
Skispringerin in Top-Form Selina Freitag - wenn große Fußstapfen ausgefüllt werden
Selina Freitag springt konstant wie nie, der erste Weltcupsieg scheint nur noch eine Frage der Zeit. Schon jetzt ist sie aus den großen Fußstapfen ihrer Familie herausgetreten.
Selina Freitag kennt mittlerweile das Gefühl, in der "Leaders Box" Platz zu nehmen. Dort also, wo es sich die Spitzenreiterin bei einem Weltcup-Springen gemütlich machen kann, um im Anschluss gebannt zu verfolgen, ob die Konkurrenz nachlegt. Das war auch am vergangenen Wochenende in Ljubno so. Einmal mehr hatte Freitag ihre Qualitäten gezeigt und sich in Stellung auf ihren ersten Weltcupsieg gebracht. Doch einmal mehr musste sie sich geschlagen geben. Auch dieses Gefühl kennt sie mittlerweile gut.
Dennoch hat Freitag mit ihren beiden zweiten Plätzen (jeweils hinter Nika Prevc) ihre starke Form unterstrichen. Die 23-Jährige von der SG Nickelhütte Aue präsentiert sich in diesem Winter äußerst konstant und schaffte es mit einer Ausnahme bei jedem Wettbewerb in die Top 10. Mehr noch: In Ljubno sprang sie am Sonntag zum sechsten Mal auf das Podest, zudem konnte sie im Mixed Team und Super Team bereits drei Saisonsiege feiern. "Ich weiß, ich habe die Sprünge drin. Ich weiß, wie ich sie abrufen kann. Das ist schon sehr viel wert", meinte Freitag zuletzt mit Blick auf ihre Leistung.
Auf den Spuren des Bruders
Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis bei ihr auch in einem Einzelspringen der Knoten platzt. So wie damals bei ihrem Bruder. Der Name Freitag ist im Skispringen schließlich nach wie vor eng mit Richard verbunden, Selinas älterem Bruder. Jahrelang sprang der 33-Jährige in der Weltspitze mit, feierte insgesamt acht Weltcupsiege, zwei WM-Titel und Olympia-Silber. In der Saison 2017/18 war er mehr als vielversprechend in die Vierschanzentournee gestartet, ehe er in Innsbruck schwer stürzte und aus der Tournee aussteigen musste.
All diese Momente hat Selina Freitag hautnah miterlebt, die Erfolge ihres Bruder sind noch heute ihr Antrieb. Der Sport wurde ihr quasi in die Wiege gelegt. Schon Vater Holger war Skispringer und holte 1983 in Harrachov seinen ersten und einzigen Weltcupsieg. Ausgerechnet dort, wo Richard Freitag 27 Jahre später ebenfalls zum ersten Mal triumphieren konnte. 2022 beendete sein Sohn seine Karriere. Der Name Freitag ist durch Selina aber weiter prominent im Skisprung-Zirkus vertreten.
Doppeltes WM-Gold in Planica
Schon als 17-Jährige debütierte sie im Weltcup und deutete schon früh ihr Potenzial an. Am Neujahrstag 2023 schaffte sie es erstmals auf das Podest und gewann wenige Monate später doppeltes WM-Gold mit dem Frauen-Team und dem Mixed-Team in Planica.
Auch der Leistungsknick in der vergangenen Saison, als Freitag ohne Podestplatz blieb und ein ums andere Mal Lehrgeld zahlen musste, ist verdaut. Anders sind ihre Leistungen in diesem Winter nicht zu erklären. Freitag besticht durch Konstanz und hat sich neben Rekordweltmeisterin Katharina Schmid zur festen Größe im deutschen Team entwickelt.
Freitag prangert Ungleichbehandlung an
Dazu hat ihr Wort Gewicht. Erst um den Jahreswechsel sorgte sie auch über die Grenzen ihres Sports hinaus für Aufsehen, als sie mit deutlichen, aber höflich gewählten Worten die nach wie vor herrschende Ungleichbehandlung der Frauen im Skispringen anmahnte.
"Ich habe für meinen Quali-Sieg ein Bag mit Duschcreme, Shampoo und Handtüchern bekommen", sagte Freitag bei der Two-Nights-Tour in Garmisch-Partenkirchen. "Die Herren kriegen für einen Quali-Sieg 3.000 Schweizer Franken. Ich möchte gar nicht groß darüber meckern, aber da sieht man den Unterschied."
Freitag bekam daraufhin von vielen Seiten Zuspruch. Neben dem Deutschen Skiverband auch aus der Politik. Aus ihrer Kritik scheint sie weitere Motivation gezogen zu haben, in den Wochen darauf sprang sie zu vier Einzelpodesten und bereits erwähnten Erfolgen im Team. Nur der erste Weltcupsieg lässt eben noch auf sich warten. Aber "sie ist auf dem besten Weg, auch eine Siegspringerin zu werden", ist sich Frauen-Bundestrainer Heinz Kuttin sicher.
Mitfavoritin in Trondheim
Vor allem in puncto Technik und Fluggefühl habe sie sich in den vergangenen Jahren enorm gesteigert. Zudem bringt sie bereits jetzt jede Menge Erfahrung mit und weiß, an welchen Stellschrauben sie künftig drehen muss, um auch auf dem Podest ganz oben zu stehen.
Schon bei der WM-Generalprobe am Wochenende in Hinzenbach bieten sich ihr dafür zwei neue Chancen, ehe sie als Mitfavoritin in die Titelkämpfe in Trondheim geht. Nicht ausgeschlossen, dass Selina Freitag dann auch bis zum Ende des Wettkampfs in der "Leaders Box" Platz nehmen darf.