Bilanz zur Frauen-WM Australien und Neuseeland haben geliefert
Die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland hat überzeugt. In Sachen Zuschauerzuspruch, mit den Prämien für die Spielerinnen und auch fußballerisch hat das Turnier neue Maßstäbe gesetzt. Aber was bleibt von der WM - nicht nur für die Ausrichter-Länder?
"Ich denke, wir haben die Erwartungen übertroffen - dabei hatten wir die Erwartungen schon sehr hoch angesetzt", freute sich Australiens Fußball-Chef James Johnson im ARD-Interview. "Wir haben Rekordübertragungszahlen und Rekordbesucherzahlen gesehen. Wir sehen Hunderttausende Menschen im ganzen Land, die keine Eintrittskarten für Stadien bekommen haben und deshalb zu den Fanfesten gegangen sind."
Nach viereinhalb Wochen bei den durchweg als freundlich und zugewandt beschriebenen Gastgebern bleibt festzuhalten: Diese Weltmeisterschaft hat tatsächlich neue Maßstäbe gesetzt.
Bisheriger Zuschauerrekord "pulverisiert"
Schon lange vor dem Turnierstart wurden einige Spiele in Sydney ins Olympiastadion verlegt, weil die Nachfrage nach Eintrittskarten so groß war. Und mit dem Erfolg der "Matildas" wuchs das Interesse von Spiel zu Spiel. Fanartikel gingen weg wie warme Semmeln. Das wohl beliebteste Utensil - die grün-gelbe Bommelmütze, auf der das Wort "Matildas" steht - war schnell komplett ausverkauft, nirgendwo mehr zu bekommen. Kaum ein Fan ging ohne einen Fanartikel ins Stadion - und es kamen so viele Fans wie nie zuvor.
Der bis dato geltende Zuschauerrekord vom Turnier in Kanada wurde "pulverisiert", wie Frauenfußball-Chefin Sarai Bareman von der FIFA beim Kongress an diesem Wochenende in Sydney sagte. Gut 1,35 Millionen Menschen waren 2015 in den Stadien. Mit den letzten Spielen in Australien kratzt die - um achte Spiele erweiterte - Veranstaltung bereits an der Zwei-Millionen-Marke. "Und wir sind noch nicht fertig", schaute Bareman in die Zukunft.
Viele Zuschauer auch in Neuseeland und auf Fanfesten
Großen Anteil daran hatte auch Co-Gastgeber Neuseeland, wo allein 700.000 Menschen in den vier Stadien waren. Gleich dreimal wurde der Zuschauerrekord (für Fußballspiele der Männer und Frauen) gebrochen: Zunächst beim Eröffnungsspiel der Gastgeberinnen gegen Norwegen, dann beim Gruppenspiel der USA gegen Portugal und schließlich beim Achtelfinale Spanien gegen Schweiz, als der Eden Park mit 43.217 ausverkauft war.
Wenn man das alles hört, könnte man denken, es wäre einfach gewesen. Aber unter dem Druck, den so eine WM mit sich bringt, zu liefern, ist nicht einfach.
Wie die "Matildas", die es bis ins Halbfinale schafften, setzten auch die neuseeländischen "Football Ferns" mit ihrem Sieg im Auftaktspiel gegen Norwegen (1:0) einen wichtigen Impuls. "Das war der Funke, der die Begeisterung entfacht hat", sagte NOK-Chef David Beeche. Laut FIFA-Zahlen waren zudem rund 700.000 Fans bei den Fanfesten in den insgesamt neun Spielorten.
Frauenfußball-Chefin Nadine Keßler, die für die UEFA am Kongress teilnahm, zollte den Gastgebern Respekt. "Wenn man das alles hört, könnte man denken, es wäre einfach gewesen. Aber unter dem Druck, den so eine WM mit sich bringt, zu liefern, ist nicht einfach. Herzlichen Glückwunsch", sagte die 35-Jährige, die aktuell als Nachfolgerin von Oliver Bierhoff beim Deutschen Fußball-Bund gehandelt wird. Generalsekretärin Heike Ullrich vom DFB, die ebenfalls bei der Convention war, wollte sich nicht zu der Personalie äußern.
Künzer: "Aufstockung hat sich bewährt"
Fast noch mehr als über die Frage, ob man eine Frauenfußball-WM - bei der desaströsen Klimabilanz durch die weiten Flüge - am anderen Ende der Welt und in zwei Ländern ohne große Fußball-Begeisterung austragen kann, wurde über die Erweiterung des Teilnehmerfeldes auf 32 Nationen diskutiert. Acht Länder waren zum ersten Mal dabei. "Insgesamt hat sich die Aufstockung bewährt. Da gab es nur ganz wenige Mannschaften, die etwas abgefallen sind", bilanzierte Sportschau-Expertin Nia Künzer.
Bei zehn der bisher 62 Spiele gab es Siege mit mehr als drei Toren Abstand. Ansonsten zeigten die "Kleinen", dass sie (nicht nur) das Verteidigen gelernt haben. Und das Publikum, das eher eines des Events, denn eines vom Fach war, goutierte gute Defensiv- genauso wie Offensiv-Aktionen.
Fußballerisch haben sich die Frauen weltweit erneut weiterentwickelt. Und auch das Spiel der Torhüterinnen hat einen Qualitätsschub zu verzeichnen.
Überraschend wohltuend war auch der Einsatz der Video-Assistentinnen und -Assistenten. Bis auf wenige Ausnahmen funktionierte die Zusammenarbeit mit den Schiedsrichterinnen auf dem Feld weitgehend reibungslos. Dass die Schiedsrichterinnen die Entscheidung um den Videobeweis übers Mikrofon erklärt haben, war eine lohnende Erweiterung des Regelwerks. Das Beispiel sollte bei anderen Turnieren Schule machen.
Nach ihrem entscheidenden Schuss im Elfmeterschießen gegen die USA (5:4), der nur dank technischer Hilfe als verwandelt gegeben worden war, freute sich die schwedische Schützin Lina Hurtig ganz besonders.
Vier "Kleine" sorgen für große Überraschung
Während die vermeintlich großen Frauenfußball-Nationen Deutschland, Kanada und auch Brasilien in der Vorrunde scheiterten, kamen überraschend Jamaika, Südafrika, Marokko und Kolumbien weiter. Die Südamerikanerinnen sogar bis ins Viertelfinale. Das hatte neben den sportlichen Meriten auch finanzielle Auswirkungen für die Spielerinnen. Und auch da hat die FIFA die Weichen in die richtige Richtung gestellt.
Prämien-Modell für Spielerinnen läutet neue Ära ein
Die Weltreisende und Vordenkerin im Frauenfußball, Monika Staab, spricht nun bereits von Transfers einiger Topspielerinnen in die saudische Liga. Andernorts wird darüber spekuliert, dass schon bald Ablösesummen in Millionenhöhe bezahlt werden könnten. Aber diese WM hat auch die ärmeren Regionen der Welt erreicht.
Angesprochen auf die 60.000 Prämie, die jede Spielerin vom Weltverband für das Erreichen des Achtelfinales bekommt, sagte Jamaikas Deneisha Blackwood: "Wir Spielerinnen haben alle ein Leben abseits des Fußballs - ein Preisgeld wie dieses, das ist für uns nicht vorstellbar gewesen", sagte die Verteidigerin, die in der zweiten französischen Liga spielt. Sie müsse sich wie viele andere "um die Familie kümmern und Rechnungen bezahlen".
Wir Spielerinnen haben alle ein Leben abseits des Fußballs - ein Preisgeld wie dieses, das ist für uns nicht vorstellbar gewesen. Viele von uns müssen Rechnungen bezahlen und sich um die Familie kümmern.
Die 26-jährige Blackwood sprach auch über ihre Hoffnung, die "jüngere Generation" zu erreichen. In ihrem Land sei Fußball "nicht so groß", viel Geld mit dem Sport zu verdienen eigentlich unmöglich. "Zu sehen, dass man mit dem, was man liebt, seinen Lebensunterhalt verdienen kann, ist für sie sehr motivierend. Und viele von ihnen werden dann sagen, ich möchte als Fußballerin eine Karriere machen. Es ist ein guter Start für die neue Generation - und für den Fußball generell."
Die FIFA will in Sachen "Equal Pay" nun ernst machen. Schon bald sollen die Frauen die gleichen Prämien erhalten wie die Männer. Dass bei der WM überhaupt noch darüber gesprochen werden muss, dass es ein "Equal Play" gibt, sollte allerdings zu denken geben.
Deutschland wartet weiter auf Analyse-Ergebnisse
Beim DFB hatte es eigentlich mit dem zweiten Platz bei der EM im vergangenen Jahr in England einen Neustart gegeben. Vieles ist durch die Erfolge von Alexandra Popp und Co. in Bewegung gekommen. Endlich waren auch bei Ligaspielen mehr Fans in den Stadien. Mehrere Zuschauerrekorde wurden aufgestellt - und eine erfolgreiche WM sollte die Entwicklung noch befeuern.
Das Vorrunden-Aus hat allerdings viele Menschen in Deutschland ratlos zurückgelassen. Auch die Spielerinnen selbst, die auf ihren Social-Media-Profilen reihenweise erklärten, ihnen würden die Worte fehlen.
Und auch der Verband mit Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg und dem Sportlichen Leiter Joti Chatzialexiou hat sich selbst zwei Wochen nach der schnellen Abreise aus Australien und der Ankündigung, sofort in die Analyse zu gehen, noch nicht wieder zu Wort gemeldet. Fest steht bisher eigentlich nur, dass MVT weitermachen wird. Was wiederum ohne Aufarbeitung wie das vorweggenommene Ergebnis wirkte.
Die Menschen in Deutschland interessierten sich auch nach dem Aus der DFB-Frauen und trotz Anstoßzeiten am Morgen und Vormittag weiter für das Turnier. Die Halbfinals sahen noch deutlich mehr als zwei Millionen Menschen: 2,95 Millionen bei Australiens Niederlage gegen England in der ARD. Das waren 35,5 Prozent Marktanteil. Am Vortag verfolgten im ZDF rund 2,2 Millionen Menschen das 2:1 der Spanierinnen gegen Schweden.
Infantino feiert sich selbst - doch viel Arbeit wartet
FIFA-Präsident Gianni Infantino kommentierte all die guten Nachrichten rund um die WM, zu denen auch Rekordeinnahmen für den Weltverband in Höhe von 570 Millionen US-Dollar gehören, auf die ihm eigene Art. Die WM sei "die beste und größte aller Zeiten" und natürlich habe die FIFA (mal wieder) mit allem recht gehabt.
Bei den exorbitanten Einnahmen, die der Weltverband beispielsweise alle vier Jahre aus der Männer-WM schöpft, dürfte es allerdings schon früher möglich gewesen sein, die Frauen-WM besser zu fördern. Daran hat auch den Präsidenten, der seit Anfang 2016 im Amt ist, schließlich niemand gehindert.
Außerdem gab es in Australien auch Ärger unter den (neuen) Fußball-Fans. Denn auch wenn die Spiele der "Matildas" im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt wurden, so galt das für die übrigen Spiele nicht. Die Übertragungsrechte hatte die FIFA an einen Pay-TV-Sender vergeben. Auch in vielen anderen Ländern, darunter Deutschland und England, aber auch Japan und China, drohte wegen eines sich ewig hinziehenden Rechtepokers ein Blackout für die Fans. Besonders volksnah war das nicht - dafür aber sicher ein Puzzleteil für den Rekordumsatz.
Spielervertretung fordert weiteres Engagement
Und auch wenn Infantino sich bei der in Sydney abgehaltenen FIFA-Convention an diesem Wochenende selbst abfeierte, so ist die WM eben nur der Jahreshöhepunkt.
"Die Weltmeisterschaft ist fantastisch. Aber für einige Spielerinnen ist das hier so etwas wie eine Blase, in die sie kommen", sagte Direktorin Sarah Gregorius von der internationalen Spielervertretung FIFPRO ebenfalls bei dem Kongress. Einige Teams seien nicht bei dem Turnier dabei, weil sie in ihren Ländern so gute Bedingungen haben, sondern obwohl sie schlechte Bedingungen haben.
Die WM war eine gute Möglichkeit, auf diverse Missstände hinzuweisen. "Aber die Diskussionen dürfen nicht nach dem Finale aufhören", sagte Gregorius. Und da ist die FIFA gefordert, ihren Einfluss auf die Mitgliedsverbände geltend zu machen. Und nicht bloß die Einnahmen im Blick zu haben.
Profitiert Neuseelands Fußball nachhaltig?
Und damit verbunden ist auch die Frage, was von dieser WM bleibt. Besonders in den Gastgeberländern. Neuseelands NOK-Chef Beeche stellte die neue Infrastruktur in den Vordergrund. Nicht nur die vier sanierten Stadien, sondern auch die neuen Trainingseinrichtungen. Die Hälfte der 32 teilnehmenden Nationen hatte ihr Quartier auf der Nord- oder der Südinsel des Landes aufgeschlagen.
Es wird aber größere Anstrengungen brauchen. Rund fünf Millionen Menschen leben in Neuseeland. Da ist es mit einem guten Dutzend neuer oder generalüberholten Sportplätze nicht getan, um Nachhaltigkeit zu generieren. "Wir werden nach mehr Geld von der Regierung fragen müssen", sagte Fußball-Chefin Johanna Wood. Schon jetzt sei Fußball der Sport, den die meisten Neuseeländerinnen und Neuseeländer selbst betreiben.
Premierminister verspricht 200 Millionen Dollar
Das gilt auch für Australien. Und dort ist der (Frauen-)Fußball schon einen Schritt weiter. Premierminister Anthony Albanese, der zunächst im Falle des WM-Titels einen neuen Feiertag in Aussicht gestellt hatte, hat mittlerweile weitere 200 Million Dollar zugesagt - vor allem, um neue Plätze zu bauen. Das hatten zuvor Verbandschef Johnson genauso wie die Spielerinnen um Sam Kerr gefordert.
Es sei schon am Tag nach der WM-Vergabe darum gegangen, was das "Vermächtnis" dieser WM sein soll, so Johnson. Durch ein millionenschweres Förderprogramm wurde 2019 viel in die Vorbereitung des Teams, aber auch schon in die Infrastruktur investiert - zum Beispiel in die neue "Heimat" der "Matildas", die künftig in Melbourne zu Trainingslagern und Lehrgängen zusammenkommen sollen. Mit den nun zugesagten Geldern kann die Entwicklung vorangetrieben werden. Er sprach von einem möglichen Zuwachs von 20 Prozent bei den Spielerinnen.
Dass sich die "Matildas" auch künftig gegen die große Konkurrenz aus Rugby, Cricket, Australian Football und - einmal im Jahr - Tennis werden behaupten können, erscheint nicht unwahrscheinlich. Bei der WM hat sie große Teile des ganzen Landes hinter sich gebracht: Beeindruckende mehr als elf Millionen Menschen vor den Fernsehern in Australien beim Halbfinale gegen England sorgten für einen Allzeitrekord. Wohl gemerkt bei knapp 26 Millionen Einwohnern.
Johnson vor WM 2027: "Haben neue Maßstäbe gesetzt"
Wo die nächste Weltmeisterschaft stattfinden wird, steht noch nicht fest. Unter den vier Bewerbern ist auch Deutschland, das mit den Niederlanden und Belgien gemeinsam antritt. Die Entscheidung über die WM 2027 fällt im Mai in Bangkok. Vollkommen zu Recht sagte Johnson: "Wir haben zusammen mit Neuseeland neue Maßstäbe gesetzt. Daran werden sich unsere Nachfolger messen lassen müssen."