Überraschungen bei Olympia Ogunleye und Sprintstaffel sorgen für magische Nacht
Was für ein unverhoffter Festtag für die deutsche Leichtathletik in Paris: Erst sprinteten Gina Lückenkemper und Co. zu sagenhafter Staffel-Bronze, kurz darauf krönte sich Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye in einem Krimi sensationell zur Olympiasiegerin.
Yemisi Ogunleye konnte es selbst kaum fassen. Erst schlug sie überrascht die Hände vors Gesicht, dann kniete sie auf dem regennassen lila Boden. 20,00 m im letzten Versuch. Silber war ihr mit der Bestleistung schon sicher, doch dann konnte ihre ärgste Konkurrentin Maddison-Lee Wesche (Neuseeland/19,86) nicht mehr kontern - und sie hatte sogar Gold.
Zuletzt war das vor 28 Jahren Astrid Kumbernuss gelungen. Aus den Stadionlautsprechern tönte "Völlig losgelöst", die deutschen Fans tanzten auf der Tribüne zu "Major Tom" von Peter Schilling.
Verewigt in Notre-Dame
"Jaaaa", brüllte die Mannheimerin, schnappte sich eine deutsche Fahne, herzte ihre Lieben im Stimmungstempel Stade de France und schlug begeistert die Glocke der Olympiasieger, die am 8. Dezember bei der geplanten Wiedereröffnung von Notre-Dame mit den eingravierten Namen der Sieger aufgehängt werden soll. Dass sie dann gewissermaßen Einzug in die weltberühmte Kathedrale halten wird, dürfte die gläubige Christin besonders freuen.
Den Bibelvers "Du wirst geliebt" hielt die Hallen-Vize-Weltmeisterin direkt nach ihrem unverhofften Triumph beim Olympia-Debüt in die TV-Kameras. Ihr tiefer Glaube an Gott half ihr durch Krisen, schwere Knieverletzungen hatten sie immer wieder zurückgeworfen, die Sport-Karriere stand auf der Kippe. Nun ist die immer strahlende EM-Dritte am Ziel ihrer Träume.
"Der Glaube kann Berge versetzen"
"Das ist so ein unglaublicher Moment gerade. Er hat gezeigt, dass der Glaube Berge versetzen kann", sagte sie. Als sie beim ersten Versuch ausgerechnet auf das mehrfach operierte Knie stürzte, habe sie schon an Aufgabe gedacht. "Aber dann habe ich meine Chance gepackt", erzählte die Frohnatur, bevor die leidenschaftliche Sängerin im Sportschau-Interview den Gospelsong "This Little Light of Mine I'm Gonna Let it Shine" anstimmte.
Lückenkemper und Co. bärenstark zu Bronze
Als Ogunleye nach ihrem Goldcoup durch den Regen tanzte, hatte die Sprintstaffel um Gina Lückenkemper die Ehrenrunde nach ihrem eigenen Paukenschlag gerade beendet. Mit einem famosen Lauf waren Alexandra Burghardt, Lisa Mayer, Lückenkemper, die in der letzten Kurve ein ganz starkes Rennen zeigte, und Rebekka Haase in 41,97 Sekunden zu Olympia-Bronze hinter den USA (41,78) und Großbritannien (41,85) gerannt - die erste deutsche Medaille bei der Teamentscheidung über eine Stadionrunde seit der Wiedervereinigung.
"Wir sind alle um unser Leben gerannt. Wir haben unser Herz auf der Bahn gelassen", sagte Lückenkemper, die in den Armen ihrer besten Freundin Haase Freudentränen vergoss.
Als erst siebter Mensch hat Burghardt nun eine Olympia-Medaille bei Sommer- und Winterspielen gewonnen. "Das ist schon besonders", sagte die Burghausenerin. Bereits bei den Winterspielen 2022 in Peking war sie als Anschieberin von Bob-Pilotin Mariama Jamanka mit Silber heimgekehrt.
Staffel-Erfolg inspiriert Ogunleye
"Unglaublich, was die Mädels da auf die Bahn gebracht haben", lobte Ogunleye das Europameister-Quartett von München 2022. Sie habe im Stadion versucht, sich auf sich zu konzentrieren, hatte dann aber Tränen in den Augen beim Erfolg ihrer DLV-Teamkolleginnen - und ließ sich davon inspirieren. "Ich habe mir gesagt, das kannst du heute auch erreichen." Auf der Tribüne freute sich Bundeskanzler Olaf Scholz mit.
DLV hat vier Medaillen auf dem Konto
Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) feierte damit einen überraschend großen Abend im Stade de France, eigentlich hatte der Vortag mit Weitspringerin Malaika Mihambo und Speerwerfer Julian Weber als aussichtsreichster Wettkampftag gegolten.
Nach dem Super-Freitag und Silber durch Zehnkämpfer Leo Neugebauer und Mihambo hat der DLV nunmehr vier Medaillen auf dem Knoto. Das vom Verband angestrebte Ziel von dreimal Edelmetall ist damit schon vor den letzten Wettbewerben übertroffen. Der Sieg von Ogunleye dürfte dabei das Kronjuwel und einzige deutsche Gold bleiben - und das gleich bei ihrer Olympia-Premiere.