Rhythmische Sportgymnastik in Paris Gold! 17-jährige Varfolomeev ist die Königin des Mehrkampfs
Darja Varfolomeev hat mit gerade einmal 17 Jahren Gold in Paris gewonnen. Bei ihrer Olympia-Premiere krönte sich das Supertalent nach einer grandiosen Vorstellung auf Anhieb zur Königin des Mehrkampfs und zur ersten deutschen Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik. Es ist der Lohn für harte Arbeit - und sehr viel Mut.
Als ihr Glück perfekt war, musste Darja Varfolomeev erst einmal trösten. 142,850 Punkte hatte sie gesammelt und damit Gold, doch auch ihre Teamkollegin Margarita Kolosov hatte einen großartigen Wettkampf mit Reifen, Ball, Keulen und Band gezeigt - und schrammte am Ende als Vierte (135,250) hauchdünn hinter der Bulgarin Borjana Kalejn (140,600) und der Italienerin Sofia Raffaeli (136,300) an Bronze vorbei.
Die deutsche Mehrkampf-Meisterin vergoss bittere Tränen, Varfolomeev nahm sie immer wieder in den Arm und sich selbst zurück. Erst als die Gratulanten mehr und mehr wurden und die Fans um sie herum ausrasteten, kochten auch bei ihr die Emotionen hoch, vergoss sie Tränen der Freude.
Ganz allein aus Sibirien nach Deutschland
Alles hatte sie auf diesen einen Tag ausgerichtet, war mit zwölf Jahren ganz allein und ohne Sprachkenntnisse aus dem westsibirischen Barnaul nach Deutschland zum Bundesstützpunkt Fellbach-Schmiden gekommen. Inzwischen lebt sie mit ihrem Vater und ihrer Chihuahua-Hündin in Fellbach unweit von Stuttgart.
Auch die 60 Stunden Training in der Woche zahlten sich nun aus, wie befreit und begeistert sang die 17-Jährige mit, als für sie bei der Siegerehrung die deutsche Nationalhymne gespielt wurde. Ein historischer Moment, noch nie hat Deutschland eine Goldmedaille in der Rhythmischen Sportgymnastik gewonnen.
"Ich verstehe das alles noch nicht. Aber das bedeutet mir alles. Es ist ein unglaubliches Gefühl, dass sich die ganze harte Arbeit, mein Schweiß, mein Weinen, weil ich nicht mehr kann, die ganzen Schmerzen gelohnt haben", schilderte Varfolomeev im Sportschau-Interview.
Mutter Tatjana extra aus Sibirien angereist
Ob sie vor dem Finale wohl zuvor Druck verspürt hatte? Diese junge Ausnahmeathletin, von der in Paris so viel erwartet wurde - nicht zuletzt von sich selbst. Wenn es so war, dann ließ sie es sich nicht anmerken. Mit traumwandlerischer Sicherheit absolvierte sie am Freitag (09.08.2024) alle vier Durchgänge. Keine konnte mithalten mit der Ästhetik und Technik der sechsmaligen Weltmeisterin, die am Ende in drei der vier Übungen vorne lag.
Die Stimmung vor vollbesetzten Rängen in der La Chapelle Arena war einmal mehr überbordend, man muss es wohl kaum mehr hervorheben bei diesen außerordentlichen Spielen in Paris. "Darja, go for Gold!" prangte auf Pappschildern, der Lärmpegel war immens. Auch Varfolomeev Familie, die teils aus Süddeutschland angereist war, fieberte mit. Mutter Tatjana, in ihrer Jugend selbst eine passionierte Gymnastin, war extra aus Sibirien gekommen.
Diesmal stark mit dem Reifen
Am Vortag hatte sich die deutsche Hoffnungsträgerin in der Qualifikation noch ein wenig von der Kulisse beeindrucken lassen und nach einem Flüchtigkeitsfehler den Reifen verloren. Nun aber setzte sie sich gleich nach der ersten von vier Rotationen an die Spitze.
Mit famosen Spagatsprüngen und hohen Würfen des Reifens beeindruckte die Mitfavoritin, die hochkonzentriert wirkte, aber dabei wie immer strahlend lächelte. Ihre mentale Stärke ist eine ihrer vielen Gaben. Nach der Übung ballte sie die Faust - ein toller Auftakt, am Donnerstag (08.08.2024) war sie noch nach kleinen Patzern als Zweite hinter Raffaeli ins Mehrkampf-Finale der besten Zehn eingezogen.
Die Fans reißt es von den Sitzen
Nun rangierte sie von Beginn an auf Platz eins - und gab ihn nicht mehr her. Mit dem Ball zeigte sie zur Musik von Michael Jackson mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit eine eindrucksvolle Übung, die neue, um einiges schwierigere Choreografie hatte sie erst im März präsentiert und zuvor sechs Monate an den Tanzmoves gearbeitet. "Wenn schon Michael Jackson, dann auch richtig", sagte sich die Perfektionistin, die bekannt ist für ihre Präzision und Kreativität.
Auch mit den Keulen glänzte die ausdrucksstarke Sportlerin des TSV Schmiden wie keine andere und so sensationell, dass es die Fans noch während der Übung von den Sitzen riss. "Oh, Champs-Elysees", schallte es danach aus den Lautsprechern und das Publikum sang fröhlich mit, ein sehr französischer Moment, doch schlug nun endgültig die Stunde der deutschen Ausnahme-Gymnastin?
Auch mit dem Angstgerät überzeugend
Mit dem Band hatte sie bei der EM in Budapest Probleme gehabt und auch in der Qualifikation hatte es sich leicht verheddert. Nur knapp war der Vorsprung auf Kalejn, die kurz zuvor überzeugend performt hatte. Die Spannung war zum Greifen, doch Varfolomeev als vorletzte Athletin des Wettkampfs legte auch mit ihrem Angstgerät eine perfekte Vorstellung hin, war nach drei ersten Plätzen in den vorangegangenen Übungen die Zweitbeste hinter der Bulgarin.
Nach getaner Arbeit, die so gar nicht danach aussah, schlug sie auf den Boden und wusste schon, dass sie etwas Großes geleistet hatte, Trainerin Yuliya Raskina hüpfte vor Freude. "Nach der Bandübung wusste ich, dass ich mein Bestes gegeben und vier saubere Übungen gezeigt hatte. Das ist für mich einfach das Beste", sagte sie.
Nach Bekanntgabe ihrer Wertung kamen ihr erstmals die Tränen, Silber war sicher, Raffaeli als letzte Starterin konnte ihr schließlich nach einem Fehler nicht mehr gefährlich werden - und sie hatte Geschichte geschrieben.
Große Pläne für Los Angeles
Die erste und bis dato einzige Olympia-Medaille für Deutschland in der Rhythmischen Sportgymnastik hatte Regina Weber, Mutter von Fußball-Nationalspieler Leroy Sane, 1984 in Los Angeles mit Bronze gewonnen. Nun also Gold, doch das soll es nicht gewesen sein.
Zusammen mit Teamkollegin Kolosov möchte sie in vier Jahren ebenfalls in Los Angeles für den nächsten deutschen Coup sorgen - dann einen doppelten. "Der vierte Platz ist immer der schlimmste. Marga hat so viel mit mir zusammen gearbeitet und alles gegeben, es ist wirklich schade. Aber in vier Jahren in Los Angeles schaffen wir es beide."