Busemanns EM-Orakel Sprint Lückenkemper peilt Gold an - Hartmann muss fokussiert bleiben
Noch mal über Gold jubeln wie 2022 - das ist das Ziel von Gina Lückenkemper bei der Leichtathletik-EM in Rom. Joshua Hartmann muss beweisen, dass er über 200 m bis ins Ziel konzentriert bleiben kann. Auch in den Sprintstaffeln sind starke Nerven gefragt. ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann mit seinen Sprint-Einschätzungen.
100 m
Heimvorteil für Marcell Jacobs
Bei den schnellsten Männern des Kontinents kommt es zum Aufeinandertreffen der Nationen Großbritannien versus Gastgeber Italien. Wer von den schnellen Protagonisten wird Gold gewinnen? Wer wird im Hexenkessel die Nerven behalten? Für Zharnel Hughes und den Jahresschnellsten Jeremiah Azu sprechen die Vorleistungen, für Marcell Jacobs der Heimvorteil - und für all ihre Teamkollegen der abgelenkte Fokus auf sie.
Die DLV-Sprinter Yannick Wolf, Owen Ansah und Robin Ganter haben sich mit Zeiten von 10,08 bis 10,13 Sekunden in Leverkusen prächtig in Szene gesetzt. In Rom bedarf es der immerwährenden Anforderung, den 100 Meter langen Tunnelblick ins Ziel zu richten, die Außenwelt auszublenden, locker zu bleiben und den Speed zu genießen. Einer der drei muss ins Finale.
ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann.
Lückenkemper ist in Topform
Bei den Frauen freuen wir uns auf Titelverteidigerin Gina Lückenkemper, die noch nie so stark in eine Saison eingestiegen ist wie in diesem Jahr. Die Vorzeichen stehen gut, dass sie richtig schnell um eine erneute Medaille mitreden wird, doch die beiden Britinnen Dina Asher-Smith und Daryll Neita werden genauso wie Ewa Swoboda aus Polen etwas dagegen haben. Das deutsche Quartett komplettieren Rebekka Haase, die in diesem Jahr mit 11,07 Sekunden fast Bestleistung gelaufen ist, Lisa Mayer, die sich die Leichtigkeit des Sprints zurückerarbeitet hat und ambitioniert genießen kann, sowie Jennifer Montag. Zwei DLV-Ladys könnten wir am Sonntagabend (09.06.2024) im Finale sehen.
200 m
Hartmann könnte von Hughes' Abwesenheit profitieren
Noch einmal wird dem deutschen Rekordhalter Joshua Hartmann so ein Fauxpas wie bei der letztjährigen WM nicht passieren. Er hat gelernt und wird sich seiner Sache erst im Ziel wirklich sicher sein. Vergleicht man seine Leistungen mit denen aus dem Vorjahr, kann es in diesem Jahr in ähnliche Zeitenregionen gehen - und damit ist er sogar ein Mann, der an den Medaillen schnuppern kann. Aber - siehe oben - nur dann, wenn er erst im Ziel in der Gegend umherschaut. Am besten auf die Anzeigentafel.
Titelverteidiger Zharnel Hughes wird nicht vorne zu finden sein, weil er den Titel nicht verteidigen will. Sein Fokus in Rom sind die 100 Meter und die Staffel. Diese Begebenheit eröffnet gaaanz neue, ungeahnte Möglichkeiten für all die anderen Halbrundenrenner ...
Bei der WM in Budapest schied Joshua Hartmann selbstverschuldet im Vorlauf aus.
Britin Daryll Neita auf Gold-Kurs
Europas schnellste Frau, Dina Asher-Smith, verzichtet aufgrund des geballt engen Programms auf die 200 Meter. Das macht den Weg frei für Daryll Neita - in der Theorie. Vor zwei Jahren war das schon mal so mit Asher-Smith, dann kam Mujinga Kambundji und schnappte ihr den Titel weg. Entscheidend ist also auf der Bahn und nicht in der Glaskugel. Die schon im Juniorenbereich erfolgreiche Talea Prepens kann auf der halben Stadionrunde ihr Können unter Beweis stellen und mit der erfahrenen Jessica-Bianca Wessolly ins Halbfinale stürmen.
400 m
Finalplätze sind rar - und schwierig zu ergattern
So langsam kommen die Viertelmeiler ins Rennen. Sexy Zahlen bieten uns Jean-Paul Bredau und Manuel Sander seit letztem Jahr an. Die europäische Spitze hat immer eine 4 an zweiter Stelle, Bredau seit vergangenem Jahr auch. Die beiden sind auf einem guten Weg, verbessern sich in dieser Saison stetig und wollen auch in Rom wieder in diesem Bereich im Finale abliefern. Marc Koch wird alles in den Vorlauf setzen - er muss versuchen, dort persönliche Bestzeit zu laufen.
Vorne stellt sich die Frage, ob Matthew Hudson-Smith, Alexander Doom oder - mit Außenseiterchancen - Charlie Dobson und Havard Bentdal Ingvaldsen die besseren Laktatproduzenten sind. Hudson-Smith hat mit seinem Europarekord in Oslo (44,07 Sek.) alle Trümpfe in der Hand. Auf jeden Fall können wir sicher sein, dass sich die vier die Seele aus dem Leib ballern werden. Im Umkehrschluss lässt das aber für die Konkurrenz nur noch vier Plätze für das Finale frei.
Titelverteidigerin Bol ist nicht am Start
Über die 400 Meter darf die Konkurrenz froh sein, dass wir in einer Olympiasaison stehen und Femke Bol nicht zur Titelverteidigung ansetzt. Das macht den Weg frei für die anderen. Vielleicht ist das endlich mal die Chance für Lieke Klaver, aus dem sportlichen Schatten einer Bol zu treten, oder für die immerstarke Natalia Kacmarek, die in Oslo die europäische Konkurrenz quasi vernichtete.
110 m Hürden
Mordi hat nichts zu verlieren
Das hört sich doch mal wieder gut an: 13,36 Sekunden. Von Manuel Mordi. Damit zieht man ins Finale ein. Aber: Rom ist nicht Leverkusen, und einmal ballern ist kein Turnierrennen. Drei Runden konzentriert gegen gleichwertige Konkurrenz zu bestehen, das ist eine Herausforderung. Und diese Erfahrung wird Mordi sammeln und machen. Er kann befreit auflaufen, zu verlieren hat er nix und eine 36 läuft man mit 21 Jahren nicht alle Tage. Tim Eickermann hat in seinem Sog ebenfalls eine starke 13,61 in die Bahn gebrannt. Auch bei ihm geht es darum, sich möglichst teuer zu verkaufen.
Die Big Boys vorn haben all die Erfahrung schon hinter sich gebracht: im Finale zu stürzen (Sasha Zhoya), mit einer Tausendstelsekunde Vorsprung den EM-Titel nach Hause zu kämpfen (Asier Martinez), mit jahrelanger Erfahrung und vielen Rennen präpariert zu sein (Andrew Pozzi) - oder zu wissen, dass man echt schnell laufen kann (Jason Joseph). Und diese Liste ist noch nicht zu Ende. Es wird ein Wimpernschlagfinale für den toughsten Hürdenracer Europas.
100 m Hürden
Ditaji Kambundji kann Gold gewinnen
Wer 22 Jahre alt ist, vor zwei Jahren schon Dritte in München war, Europas Schnellste in diesem Jahr ist und deren Schwester Mujinga heißt, die muss sich nicht wundern, als Favoritin ins Rennen zu gehen. Ditaji Kambundji hat sich im Schatten ihrer übergroßen Schwester zu einer Tophürdlerin gemausert und schickt sich an, in Rom die erfolgreiche Medaillenvitrine der Familie weiter zu veredeln. Wie bei den Männern wird es aber auch im Hürdenwald bei den Frauen eine ganz knappe Kiste werden. Letztlich wird nicht unbedingt die schnellste, sondern die allroundigste mit den Fähigkeiten Speed, Nervenstärke, Präzision und doppelte Widerstandskraft als Beste gekrönt.
Marlene Meier und Rosina Schneider werden ihre Debüts auf großer Meisterschaftsbühne geben. Sie müssen sofort hellwach und präzise sein - und sich im Vorlauf schadlos halten.
400 m Hürden
Deutsches Trio hat das Zeug fürs Finale
Was machen uns die Deutschen in letzter Zeit Spaß! Leistungen wie zu besten Harald-Schmid-Zeiten. Allen voran Joshua Abuaku mit der zweitschnellsten Zeit ever. Dicht gefolgt von Constantin Preis und Emil Ageykum. Das ist Biss und Speed in einer Disziplin in einem Trio vereint. Und dieser Konkurrenzkampf tut allen gut. Keiner kann sich ausruhen, alle wollen alles. Jeder der drei kann ins Finale (11.06.2024) einziehen. Oder aber auch alle. Das wird unfassbar schwer. Europa ist nicht langsam. Karsten Warholm tobt vorn weg, die Schar hinterher. Aber wenn einer auf leicht stünde, würde keiner freiwillig auf so eine verrückte Distanz gehen.
Wer leistet Goldfavoritin Bol im Finale Gesellschaft?
Femke Bol. Superlativ. Fertig. Mehr ist nicht zu sagen. Carolina Krafzyk wollte die EM in Rom eigentlich nutzen, um für Paris ein wenig Wettkampfpraxis zu sammeln. Eine Entzündung der Achillessehne zwang sie aber zur Absage, die Schmerzen waren zu groß. Eileen Demes entwickelt sich seit Jahren in die richtige Richtung und verbessert sich - auch gern zum Saisonhöhepunkt, wie im letzten Jahr bei der WM. So muss das sein. Wenn sie einen guten Tag erwischt und die Serie der Entwicklung fortsetzt, kann sie sogar ins Finale sprinten.
4x100 m Staffel
Es wird wieder auf die Wechsel ankommen ...
Bei den Männern wird die deutsche Staffel auf kontinentaler Ebene wie immer um die Medaillen mitlaufen. Klappen tat es zuletzt 2016. Es ist halt eine Krux mit diesem verdammten Stäbchen, was um die Bahn getragen werden muss. Den anderen Nationen geht es da aber ähnlich. Nur wer läuferisch auf der Höhe ist und keine Fehler macht, wird am Ende als strahlender Sieger aus dem Quartettskampf hervorgehen.
Italien muss seinen Heimvorteil nutzen und geht als Olympiasieger favorisiert ins Rennen. Doch die Briten sind nicht minder langsam, auf dem Papier gar um einiges schneller und wollen (und werden) das verhindern. Wenn die Sache mit dem Stäbchen nicht wäre ...
DLV-Frauen wissen, was sie können
Bei den deutschen Frauen ist die Titelverteidigung das erklärte Ziel, doch - siehe oben - die Wechselqualität entscheidet über Sieg und Niederlage. Läuferisch sind sie top in Schuss, müssen den Speed auf den Stab bringen und dann können sie auch in Roms Abendhimmel die Stars werden. Doch leider will das Großbritannien verhindern, die in den Einzelzeiten noch ein bisschen schneller sind, und auch Italien will zu Hause mit den Landsleuten im Rücken den Nachbrenner zünden. Doch unsere Mädels strotzen vor Selbstbewusstsein und wissen, was sie können. Mit so einer Einstellung muss frau in den Wettkampf gehen.
4x400 m Staffel
Final-Einzug ist für deutsche Männer nur Formsache
Die Männer liefen in Budapest die schnellste Zeit einer deutschen Staffel seit über 20 Jahren und schüren damit Hoffnungen, dass sie an diesem Punkt ansetzen und es wiederholen. Die 3:01,25 Minuten von der Staffel-WM auf den Bahamas machten schon einen kleinen Vorgeschmack, auf das, was in Rom noch kommen könnte. Das Finale muss in diesem Fall Formsache sein.
Niederländerinnen scheint EM-Gold sicher zu sein
Bei den Frauen wird das Unterfangen Endlaufteilnahme um einiges schwieriger, aber muss auch hier das Ziel sein. Dem Sturmlauf der Niederländerinnen um Bol und Klaver kann keine Nation etwas entgegensetzen.
Erstmals ausgetragen wird die global etablierte Mixed-Staffel, die direkt mit einem Finale, aber leider ohne deutsche Beteiligung stattfindet.