Pionierin des Frauenfußballs Monika Staab: "WM löst kleine Revolution aus"
Monika Staab ist eine Pionierin im weltweiten Frauenfußball. Beim 1. FFC Frankfurt feierte sie einst Titel. Mittlerweile arbeitet sie als "Entwicklungshelferin" in Saudi-Arabien. Auf die WM in Australien und Neuseeland hat sie einen ganz eigenen Blick. Im Interview spricht die 64-Jährige über die Entwicklungen im Frauenfußball und die Überraschungen der WM, aber auch über die Probleme bei den DFB-Frauen.
Frau Staab, wie gefällt Ihnen die WM bisher?
Monika Staab: Bisher ganz toll. Auch wenn das Turnier mit den beiden Ländern, die vier Flugstunden zwischen Sydney und Auckland trennen, vielleicht nicht mehr so gut in unsere Zeit passt. Aber ich habe das Gefühl, dass die WM in diesen "Rugby-Ländern" gerade eine kleine Revolution auslöst. Der Frauenfußball kommt in die Mitte der Gesellschaft - und wenn Sam Kerr reinkommt, wird sie wie ein Popstar gefeiert.
Die Kulissen sind enorm, was ich gar nicht so erwartet hatte. Und was natürlich wichtig ist: Wir bekommen wirklich guten Fußball zu sehen.
Aufgrund Ihrer Vita könnte man meinen, Sie sind grundsätzlich für die vermeintlichen Underdogs. Ist das so?
Staab: Das ist absolut richtig. Ich bin jetzt seit 53 Jahren im Frauenfußball unterwegs. Seit meinem elften Lebensjahr habe ich viele, viele Kämpfe ausgetragen. Auch beim 1. FFC Frankfurt. Als ich 2007 nach Bahrain gegangen bin, standen 108 Länder in der FIFA-Weltrangliste. Heute sind es 188! Auch Saudi-Arabien, wo ich seit eineinhalb Jahren arbeite, ist jetzt gelistet.
Ich habe in so vielen Ländern gearbeitet, um den Frauenfußball voranzubringen. Und dass dann Länder wie Marokko oder auch Südafrika, wo ich selbst Trainerinnen ausgebildet habe, bei der WM dabei sind, freut mich ganz besonders.
Als ich 2015 in Marokko war, hat der Frauenfußball bei null angefangen. Acht Jahre später ist das Team bei der WM im Achtelfinale!
Aber es braucht diesen Erfolg auch. Ich habe früher beim FFC selbst erlebt, wie Erfolg die Türen öffnet. Es braucht gezielte Förderung, aber auch die Unterstützung von Sponsoren.
Haben Sie sich denn auch für Kolumbien und Südkorea in den Spielen gegen Deutschland freuen können?
Staab: Nein, da war ich schon sehr enttäuscht. Nicht so sehr vom Auftritt gegen Südkorea, sondern mehr vom Kolumbien-Spiel. Dass das Team am Ende so fahrlässig noch verliert, hat mich sehr geärgert. Da hat die Konzentration gefehlt.
Mit Nigeria, Südafrika, Marokko, Kolumbien und Jamaika hatten gleich fünf Außenseiter das Achtelfinale erreicht. Was sagt das über die Entwicklung im Frauenfußball weltweit?
Staab: Die schreitet immer weiter voran. Früher konnten die "Kleinen" nicht über 90 Minuten durchhalten. Das ist heute anders. Taktik, Technik, eine kompakte Abwehr - da lässt sich niemand mehr überrollen. Die Lücke ist kleiner geworden. Nicht zuletzt, weil es überall viel bessere Trainerinnen und Trainer gibt, ist da ein großer Fortschritt auszumachen.
Als ich 2015 in Marokko war, hat der Frauenfußball bei null angefangen. Acht Jahre später ist das Team bei der WM im Achtelfinale! In Afrika gibt es Ligen mit professionellen Strukturen, dazu eine Champions League. Dadurch wird zusätzliches Interesse geweckt. Mir macht es Spaß und Freude, die vermeintlichen Underdogs bei der WM spielen zu sehen.
Vor der WM ist viel über die Erweiterung des Teilnehmerfeldes gesprochen worden. Wie fällt ihr Fazit aus?
Staab: Ich habe mich vor dem Turnier auch gefragt, ob das Leistungsgefälle vielleicht zu groß sein wird. Aber das ist es nicht gewesen. Die Philippinen, Vietnam oder Haiti, die haben sich gut behauptet. Es gab keine zweistelligen Ergebnisse. Panama hat sogar drei Tore gegen Frankreich geschossen. Nigeria hat über 120 Minuten gegen England mitgehalten. Das war ein richtiger Krimi. Südafrika hat sich tapfer geschlagen. Und was für einen Jubel Marokko ausgelöst hat. Die Erweiterung hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Europa ist das Herz des Frauenfußballs. Dass jetzt fünf europäische Nationen im Viertelfinale stehen, überrascht mich nicht. Und ich gehe auch davon aus, dass ein europäisches Land gewinnt.
Im Viertelfinale stehen allerdings fünf europäische Nationen, dazu der frühere Weltmeister Japan und Gastgeber Australien. Nur Kolumbien hätte man da vielleicht gar nicht erwartet. Ist der Weg in die Weltspitze dann eben doch deutlich länger?
Staab: Europa ist das Herz des Frauenfußballs. Hier hat alles begonnen. Und das merkt man auch an den Strukturen, der Ausbildung und der Infrastruktur. Da haben die Länder in Afrika, aber auch in Südamerika oder Asien noch viel Nachholbedarf. Japan und Australien sind da schon immer voraus gewesen. Dass jetzt fünf europäische Nationen im Viertelfinale stehen, überrascht mich nicht. Und ich gehe auch davon aus, dass ein europäisches Land gewinnt.
Auf wen tippen Sie?
Staab: Frankreich.
Was kann Deutschland denn von dieser WM lernen?
Staab: Ich denke, die Strukturen müssen sehr tiefsinnig hinterfragt werden. Die Förderung muss schon gezielt im Alter zwischen neun und zwölf anfangen. Ich spreche da immer von der Zeit des "golden learning". Da müssen Kreativität, Entscheidungsfreudigkeit und auch die Risikobereitschaft gefördert werden. Es braucht mehr Typen, die in Spielen wie gegen Südkorea das Heft in die Hand nehmen und sich behaupten können.
Meiner Meinung nach hat sich seit der Heim-WM 2011 nicht viel getan. Ich kann nur hoffen, dass der Aufschwung, den die EM im vergangenen Jahr ausgelöst hat, weitergeht. Deutschland muss auch auf Nationalmannschaftsebene aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren.
Sie waren in Sachen Frauenfußball in 90 Ländern unterwegs. Mittlerweile arbeiten Sie in Saudi-Arabien - wie steht es dort um den Frauenfußball?
Staab: Ich arbeite jetzt seit eineinhalb Jahren in Saudi-Arabien. Und Frauenfußball ist ein großes Thema. Wir haben in den großen Städten Riad, Dschidda und Dammam Akadamien errichtet. Dort werden Kinder und Jugendliche bis zur U17 gefördert. Mittlerweile haben sieben der großen Männerclubs auch eine Frauenabteilung. In Deutschland hat es 30 Jahre gedauert, bis sich mit Wolfsburg und Bayern zwei Vereine richtig um den Frauenfußball gekümmert haben.
Ich bekomme mittlerweile fast täglich Anrufe von Trainern und Trainerinnen, die sich erkundigen, wie die Bedingungen vor Ort sind, weil sie darüber nachdenken, dort zu arbeiten. Und ich kann keine Namen nennen, aber es werden auch einige Top-Spielerinnen von der WM in die saudische Liga wechseln.
Kann die Marokkanerin Benzina, die erste Spielerin mit einem Hijab bei einer WM, vielleicht als "Role Model" dienen und einer großen Gruppe junger Frauen, aber vielleicht auch deren Familien, als Vorbild dienen?
Staab: Das ist für mich die tollste Überraschung der WM: Jedes Mädchen kann Fußball spielen! Egal, woher und aus welcher Kultur es kommt, und egal, welche Religion es hat. Das bedeutet für mich ein richtiges Glücksgefühl.
Vor zehn Jahren hatte die FIFA den Hijab noch nicht mal erlaubt. Aber unser langer Kampf für die Zulassung hat sich ausgezahlt. Dass Benzina jetzt in der Startelf bei der WM gespielt hat, öffnet eine Riesen-Tür im arabischen und muslimischen Raum.
Sie sind eine Begeisterte in Sachen Frauenfußball. Werden wir Sie vielleicht auch noch mal als Trainerin bei einer WM sehen?
Staab: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin fast 65 und habe immer gern an der Entwicklung des Frauenfußballs gearbeitet. Das ist meine Aufgabe.
Jedes Mädchen soll Spaß am Fußball haben können. Ich habe schon mit den Nachbarsjungen gespielt, da war ich gerade mal vier. Und das hat mich in vielerlei Hinsicht geprägt.
Ich hatte mit dem FFC auch meine sportlichen Erfolge. Aber wenn ich eine Aufgabe als erledigt betrachte, dann ziehe ich weiter. Als Trainer oder Trainerin bei der WM dabei zu sein, ist noch mal ein anderes Kaliber. Sie sollen die Öffentlichkeit haben. Ich bin mit dem, was ich mache, ganz glücklich.