ARD-Experte Frank Busemann Olympia - Schauplatz des Mitfieberns, Anfeuerns, Bangens
Was war das für eine Show? Wir schreiben Tag 1 der olympischen Leichtathletik- Wettkämpfe im Stadion. In der ersten Woche diente diese imposante Schüssel als Schauplatz der Rugbyturniere. Und nun also Laufen, Springen, Werfen. Die Grunddisziplinen der Menschheit. Olympischer Kernsport sagt man gern dazu.
Voller Begeisterung und mit ein wenig Arroganz in der Stimme schwärmte ich von der Begeisterung der Wettkämpfe des größten Sportfestes der Menschheit. Morgens sind die Sessions ausverkauft, erzählte ich immerzu und bediente mich meiner längst angestaubten Erinnerungen.
Vor drei Jahren, in Tokio, als Corona die Welt in Atem hielt, da waren die Stadien leer. Es hieß Olympia und man fühlte Kreismeisterschaft. Als Leichtathlet fährt man zur EM und keiner ist da. Aber irgendwann, in fast vergessener Zeit, da war das alles mal voll. Mit Menschen.
Athleten machen jetzt große Augen, wenn sie in volle Stadien marschieren - und die sind ausverkauft. Morgens. Einfach, weil die Leute da sind. Alle.
Ohrenbetäubender Lärm
Ein ohrenbetäubender Lärm macht sich breit. Patriotismus ist erlaubt und erwünscht. Ein Franzose betritt das Stadion. 120 Dezibel. Ein Französin läuft. 130 Dezibel. Ein Landsmann gewinnt seinen Lauf. 150 Dezibel. Man versteht sein eigenes Wort nicht. Das des anderen ohnehin nicht. Man geht auch nicht ins Stadion, um sich zu unterhalten. Man geht dahin, um zu erleben.
Schweineteuer sind diese verdammten Eintrittskarten. Warum, fragt man sich. Ein elitäres Zusammentreffen von emotionssuchenden Dezibelnerds? Man könnte auch für 30 Euro in die Disko gehen. Danach ist man auch taub.
Die Zehnkämpfer wollen 400 Meter laufen. 15 Kilometer Luftlinie wird ein Franzose Schwimmolympiasieger. 160 Dezibel. Keiner ist da, aber alle haben es gesehen. Und schreien, jubilieren, liebkosen die Welt. Mit Lärm. Die Zehnkämpfer müssen warten, bis die menschliche Hülle der Anwesenden wieder mit dem olympischen Geist des Stade de Frances vereint ist.
Emotionen machen Menschen glücklich
Die Läufer laufen 10.000 Meter. 25 Runden. Mitunter etwas monoton. Nicht so in Paris St. Denis an diesem Abend. 27 Minuten Dauerlärm. Weil ein Franzose mitläuft. Jimmy Gressier sein Name. Er wird Dreizehnter. Okay, knapp an den Medaillen vorbei, um genau zu sein: zehn Plätze. Französischer Rekord zwar, aber er lief da halt so mit. Einer von vielen, aber die Leute gehen steil.
Und er geht auf die Ehrenrunde. Weil die Menschen die Menschheit feiern. Weil Emotionen Menschen glücklich machen und das hier der Platz der großen Vereinigung ist. Olympia ist der Schauplatz des Mitfieberns, Anfeuerns, Bangens, Bebens und enthusiastischer Zerstreuung.
Ich bin schon lange dabei, aber so eine Stimmung erlebt man ganz selten. Und sie ist elektrisierend. Eigentlich könnte man sagen, nach diesem Abend musst du nie wieder in irgendein Stadion gehen. Aber ich befürchte, das geht hier noch acht Tage so weiter.