzten Begleiter stehenlassen. Es folgte Attacke auf Attacke des Führungsduos, und dann eine Fehlinterpretation von Pogacar.

Beinahe-Kollision mit Begleit-Fahrzeug

Ein Motorrad fuhr den beiden voraus, bremste ab und blieb plötzlich stehen. Pogacar glaubte daraufhin, es gehe geradeaus weiter, übersah eine Rechtskurve, nahm sie im letzten Moment und kam kurz vor dem Motorrad auf Kosten eines Absitzers zum Stehen. Seine Kette hatte sich dabei aus dem Kranz gelöst, es dauerte viele Sekunden, bis Pogacar wieder auf dem Sattel saß. Van der Poel war bereits enteilt, die Entscheidung war gefallen. Pogacar kommentierte diesen Zwischenfall nach dem Rennen mit zwei Worten: "Shit happens."

Van der Poel hatte sich nach dem Missgeschick seines Kontrahenten umgeblickt, dachte kurz daran zu warten, nahm aber wahr, dass Pogacar ein Problem hatte und setzte sich ab. "Ich denke, das ist ein Teil von Paris-Roubaix. Jemand hat eine Panne und du machst dich auf, warten musst du da nicht", sagte van der Poel durchaus kundig in den ungeschriebenen Regeln dieses besonderen Rennens, zu dem Defekte gehören wie die Sonne zum Tag.

Van der Poel fährt ohne Infos vorneweg

Das gilt auch für technische Probleme, die van der Poel verkraften musste. Sein Funk war ausgefallen und zudem sein Powermeter. Er wusste nicht, wie groß sein Vorsprung war oder der, den er mit Pogacar gemeinsam herausfuhr. Er wusste vor allem nicht, welche Wattwerte er trat, das ist ein großer Nachteil für einen Solisten. Auch in dem Moment, in dem er 15 Kilometer vor dem Ziel im Fünfsterne-Sektor Carrefour de l’Arbre einen Platten hinnehmen musste, war van der Poel quasi ahnungslos: "Ich wusste nicht, wie weit ich in Führung lag." Auch in diesem Fall half ihm das Schicksal: Sein Materialwagen war direkt hinter ihm, der Radwechsel hatte keine Auswirkung.

Schließlich wäre van der Poel um ein Haar von einem Zuschauer vom Rad geholt worden, der in Sektor acht, gut 34 Kilometer vor Roubaix, eine gefüllte Trinkflasche in Richtung des niederländischen Solisten warf – und ihn damit am Kopf traf. Van der Poel sagte nach dem Rennen, dass dies ein unerhörter Vorgang sei: "Ich war 50 Stundenkilometer schnell und dann trifft dich so ein Ding, schwer wie ein Stein. Das ist nicht akzeptabel." Vor zwei Jahren hatte bereits jemand einen Bidon von der Seite aus in van der Poels Speichen geworfen, der daraufhin einen Sturz gerade noch vermeiden konnte. Letztlich aber konnte der Niederländer seine Fahrt nach dem Schreck unverletzt und ohne Zeitverlust fortsetzen.

Und so siegte van der Poel nach knapp 260 Kilometern und 5:31,27 Stunden, euphorisch empfangen von den Zuschauern im ausverkauften Freiluft-Velodrom von Roubaix, hob die rechte Hand, spreizte drei Finger in die Luft, bremste hinter der Ziellinie und stemmte sein Rad in den Abendhimmel. Die drei erhobenen Finger waren eine Geste des Stolzes: Es war van der Poels dritter Sieg in Serie in Roubaix. Das gelang vor ihm erst zwei Fahrern: Dem Franzosen Octave Lapize zwischen 1909 und 1911 und dem Italiener Francesco Moser, der 1978, 1979 und 1980 in Frankreichs Norden triumphierte. Mit einem vierten Erfolg könnte er zu den Belgiern Roger de Vlaeminck und Tom Boonen aufschließen, den Rekordsiegern dieses Rennens.

Jonas Rutsch mit drei dicken Blasen

Pogacar hatte letztlich eine Verspätung von 1:18 Minuten, Pedersen kam 2:11 Minuten nach van der Poel ins Ziel. Bester Deutscher am Sonntag war der sechstplatzierte Hesse Jonas Rutsch, der früh im Rennen die erste Gruppe des Tages initiiert hatte. "Für mich ging es darum, zu leiden, möglichst lange, und dann hoffen, dass es für ein gutes Ergebnis reicht", sagte er. Für dieses Rennen sei er als schwerer Fahrer, der zudem Schmerzen aushalten könne, prädestiniert. Und dann zeigte er seine Hände, an denen sich insgesamt drei dicke Blasen gebildet hatten.

Jonas Rutsch - "Alles an diesem Rennen ist extrem"

Sportschau, 13.04.2025 18:14 Uhr

Van der Poel, Sohn des erfolgreichen Klassiker-Jägers Adrie von der Poel und Enkel von Frankreichs Radsport-Helden Raymond Pouildor, nahm Pogacars Idol-Lob erfreut zur Kenntnis. "So etwas von diesem Fahrer zu hören, der vielleicht der beste Profi der Gegenwart ist und einer der besten der gesamten Geschichte dieses Sports, ist eine große Ehre. Tadej ist erst 26, aber er ist eine Art neuer Eddy Merckx." Eddy Merckx gilt als die größte Referenz dieses Sports, er gewann 19 Monumente, fünfmal die Tour de France und den Giro d’Italia, 525 Rennen insgesamt, das ist unerreicht. Und dennoch nähert sich Pogacar – bisher 93 Siege – mit seinem Renninstinkt und seiner Nonchalance auf dem Rad immer mehr den Sphären des großen Belgiers an. Auch wenn er dieses Mal einem noch Besseren unterlag.

Die großen Frühjahrs-Kontrahenten beschreiten nun unterschiedliche Wege. Pogacar wird sich Ende April beim Amstel-Gold-Race, dem Flèche Wallonne und Lüttich-Bastogne-Lüttich zeigen und sich danach auf die Tour de France vorbereiten, die er im Vorjahr zu dritten Mal gewann. Van der Poel legt nun eine längere Pause ein.