Leichtathletik-EM Gesa Krause - Ausnahme-Athletin, Mutter, Medaillenanwärterin
Gesa Felicitas Krause ist nach ihrer Babypause zurück auf der ganz großen Bühne - und greift bei der Leichtathletik-EM in Rom gleich wieder nach einer Medaille. Der Alltag der zweimaligen Hindernis-Europameisterin hat sich seit der Geburt von Tochter Lola stark verändert, doch mit viel Disziplin hat sie sich längst wieder in Topform gebracht - und ist fokussiert wie immer.
Wer Gesa Felicitas Krause vor Jahren bei ihren ersten großen Meisterschaften erlebte, ahnte schnell, wen er da vor sich hatte. Ein Riesenlauftalent, natürlich. Aber auch eine junge Frau, die genau wusste, was sie will. Die ihre Ziele klar vor Augen hatte und einen erstaunlich präzisen Plan, wie sie dorthin gelangen könnte. Keine Träumerin, sondern Realistin durch und durch. Willensstark, diszipliniert und fleißig, ehrgeizig und fokussiert.
Medaillen-Vitrine prall gefüllt
Knapp 13 Jahre nach ihrem ersten Auftritt auf der ganz großen internationalen Bühne in Daegu/Südkorea, wo Krause gerade 19-jährig ins WM-Finale gestürmt war, ist die Vitrine der Hindernisläuferin von Silvesterlauf Trier prall gefüllt. Zweimal WM-Bronze (2015 und 2019) findet sich unter anderem darin, außerdem drei EM-Medaillen - darunter zwei aus Gold (2016 und 2018).
Ohne Probleme ins EM-Finale von Rom
Nun stehen wieder Europameisterschaften an, in Rom lief die 31-Jährige am Freitag (07.06.2024) in 9:31,52 Minuten ohne Probleme ins Finale über 3000 m Hindernis am Sonntag (22.04 Uhr, live im Ersten und bei sportschau.de), wo sie sogar zu den Titelfavoritinnen zählt und zum dritten Mal Europameisterin werden könnte.
Die Chancen stehen nicht schlecht, die Vorleistungen sind grandios. Was alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist, denn erst Ende April 2023 erblickte Krauses Tochter Lola das Licht der Welt. Die Leistungen von Kolleginnen und Konkurrenz unter anderem bei den Welt-Titelkämpfen in Budapest beobachtete sie von der Couch aus.
Die Wettkämpfe fehlten "extrem"
"Das war auch mal schön, weil die Umstände eben besondere waren", erzählte sie in Rom. Doch die Wettkämpfe fehlten ihr "extrem", und so sollte das kein Dauerzustand sein für die Athletin, sie sich quälen kann wie kaum eine andere.
Auch wenn ich manchmal ungeduldig bin, ist es eine meiner größten Stärken, dass ich sehr lange auf ein Ziel hinarbeiten kann.
Die Rückkehr auf die Bahn war von Anfang an das Ziel, sie hielt sich fit und trainierte auch mit Babybauch, was in den sozialen Netzwerken nicht jedem gefiel. Und auch nicht, dass sie den Faden ihrer Laufkarriere wieder intensiv aufgenommen hat.
Doch die Olympia-Fünfte von Tokio bleibt cool. "Wenn man in der Öffentlichkeit steht oder im Zeitalter von Social Media, meinen viele Leute, dass sie da mitreden können. Aber am Ende muss jeder für sich selbst entscheiden, wie er sein Leben gestalten möchte. Ich lasse diese Sachen gar nicht erst an mich ran", sagte sie der ARD.
Disziplin, Pragmatismus und Organisationstalent sind gefragt
Die Betreuungssituation ist eine permanente Herausforderung, in ihrem neuen Alltag mit Kind sind Krauses Tugenden gefragter denn je. Und auch die Familienmitglieder.
"Ohne meine Familie wäre es nicht machbar. Mein Lebensgefährte und ich planen täglich, was bei ihm ansteht, was bei mir ansteht, wie wir das wuppen können, wir müssen auch viel improvisieren. Und dann sind da unsere Familien, die uns unter die Arme greifen. Das ist manchmal schon echt eine logistische Meisterleistung", berichtete die Ausnahme-Athletin.
Doch Hürden haben Krause noch nie abgeschreckt. "Es ist vor allem eine schöne Herausforderung, denn ein Kind gibt einem enorm viel. Deshalb sieht man manche Dinge nicht als Stress an, sondern als etwas Positives."
Ich glaube, dass viele Familien das für sich so gar nicht wollen würden. Aber wir haben es uns zum Ziel gemacht, für mich eine erfolgreiche Saison zu gestalten. Und da ist meine Familie komplett dabei.
Den Sport aufzugeben, war nie eine Option. "Es schlummert noch Feuer in mir. Ich möchte zeigen, dass ich noch dazugehöre", sagte Krause - und ließ schon ein Jahr nach der Geburt ihrer Tochter Taten folgen.
Olympia-Norm gleich zum Saisoneinstieg
Die Teilnahme an ihren vierten Olympischen Spielen machte die deutsche Rekordhalterin (9:03,30/2019) auf Anhieb perfekt, mit ihren 9:16,24 Minuten Ende April im chinesischen Suzhou und dem zweitbesten Saisoneinstieg ihrer Karriere katapultierte sie sich nicht nur an die Spitze der europäischen Jahresbestenliste, sondern überraschte auch ein wenig sich selbst.
Anders als ihren Langzeit-Trainer Wolfgang Heinig, der ihr die Entwicklung prognostizierte und sie auf dem mühevollen Weg zurück in den Leistungssport begleitete. Hatte er doch als Ehemann und Trainer der früheren Marathonläuferin Katrin Dörre-Heinig nach der Geburt von Tochter Katharina Anfang der 1990er-Jahre bereits entsprechende Erfahrungen gesammelt.
Coach Heinig: "Alles schon einmal erlebt"
"Es gibt kaum wissenschaftliche Erkenntnisse dazu. Aber ich habe das alles schon einmal erlebt. Ich weiß, wie lange man braucht nach einer Schwangerschaft, um wieder in den Hochleistungssport einzusteigen. Was man beachten muss, von Knochendichte bis Herz-Kreislaufsystem", sagte der 73-Jährige selbstbewusst. "Ich habe gesagt, Mädel, Ruhe bewahren, und ich verspreche dir, wenn du gesund bleibst, dann wirst du die Olympia-Norm beim ersten Mal rennen. Und so ist es auch gekommen."
"Es ist mein Job, auf Meisterschaften zu performen"
Töchterchen Lola ist oft dabei, in den Trainingslagern, bei Wettkämpfen, allerdings nicht in Rom. Die Familie schickt Fotos zur Überbrückung. "Ich bin ja nur kurz hier und muss mich jetzt um mich kümmern, alle Kraft und Konzentration auf meine Wettkämpfe richten. Da habe ich meine Aufgaben als Mutter mal an meinen Lebensgefährten und unsere Familie abgegeben", erläuterte Krause.
Ein Wiedersehen gibt es dann im nächsten Höhen-Trainingslager in Livigno, das direkt nach ihrem EM-Auftritt ab Dienstag beginnt, drei hat sie schon seit Dezember in Südafrika und Kenia absolviert. Auch bei den Olympischen Spielen in Paris in rund sieben Wochen ist die Tochter dabei. "Aber eben mit meiner Familie und nicht mit mir, denn es ist nun mal mein Job, auf Meisterschaften zu performen", so Krause. "Sie fehlt mir jeden Tag, aber ich weiß, dass sie aktuell bei ihrem Vater und danach bei den Großeltern in den besten Händen ist."
Ich wäre schon traurig, wenn ich ohne Medaille nach Hause fahre. Es wird eine sehr schwierige Aufgabe, und das ist auch gut so. Denn ich möchte auch zeigen, dass ich sehr hart dafür gearbeitet habe, wieder hier zu sein und man mich auch erst einmal schlagen muss.
Vor Olympia soll aber in der "Ewigen Stadt" ein Coup gelingen. "Natürlich würde jeder gerne hören, Gesa Krause ist Mama geworden und zurück und wird Europameisterin. Das klingt für mich auch toll", gesteht Krause, doch sie weiß um die Stärke der Konkurrenz: Drei bis vier Medaillenanwärterinnen hat sie auf dem Zettel, darunter Titelverteidigerin Luiza Gega (Albanien) und Teamkollegin Lea Meyer (Leverkusen), die in München EM-Zweite geworden war. "Das wird definitiv kein Kinderspiel", unterstrich Krause, "aber das ist auch gut so. Ich mag Herausforderungen."
Und so ist es auch kein Wunder, dass Europas Nummer eins die Saisonziele bei aller Zurückhaltung klar formuliert: das olympische Finale in Paris und eine Medaille in Rom. "Natürlich würde ich am liebsten ganz oben auf dem Podium stehen", sagt sie. "Das ist mein Naturell."