
Neue Kultur in der Formel 1 Norris zeigt Nerven - und spricht darüber
Lando Norris hat ein Auto, das reif für den WM-Titel ist. Doch der McLaren-Pilot zeigt manchmal Nerven, hat Selbstzweifel. Darüber spricht er sogar im Macho-Zirkel Formel 1 - und bekommt Rückendeckung.
Das Rennwochenende in Dschidda hat sehr viel über die aktuelle Situation in der knallharten Königsklasse des Motorsport erzählt. Es hat einen neuen Titelfavoriten hervorgebracht, der sowohl fahrerisch als auch verbal in Saudi-Arabien Statements abgab.
Klare Statements von Piastri
Oscar Piastri hatte zwar das Qualifying gegen einen erneut im derzeit etwas schwächeren Red Bull überragenden Max Verstappen verloren, das aber in Kurve eins direkt nach dem Start mit einem rigorosen, aber komplett regelgerechten Manöver korrigiert. Vielleicht noch mehr als sein cooler Innenbahn-Coup bleibt aber haften, wie sich Piastri anschließend über diese Szene äußerte: "Als ich in der Kurve innen war, wusste ich, dass ich da nicht als Zweiter rausgehen würde", sagte er und hat sicher im Kopf, dass im direkten Duell mit dem Viermal-in-Folge-Weltmeister bis auf Lewis Hamilton vermutlich alle anderen Kollegen zurückgezogen hätten.
Was Lando Norris in dieser Szene an Piastris Stelle getan hätte, ist natürlich reine Spekulation. Aber als gesichert darf man betrachten, dass er sich anschließend nicht in vergleichbarer Weise geäußert hätte. Norris ist kein Großsprecher, er ist ein großartiger Fahrer, aber vielleicht fehlt ihm am Ende die letzte Härte und vielleicht auch Rücksichtslosgkeit, die ein Verstappen hat, und die jetzt auch ein Piastri immer öfter zeigt. Norris war als WM-Führender ins Wochenende gegangen, aber als es im Qualifying um alles ging, bretterte er in die Mauer, durfte nur von Rang zehn aus starten und betrieb als Vierter am Rennsontag nur noch Schadenbegrenzung.
Selbstbeschimpfung via Boxenfunk
Er schimpfte sich am Samstag über Boxenfunk selbst "Idiot". Es ist nicht das erste Mal, dass ihm unter Druck Patzer unterlaufen. Zuletzt in Sakhir parkte er seinen Wagen beispielsweise in der Startaufstellung falsch und kassierte dafür eine Zeitstrafe. Er hat schon mehrfach erzählt, wie nervös und mitunter auch von Selbstzweifeln geplagt er an Renntagen ist: "Dann kann ich manchmal kaum etwas essen", gestand der Brite.
Eine beeindruckende Offenheit in einem Sport, der Schwäche kaum zulässt. Muss er sich dafür schämen? Im Gegenteil, findet bespielweise der deutsche Ex-Weltmeister Sebastian Vettel. "Ich finde es ein Zeichen von Stärke, dass Lando sich so öffnet. Ich glaube, dass es vorbildhaft ist. Zu meiner Zeit als Fahrer war das nicht so."
Guter Kontakt zwischen Vettel und Norris
Vettel schreibt Norris oft Nachrichten, unterstützt ihn, gibt ihm Rückendeckung. Und er nennt es "schade", wenn Norris wegen seines ehrlichen Umgangs mit eigegen Schwächen angegriffen oder ihm unterstellt würde, dass er verwundbar sei. Im vergangenen Jahr, als sich der Brite im Titelduell mit Verstappen im Red Bull befand, klopfte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko so einen Spruch, der an die Steinzeit der Formel 1 erinnerte: Norris sei "mental nicht stark genug, um Verstappen zu schlagen".
Dafür wurde der 81-Jährige hart kritisiert und ruderte später zurück: Es sei ihm bei Norris nicht um die mentale Gesundheit gegangen, sondern um Erfahrung und Reife. Vettel erzählte der "Times", dass er in seiner aktiven Zeit auch immer wieder mit sich haderte, dass er an sich und seinen Fähigkeiten zweifelte: "Die hatte ich, die hat wahrscheinlich auch Lewis, die hatten aber auch andere Generationen vor uns. Man hat die aber nicht geäußert."
Lewis Hamilton war einer der ersten, der in der Phase, als ihn Verstappen Anfang der 2020er Jahre abhängte, einen sehr offenen Umgang mit dem ständigen Kampf und manchmal auch nachlassender Motivation prägte. Der "Sunday Times" hat der mittlerweile 40 Jahre alte heutige Ferrari-Pilot mal gesagt: "Ich habe mein ganzes Leben lang mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt."
Gute Kultur im aktuellen Fahrerfeld
Norris muss sich also mit seiner ehrlichen Art nicht allein fühlen. Und das Wohltuende an der aktuellen Generation der Formel-1-Fahrer ist, dass es zwar auf der Strecke ungebremst hart zugeht, dass es auch offenen Streit (zuletzt zwischen George Russell und Verstappen) oder markante Statements unter den Fahrern gibt - dass aber Bekenntnisse zu Fehlern oder Schwächen nicht von den Konkurrenten missbraucht werden.