Leichtathletik-EM Die deutschen Hoffnungsträger für Rom
Olympiasiegerin Malaika Mihambo, Europameister Niklas Kaul oder auch Hindernis-Ass Gesa Krause: Der DLV hat bei der Leichtathletik-EM in Rom einige heiße Eisen im Feuer. Was ist drin für das deutsche Team?
Gina Lückenkemper: schnell, selbstbewusst und auch erfolgreich?
100 m Frauen: Sechs Sprinterinnen waren in diesem Jahr schneller über die 100 m als Gina Lückenkemper, und ohnehin ist das Niveau in Europa insgesamt gestiegen seit dem doppelten Titelgewinn (Einzel und Staffel) der 27-Jährigen bei der Heim-EM in München 2022. Ein Platz auf dem Podium wird nicht leicht, doch Lückenkemper ist so stark wie nie in die Saison eingestiegen, richtig gut drauf und bringt mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Erfahrung zusätzlich positive Faktoren mit. Sie wird schnell sein und dürfte im Kampf um eine Medaille wieder ein Wörtchen mitreden.
Sprintstaffel der Frauen hat sich viel vorgenommen
4x100 m Frauen: Die erfolgreiche Titelverteidigung ist das erklärte Ziel. Die DLV-Staffel ist durchweg in toller Form und das Selbstvertrauen stimmt. Großbritanniens und Italiens Läuferinnen sind starke Konkurrentinnen, es wird auf die Qualität bei den Wechseln ankommen. Es wird allemal spannend.
Gesa Krause ist wieder da - und wie!
3.000 m Hindernis: Da geht was. Gesa Felicitas Krause ist wieder da - und wie! Bei ihrem Comeback fast genau ein Jahr nach der Geburt ihrer Tochter rannte die zweimalige Europameisterin Ende April beim Diamond League Meeting im chinesischen Suzhou in 9:16,24 Minuten an die Spitze der europäischen Bestenliste. Platz zwei im Ranking belegt Vize-Europameisterin Lea Meyer, die im Mai in Los Angeles in 9:22,51 Minuten das drittschnellste Hindernisrennen ihrer Karriere hinlegte. Auch WM-Finalistin und U23-Europameisterin Olivia Gürth hat die Olympia-Norm bereits geknackt und kann in Rom vorne mitlaufen, wenn auch wohl noch nicht um eine Medaille.
Melat Kejeta gehört zu den Favoritinnen
Halbmarathon Frauen: Gerade im Halbmarathon ist das europäische Niveau hoch, die deutsche Rekordhalterin Melat Kejeta (1:05:18 Std., 2020) gehört aber in der Einzelwertung zu den Favoritinnen. Auch in der Teamwertung könnte eine Medaille für die starken DLV-Frauen herausspringen.
Olympiasiegerin Malaika Mihambo hat starke Konkurrenz
Weitsprung Frauen: Die unwiderstehliche Malaika Mihambo will bei der EM nach einem schwierigen WM-Jahr 2023 und überwundenen Verletzungen weiter Schwung aufnehmen für die Sommerspiele in Paris, wo sie mit dem zweiten Titelgewinn in Folge Geschichte schreiben könnte. Aber auch bei der großen Dame des Weitsprungs ist nichts selbstverständlich und die Konkurrenz stark. Nicht zuletzt aus dem eigenen Lager. Die 21-jährige Mikaelle Assani kratzt an der 7-Meter-Marke (6,91 m) und sprang im Winter bereits auf Platz vier bei der Hallen-WM. Auch die 20-jährige Laura Raquel Müller ist ein Riesentalent und in Europa vorn dabei.
Malaika Mihambo nach ihrem Olympiasieg 2021 in Tokio.
Diskus-Trio fordert Elkasević heraus
Diskus Frauen: Deutschland ist mit erstklassigen Werferinnen vertreten, alles ist möglich. Die kroatische Seriensiegerin Sandra Elkasević (früher Perkovic) greift im Herbst ihrer Karriere nach dem siebten EM-Titelgewinn, aber Marike Steinacker ist in Top-Form und hat sich Anfang Mai in Wiesbaden auf 67,31 m gesteigert. Und auch Claudine Vita und Shanice Craft mit ihrer Erfahrung können einmal mehr in den Kampf um die Medaillen eingreifen, wenn sie sich etwas steigern.
Ruft Joshua Hartmann sein Riesenpotenzial ab?
200 m Männer: Joshua Hartmann ist stark in die Saison gestartet und läuft in ähnlichen Zeitenregionen wie 2023. Ihm ist über 200 m einiges zuzutrauen - vielleicht sogar ein Platz auf dem Treppchen. Der 24-Jährige verfügt über ein Riesenpotenzial, muss es aber auch konzentriert abrufen. Das gelang im vergangenen Jahr bei der WM weder beim Einzelstart noch mit der Staffel. Aus Fehlern wird man klug - das gilt bestimmt auch für den deutschen Rekordhalter (20,02 Sekunden, 2023). Titelverteidiger Zharnel Hughes läuft die 200 m nicht - das eröffnet der Konkurrenz um Hartmann ganz neue Möglichkeiten.
Gestatten: der deutsche 200-m-Rekordhalter Joshua Hartmann.
4x100 m Männer: Die deutschen Sprinter sind in diesem Jahr allesamt starke Zeiten gelaufen und gelten wie immer auf kontinentaler Ebene als Medaillenkandidaten. Olympiasieger Italien daheim und die Briten sind favorisiert, es wird aber spannend und sieht gut aus auch für das DLV-Quartett - wenn die Wechsel gelingen. Aber das gilt ja für die anderen Nationen auch.
Viertelmeiler haben in Budapest Hoffnungen geschürt
4x400 m Männer: Die deutschen Viertelmeiler liefen im vergangenen Jahr bei der WM in Budapest die schnellste Zeit einer deutschen Staffel seit über 20 Jahren und schüren damit Hoffnungen, dass sie an diesem Punkt ansetzen und das wiederholen. Die 3:01,25 Minuten von der Staffel-WM auf den Bahamas machten schon einen kleinen Vorgeschmack auf das, was in Rom kommen könnte. Das Finale sollte Formsache sein, und dann ist zumindest eine gute Platzierung drin.
Joshua Abuaku kann vorne mitmischen
400 m Hürden: Norwegens Superstar Karsten Warholm läuft auch in diesem Jahr in einer eigenen Liga. Hinter dem Weltrekordler ist das europäische Spitzenfeld zusammengerückt. Mit dabei: Joshua Abuaku, der im vergangenen Jahr für Furore sorgte, als er als erster Deutscher seit 36 Jahren das Hürden-Finale bei einer WM erreichte und zudem die zweitschnellste Zeit in der ewigen deutschen Bestenliste rannte (48,12 Sekunden). Der coole Frankfurter kann von der Stimmung im traditionsreichen Olympiastadion von Rom profitieren - und dann vorne mitmischen. Constantin Preis und Emil Ageykum vervollständigen das starke deutsche Trio, das sich gegenseitig zu Höchstleistungen antreibt. Das Finale ist für alle drin.
3.000 m Hindernis Männer: Auch Karl Bebendorf dürfte die Atmosphäre in Rom aufsaugen, vielleicht kann er sich dann ein weiteres Mal steigern und für eine Überraschung sorgen. Zuletzt verbesserte sich der erfahrene Dauer(b)renner aus Dresden beim Saisoneinstieg Mitte Mai in Polen um fast drei Sekunden auf 8:16,84 Minuten und holte sich die Vormachtstellung von Frederik Ruppert zurück, der Ende April in Spanien in 8:17,41 Minuten vorgelegt hatte. Beide können sich auch in Rom gegenseitig pushen, und die noch knapp fehlende Olympia-Norm dürfte ein weiterer Anreiz sein. Bei der EM 2022 in München war Bebendorf schon Fünfter. Nun ist er so schnell wie nie - vielleicht geht diesmal sogar noch mehr.
Berechtigte Medaillenhoffnungen durch Amanal Petros und Richard Ringer
Halbmarathon Männer: Was für die Frauen gilt, gilt auch für die Männer. Der deutsche Rekordhalter Amanal Petros ist in toller Marathon-Form, und auch Richard Ringer, Marathon-Europameister 2022, kann wieder vorne mitmischen. Die Konkurrenz ist riesig, der Halbmarathon anders als die doppelte Distanz, doch es gibt berechtigte Medaillenhoffnungen - auch in der Teamwertung für die Creme de la Creme der deutschen Läuferszene.
Amanal Petros (l.) und Richard Ringer bei der Leichathletik-EM 2022 in München.
20 km Gehen Männer: Routiniert, engagiert, wettkampfhart und schon ewig in der Weltspitze vertreten - das ist Christopher Linke. Seinen großen Traum von internationalem Edelmetall erfüllte sich der 35-Jährige schließlich bei der Heim-EM in München vor zwei Jahren mit Platz zwei über 35 km. Auch diesmal darf er wieder mit einer Medaille liebäugeln, wenn alles passt.
Torben Blech peilt das Podium an
Stabhochsprung Männer: Bei der EM in München zeigte Bo Kanda Lita Baehre mit dem Vizetitel, wozu er in der Lage ist. Doch dann hatte der 25-Jährige Pech, stürzte im Juli 2023 bei einem Sprung in den Einstichkasten. Es folgten eine Meniskus-Operation und eine halbjährige Verletzungspause. In diesem Jahr hat der Düsseldorfer, der schon 5,90 m übersprungen hat, noch nicht richtig abgeliefert. Ende Mai in Leverkusen war bei 5,77 m Schluss.
Torben Blech verbuchte im selben Wettkampf nach überwundenen Fußproblemen 5,82 m - Olympia-Norm geknackt! Bei der Hallen-EM 2023 war der 29-Jährige schon nah dran an seiner ersten internationalen Medaille: Mit 5,80 beendete er den Wettkampf höhengleich mit dem norwegischen Europameister Sondre Guttormsen, musste sich wegen der Anzahl der Fehlversuche aber mit Rang vier begnügen. Nun peilt er in guter Form eine Medaille an. Gold ist natürlich für Schwedens Weltrekordhalter Armand Duplantis reserviert.
Weitsprung Männer: Senkrechtstarter Simon Batz belegt mit seinen 8,18 m aus der Hallensaison Platz sieben in der europäischen Jahresbestenliste, und auch im Freien knackte er die 8-Meter-Marke regelmäßig. Zuletzt fehlte ihm allerdings auch in der eigenen Wahrnehmung etwas die Lockerheit - die wird der 21-Jährige aber brauchen, um sich bei der EM weiter zu steigern. Dann hätte er eine kleine Chance auf Platz drei.
Julian Weber kann seinen Titel verteidigen
Speer Männer: Julian Weber wirft auch in diesem Jahr stabil auf hohem Niveau. Nicht nur auf eine Medaille, auch auf die erfolgreiche Titelverteidigung stehen die Chancen in dieser Form gut. Der erst 19-jährige Max Dehning feuerte seinen Speer Ende Februar sensationell auf über 90 m (90,20) und katapultierte sich damit auf Rang eins der Weltjahresbestenliste. In allen Wettkämpfen danach konnte der Youngster nicht mehr an diese Top-Weite anknüpfen, aber er ist ein Mann für die Zukunft und braucht Zeit und Erfahrung.
Speerwurf-Titelverteidiger Julian Weber.
Niklas Kaul will wieder auf den Zehnkampf-Thron
Zehnkampf: Der Fuß ist wieder in Ordnung, der Frust von Niklas Kaul nach dem verletzungsbedingten WM-Aus im vergangenen Jahr wohl verdaut. Kommt der Weltmeister von 2019 und Titelverteidiger in Rom, der nun beim Hochsprung mit links abspringt, ohne Verletzung durch den fordernden Wettkampf, wird er vorne mitmischen - und vielleicht sogar seinen Thron erfolgreich verteidigen. Seine Konkurrenten sind einige junge Wilde sowie Frankreichs "Problembär" Kevin Mayer. Der zweimalige Weltmeister hat das Ticket für Olympia im eigenen Land noch nicht - anders als Kaul, der sich an dieser Stelle entspannen und auf die Titelverteidigung in Rom konzentrieren kann.