Auftakt Vierschanzentournee Wellingers Sieg: Der "alte Hase" und die Emotionen
Andreas Wellinger hat mit seinem Sieg beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee für einen Gänsehautmoment gesorgt und will zwischen Emotion und Erwartung jetzt vor allem eines: bei sich bleiben.
Es gibt Momente, da wird es selbst inmitten von 25.000 Skisprung-Fans ganz still. Da sind die jubelnden Menschen, das durchdringende Geräusch der Tröten und das Wummern aus den Bässen im Stadion ganz weit weg. In diesem Moment schließt Andreas Wellinger seine Augen, atmet durch und legt für einen kurzen Augenblick seine Stirn an seine aufgestellten Skier. Er hat es geschafft. Er hat sich mit zwei starken Sprüngen in Oberstdorf den Sieg beim Auftaktspringen der 72. Vierschanzentournee gesichert.
"Ich bin ein bisschen sprachlos", sagt Wellinger nur einen Augenblick später und grinst. Mit der Stille ist es jetzt vorbei, einen Moment ganz für sich hat der Mann mit der blauen Mütze und der leuchtend gelben Jacke an diesem Abend nicht mehr. "Ich kann es gar nicht in Worte fassen", versucht es Wellinger dann doch: "Der Wettkampf ist so schön zu springen. Die Kulisse dazu. Das muss ich erst einmal sacken lassen."
Sieg auf der Schanze "mit Herausforderungen"
Dabei ist "der Wettkampf", also die Schanze in Oberstdorf, zum Auftakt in die Tournee zwar ein Heimspiel für Wellinger und seine Teamkollegen, ein Fan der Schanze aber war der 28-Jährige bisher nicht. "Es ist eine Schanze, die mich vor Herausforderungen stellt", liefert Wellinger nach seinem Sieg die diplomatische Beschreibung eines nicht immer einfachen Verhältnisses: "Ich habe es im Training beheben können - im Sommer, im Herbst und auch die letzte Woche war nochmal wichtig."
Dass Wellinger das gute Gefühl der letzten Trainingstage mit in die Tournee nehmen, die Form und Leichtigkeit der vergangenen Wochen scheinbar spielend leicht zum Saisonhöhepunkt abrufen kann, ringt selbst Bundestrainer Stefan Horngacher Respekt ab: "Das war makellos."
Denn Wellinger hat dem Druck standgehalten. Schließlich scheint das deutsche Team in dieser Saison oft eine Skilänge voraus, hat auch in der Breite in den Wochen vor der Vierschanzentournee so verlässlich geliefert, dass die Erwartungen gestiegen, die Hoffnungen auf den ersten deutschen Tourneesieg nach Sven Hannawald vor über 20 Jahren fast greifbar sind.
Wellinger in der Favoritenrolle
Mit Wellinger, Teamkollege Karl Geiger und nach seinem Premieren-Sieg in Engelberg auch Pius Paschke sorgten gleich drei deutsche Springer zuletzt für eine neue Form des Erwartungsmanagements bei den Fans. Dass er mit seinem Sieg jetzt die Favoritenrolle übernimmt, ist für Wellinger keineswegs neu. "Als alter Hase werde ich die Emotionen schon in die richtigen Bahnen lenken können", sagt er. Denn nach Medienmarathon und Kaltgetränk am Abend steht am Samstag dann Regeneration und Training an.
Nächster Stopp nach der Gänsehaut: Garmisch. "Wir sind weit weg von einem Selbstläufer, aber der Grundstein ist mal gelegt", sagt Wellinger cool, fast abgeklärt. Tatsächlich aber ruht er in dieser Saison in sich, ist klar, kompromisslos, will einfach "sein Zeug runterbringen" - und damit erfolgreich sein.
Vor dem Japaner Ryoyu Kobayashi und dem Gesamtweltcup-Führenden Stefan Kraft aus Österreich führt Wellinger die Wertung der Tournee an - also ein Dreikampf um den Gesamtsieg? "Mit Blick auf die Ausgangslage würde ich sagen: Ja. Aber das heißt nicht, dass es auch so bleibt", so Wellinger: "Die zehn Punkte sind schnell weg. Da darf man sich keinen Fehler erlauben."
Wellingers Traum vom Tourneesieg
Und auch deshalb will Wellinger bei sich bleiben, auch das Saisonhighlight Vierschanzentournee in kleinen Schritten denken, in großen Sprüngen schaffen. Dass der 28-Jährige nicht nur sportliche, sondern auch seherische Fähigkeiten haben könnte, zeigt er beim Weltcup in Engelberg - zwei Wochen vor seinem Auftaktsieg in Oberstdorf. "Ich würde am 6. Januar gern lesen: Endlich wieder ein Deutscher ganz oben", sagt Wellinger da und grinst. Und wer? "Na, am liebsten ich." Dann hätte Andreas Wellinger mehr als nur diesen einen besonderen Moment bei der Tournee gehabt.