Frank Busemanns Olympia-Kolumne Malaika Mihambo geht mit Druck einfach außergewöhnlich um
Ja, keine Frage, Malaika Mihambo hat es spannend gemacht in der Weitsprung-Qualifikation bei den Olympischen Spielen in Paris. Aber unter Druck zeigt die 30-Jährige eben stets Außergewöhnliches, erklärt ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann.
Keine Angst vor großen Weiten, sagte einst mein mich trainierender Vater. Acht Meter zu springen sei nicht so schwer - einfach schnell anlaufen, gut abspringen, spät landen. Fertig.
Eigentlich ganz einfach. Ist es auch, wenn man diese Erfolgsformel beherzigt. Mitunter hat der Weitsprung-Gott vor großen Weiten aber noch ein kleines Techtelmechtel mit dem Psychoteufel.
Richtiger Absprung ist extrem wichtig
In der Qualifikation fürs Olympia-Finale der Frauen haben wir wieder gesehen, dass es nicht sooo leicht ist, weit zu springen. Es gibt als erstes Hindernis nämlich die Anforderung des richtigen Absprungs. Stand in der Stellenbeschreibung für den Job des Weitspringers m/w/d. Konnte jeder im Vorfeld nachlesen.
Malaika Mihambo hatte zwar zwei Versuche, die der eingangs erwähnten Beschreibung des weiten Sprungs entsprachen, leider waren diese ungültig. Übergetreten. Heißt ja "Weitsprung" und nicht "Balken treffen", sollte man meinen. Gehört aber dazu.
Balken gehört zum Weitsprung-Gesamtkonzept
Manuel Mordi war im Hoffnungslauf hinter der letzten Hürde auch noch im Halbfinale, es heißt aber leider nicht 96-Meter-Hürdenlauf, sondern die letzten 14 Meter ins Ziel werden auch noch gemessen.
Fred Kerley hätte über 100 Meter nicht Bronze gewonnen, sondern wäre von der reinen Laufzeit nur Sechster geworden. Er hat nämlich äußerst schnell auf den Schuss reagiert. Die reine Laufleistung war langsamer als die der nach ihm Platzierten. Also gehört verdammterweise dieser vermaledeite Balken zum Gesamtkonzept Weitsprung.
Mihambo fokussiert sich aufs Wesentliche
Und jetzt war da die Olympiasiegerin, Weltmeisterin, Europameisterin, Sportlerin des Jahres, der Überflummi schlechthin, Malaika Mihambo, und hat noch keinen gültigen Versuch. Alles muss in den Dritten gelegt werden. Nur diese eine Chance noch, den Balken zu treffen. Diese Situation kennt sie. Immer wieder nutzt sie solche brenzligen Situationen, um sich mit einem Paukenschlag zu befreien. Und das ist ihr großer Vorteil.
Andere sagen: "Ich habe nur noch diesen einen Versuch, dann ist alles vorbei." Sie sagt: "Ich habe noch eine Chance und ich nutze sie." Es ist eine kleine Umformulierung mit großer Wirkung. "Ich habe nur noch einen" - das hat was Bedrohliches, was Panisches. Mihambo aber fokussiert sich auf das, was ist - und nicht auf das, was sein könnte. Sein oder Nichtsein. Das ist hier die Frage.
Beim letzten Versuch hilft auch das Adrenalin
Und Mihambo hat Antworten. Sie hat das ganz allein in der Hand. Sie weiß, dass sie einen mittelmäßigen Sprung benötigt, sie kann am Brett was liegenlassen und kommt immer noch ins Finale. Das Adrenalin hilft bei solchen Sachen schon ein wenig. Der letzte Versuch unter Druck hat schon was.
Sie haute im dritten einen raus, dass der Konkurrenz angst und bange werden könnte. Das war aber nur ein kleines Vorgeplänkel. Abgehakt, geschafft. Und das war kein Glück. Quali ist Kindergeburtstag, wenn man es geschafft hat. Kann aber auch der Genickbrecher sein. Also, weiter geht's.
Im Finale muss alles passen
Im Finale, da reicht kein Sicherheitssprung. Da muss alles passen. Sie hat es schon so oft bewiesen und mittlerweile denken wir alle: "Hey, das ist Malaika, die macht das schon!" Was das aber bedeutet, was sie da immer wieder macht, das kann man sich gar nicht vorstellen. Das kann sich nur sie selbst vorstellen. Deshalb macht sie es ja immer wieder. Und das ist sooo unfassbar außergewöhnlich.
Aber das macht den Reiz auch aus und macht den Weitsprung zu einem Gesamtkunstwerk. Gedanken fokussieren, Nebenschauplätze ausblenden, schnell anlaufen, den Körperschwerpunkt rhythmisch absenken, den Balken treffen, gut abspringen und spät landen. Nur wer das beherrscht, wird eine Malaika.