Großer Streit im Tischtennis TTC Neu-Ulm - Liga-Rückzug oder Star-Abschied?
2022 stellte der TTC Neu-Ulm um Dimitrij Ovtcharov herum ein spektakuläres Tischtennis-Team zusammen. Ein Jahr später liegen der Klub und die deutsche Bundesliga im Clinch.
Wie groß der Streit zwischen der Tischtennis-Bundesliga (TTBL) und ihrem aktuell schillerndsten Produkt ist, konnte am Montagabend jeder öffentlich nachlesen. Da meldete sich der frühere Weltranglistenerste Dimitrij Ovtcharov in den sozialen Medien zu Wort und schrieb: "Leider ist es mehr als fraglich, ob ich in der TTBL weitermachen kann." Der Olympia-Dritte spielt seit 2022 für den deutschen Pokalsieger TTC Neu-Ulm.
Ovtcharov-Post sorgt für Wirbel
In seinem Post bemängelte er zudem die Doppelrolle von TTBL-Aufsichtsratschef Andreas Preuß, der zugleich als Manager für Neu-Ulms Ligakonkurrenten Borussia Düsseldorf tätig ist und schrieb: "Hoffentlich kann die TTBL in Zukunft einen unabhängigen Vorstand haben!!!" Die TTBL hat mit Unverständnis darauf reagiert und sprach in einer Stellungnahme von "diffamierenden Behauptungen".
Die "völlig abwegigen und ohne jeden Beweis vorgebrachten Behauptungen" über einen angeblichen Interessenkonflikt oder gar eine persönliche Vorteilsnahme durch Preuß seien "besonders befremdlich", so die TTBL. "Mein Verein und ich haben uns stets an die Regeln gehalten. Die Spieler des TTC Neu-Ulm hingegen haben bewusst gegen die Bestimmungen der TTBL verstoßen und diese gebrochen", wird Preuß weiter zitiert.
Und auch wenn Ovtcharov seinen Post am späten Abend wieder löschte, ist in dieser komplizierten Auseinandersetzung weiterhin alles möglich: dass das vielleicht bestbesetzte Team der Bundesliga-Geschichte am Donnerstag seinen Rückzug aus der höchsten deutschen Spielklasse erklärt. Oder dass die Neu-Ulmer nach nur einem Jahr ihre Topstars wieder verlieren, von denen bereits zwei im Januar unerlaubt für andere Klubs im Ausland spielten. In jedem Fall geht es bald vor ein Schiedsgericht, das der 257-malige Handball-Nationaltorwart Andreas Thiel leitet.
Topstars für die Champions League
Seinen Ursprung hat dieser Streit in einem beispiellosen Transfercoup, den der TTC Neu-Ulm am Karfreitag 2022 verkündete. Der Klub verpflichtete auf einen Schlag vier der besten zehn Spieler der aktuellen Weltrangliste: neben dem deutschen Nationalspieler Ovtcharov noch den Vizeweltmeister Truls Moregardh (Schweden), den Weltranglisten-Vierten Tomokazu Harimoto (Japan) und den Taiwaner Lin Yun-ju.
Der Plan war von Anfang an, dass die vier Stars in der attraktiven Champions League und im deutschen Pokal-Wettbewerb spielen, dessen Finalturnier jedes Jahr im Januar in Neu-Ulm ausgetragen wird. In der Bundesliga setzt der Klub vor allem drei junge russische Nationalspieler ein, die schon seit vielen Jahren in Deutschland leben und trainieren.
Bis vor Kurzem ging dieser Plan auch auf: Neu-Ulm gewann in eigener Halle zum ersten Mal das Pokalfinale gegen Borussia Düsseldorf und verlor in der Champions League am vergangenen Sonntag erst in der Verlängerung eines epischen Halbfinal-Rückspiels gegen den deutschen Rekordmeister.
Ende Januar passierte dann allerdings, was nach den Verträgen und Wechselfristen der TTBL nicht hätte passieren dürfen: Truls Moregardh und Lin Yun-ju spielten für andere Klubs in der schwedischen beziehungsweise japanischen Liga, obwohl sie noch in der Bundesliga gemeldet sind. Und die Liga verhängte gegen beide je eine Geldstrafe von 10.000 Euro und eine Sperre von zehn Spielen - gültig allerdings erst in der nächsten Saison.
Ab wann gilt die Sperre?
Genau darum geht es jetzt in dem Streit: um den Zeitpunkt der Strafe. "Den Verstoß geben wir eindeutig zu", sagte der Neu-Ulmer Präsident Florian Ebner der Deutschen Presse-Agentur. "Beide Spieler wussten das. Sie haben uns das auch gesagt. Aber dass die Sperre erst in der nächsten Saison gelten soll, das leuchtet mir nicht ein. In keiner anderen Sportart habe ich so etwas jemals gehört."
Die Liga-Vertreter argumentieren, dass Moregardh und Lin im Januar problemlos den Verein hätten wechseln können - allerdings im Rahmen der Wechselfristen und damit vor dem Pokalfinale. Erst später zu gehen und dadurch das Pokalfinale noch mitzunehmen, sei "ein Verstoß mit vorheriger Nachfrage, der unsere Wettbewerbsintegrität untergräbt", sagte TTBL-Geschäftsführer Nico Stehle der "Süddeutschen Zeitung".
Verträge sehen Lizenzentzug vor
Das Problem für die Liga ist nun: Kommt sie mit ihrem Strafmaß auch vor dem eigenen Schiedsgericht durch? Die Lizenzverträge der TTBL sehen für einen derart schwerwiegenden Verstoß, wie den der beiden Neu-Ulmer Spieler, eigentlich einen sofortigen Lizenzentzug und keine Spielsperre vor. Genau das war ja offenbar das Kalkül des Klubs: dass Moregardh und Lin maximal für den Rest einer Saison ausgeschlossen werden, in der man sie ohnehin nicht mehr braucht.
Dass die sehr lange Sperre erst in der nächsten Saison gelten soll, stellt wiederum den TTC Neu-Ulm vor ein großes Problem. Denn beim Pokalfinale 2024 könnten Moregardh und Lin nicht eingesetzt werden. "Und die Spieler sagen natürlich: Wenn ich nicht davon ausgehen kann, dass ich hier auch spiele, dann muss ich halt woanders spielen", erklärte Ebner. Die Strafe der TTBL hat die Neu-Ulmer Stars so verärgert, dass sie - siehe Ovtcharov - mit einem Weggang drohen.
Wie geht es weiter im Streit?
Die Klubführung hat nun bis Freitag (24.02.2023) Zeit, ihre nächsten Schritte zu überdenken. Bis dahin müssen alle Bundesliga-Klubs ihren Lizenzantrag für die nächste Saison postalisch einreichen. "Wer eine Lizenz beantragt hat, kann die TTBL erst nächste Woche beantworten", erklärte Geschäftsführer Stehle der Sportschau. Es zähle der Poststempel von Freitag.
"In der Champions League wollen wir unbedingt weiterspielen", sagte Ebner. Das war bereits in der vergangenen und in der aktuellen Saison mit einer Wildcard des europäischen Verbands möglich. Einem solchen Antrag muss jedoch auch der DTTB zustimmen. Es ist zumindest fraglich, ob dieser einen solchen Präzedenzfall heraufbeschwören würde.
Start in der Bundesliga offen
Und in der Bundesliga? "Das ist offen", bestätigte der Vereinsboss. Die Bundesliga ist für Stars wie Ovtcharov oder Moregardh nicht mehr attraktiv, weil die vielen Spieltermine mit internationalen Turnieren kollidieren. "Und auf Dauer können wir nicht mit zwei verschiedenen Teams in einer Saison spielen", sagte Ebner.
Wie kompliziert dieser Fall ist, zeigt auch die Reaktion des bekanntesten deutschen Spielers. "Für die Attraktivität unseres Sports ist es top, solche Spieler in der Liga zu haben. Wer weiß, ob die sonst hier wären?", sagte Timo Boll von Borussia Düsseldorf über das Projekt Neu-Ulm. "Man wünscht sich als Liga oder Fan der Bundesliga aber auch ein bisschen mehr Substanz und weniger so ein zweigeteiltes Team."