Spektakuläre Schlussphase Erst Popp, dann Schock - Deutschland verliert gegen Kolumbien
Deutschland hat das zweite Gruppenspiel bei der Frauen-WM in Australien und Neuseeland dramatisch gegen Kolumbien verloren. Die Südamerikanerinnen feierten am Sonntag (30.07.2023) einen 2:1-Sieg und machen die Gruppe H damit spannend.
Es war eine unfassbare Schlussphase im Sydney Football Stadium, in der die deutsche Mannschaft vor 40.499 Zuschauern durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen ist. Nach der Führung durch Kolumbiens Starspielerin Linda Caicedo (52.) hatte Alexandra Popp mit einem späten Elfmetertor (89.) ausgeglichen. Der Jubel verstummte, als Kolumbiens Manuela Vanegas ganz spät in der Nachspielzeit nach einer Ecke freistehend zum 2:1 traf.
Popp: "Letzter Mut hat gefehlt"
"Es ist einfach megabitter, durch einen Standard zu verlieren", sagte Popp, die sich ärgerte, dass "der letzte Mut Richtung Tor gefehlt hat". Unzufrieden war die 32-Jährige aber nicht. Man habe vom Grundsatz her ein gutes Spiel gemacht, so Popp in der Sportschau und passiert sei schließlich nichts.
Damit hat die Torjägerin grundsätzlich recht. Deutschland verpasste aber gegen die "Caféteras" - Zweiter der Südamerika-Meisterschaft - die große Chance auf einen vorzeitigen Einzug ins Achtelfinale. Die K.o.-Runde wäre mit einem Sieg perfekt gewesen, weil Marokko überraschend gegen Südkorea gewonnen hatte. Durch die Niederlage ist in der Gruppe H nun wieder alles offen. Deutschland trifft im letzten Gruppenspiel auf Südkorea (Donnerstag, 3. August, 12 Uhr MESZ).
In der Partie am Donnerstag müsse das Team "etwas mutiger, klarer, ruhiger spielen", sagte die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. Sie könne versprechen, dass ihre Spielerinnen "alles auf den Platz bringen". Dass die Mannschaft nach der Niederlage einen Knacks bekommt, glaubt sie nicht: "Wir können das einordnen, was uns heute gefehlt hat."
Mittelfeld-Ass Oberdorf kehrt zurück
Deutschland musste im zweiten Gruppenspiel in der Abwehr improvisieren, weil Linksverteidigerin Felicitas Rauch vom VfL Wolfsburg wegen einer Kniestauchung verletzt passen musste, rückte die international unerfahrene Chantal Hagel in die Mannschaft. Dazu rotierte Melanie Leupolz auf die Bank, weil Mittelfeld-Ass Lena Oberdorf nach überstandener Oberschenkelverhärtung zurückkehrte. Ihre Robustheit, so wusste man schon im Vorfeld, würde gegen Kolumbien vonnöten sein.
Kolumbien giftig und robust
Die raue Gangart der Kolumbianerinnen, das Testspiel vor der WM gegen Irland war nach brutalen Fouls abgebrochen worden, bekam Alexandra Popp früh zu spüren. Im Rücken der Schiedsrichterin Melissa Borjas aus Honduras versetzte ihr Daniela Arias einen Schlag in die Magengegend. Deutschlands Sturm-Ass ging zu Boden und musste behandelt werden. Als sie sich gerade wieder aufgerappelt hatte, bekam sie im Kopfballduell den nächsten Schlag ab. Popp wirkte genervt und die deutschen Spielerinnen doch beeindruckt von der giftigen Spielweise der Nummer 2 aus Südamerika.
Vieles blieb Stückwerk und auch die erste Chance verbuchte Kolumbien. Stürmerin Mayra Ramirez köpfte nach der ersten Ecke sträflich frei am Tor vorbei (8.). Die DFB-Mädels setzten das erste Achtungszeichen erst in der 22. Minute. Lina Magull wurde herrlich von Lena Oberdorf und Jule Brand in Szene gesetzt, traf den Ball freistehend aus acht Metern aber nicht. Der Nachschuss von Oberdorf wurde zur Ecke abgefälscht. Diese Szene hatte eine Hallo-Wach-Wirkung für das deutsche Team, das etwas besser ins Spiel fand, sich allerdings keine klaren Chancen erarbeiten konnte.
Popp vergibt dicke Chance zur Führung
Die Wucht, die Voss-Tecklenburg vor dem Spiel prophezeit hatte, traf Deutschland mit voller Stärke. Die Flügelzange Klara Bühl/Jule Brand kam gegen die emsigen Gäste nicht ins Rollen und in der Mitte wurde Popp von mehreren Bewacherinnen aus dem Spiel genommen. Einmal aber verloren die "Caféteras" die torgefährlichste Deutsche aus den Augen. In der 43. Minute landete ein abgefälschter Schuss von Magull vor den Füßen der Kapitänin. Popp stand völlig blank, jagte den Ball aber per Direktabnahme aus sechs Metern über den Kasten (43.). Es blieb die beste Chance in der umkämpften und ausgeglichenen ersten Halbzeit.
Doorsoun raus - Verletzungssorgen werden größer
In der Pause musste Deutschland die nächste personelle Hiobsbotschaft verkraften. Für Sara Doorsoun (Muskelverhärtung) ging es nicht weiter. "Es hat zweimal reingezogen", erklärte die Innenverteidigerin, die hofft, dass die Blessur nicht zu schlimm ist und sie bald wieder trainieren und spielen kann. Doorsoun war eigentlich nur als Back-up von Marina Hegering zur WM gereist, als die vor dem Auftaktspiel verletzt ausfiel, war die 31-Jährige zur Stelle. Ihre Verletzung macht die Sorgen in der deutschen Defensive noch größer. Sjoeke Nüsken kam ins Spiel, ist eigentlich Mittelfeldspielerin und musste jetzt in der Innenverteidigung ran.
Traumtor von Caicedo
Wunderkind Linda Caicedo (18) nutzte die Unordnung in der Defensive und schockte Deutschland mit einem Traumtor in der 52. Minute. Die unfassbar talentierte Kolumbianerin, die künftig bei Real Madrid spielt, schlenzte den Ball unhaltbar mit ganz viel Gefühl im Fuß ins lange Eck. Aus der Rauferei in der ersten Halbzeit wurde anschließend ein mitreißender Kick, dem Deutschland aber nicht seinen Stempel aufdrücken konnte, weil die Mannschaft von Nelson Abadia, der gesperrt erneut auf der Tribüne saß, bissig und griffig blieb.
Linda Caicedo jubelt nach ihrem Traumtor.
Das deutsche Team versuchte, sich zurückzukämpfen und wurde immer dann gefährlich, wenn Oberdorf am Ball war. Die 21-Jährige räumte in der Defensive ab und verbuchte eigene gute Abschlüsse. Was fehlte, war das Glück. So flatterte ihr Schuss aus 14 Metern nur haarscharf am Dreiangel vorbei (65.). Bei vielen Aktionen haperte es im deutschen Spiel an Mut und Genauigkeit. So verpufften viele Chancen schon im Ansatz. Daran änderte zunächst auch die Einwechslung von Lea Schüller für Magull nichts. Während die Deutschen auch Freistöße kläglich vergaben, verpasste Caicedo die Vorentscheidung. Kurz vor dem Ende kam "La Neymar", wie sie in Kolumbien genannt wird, einen Schritt zu spät.
Erst Popp, dann Schock
Im Gegenzug wurde Oberdorf nach der besten deutschen Kombination von der Torhüterin Catalina Perez abgeräumt. Elfmeter in der 89. Minute. Popp behielt die Nerven, schoss flach in die Mitte und traf zum 1:1. Der Jubel war groß, das Entsetzen nach dem 1:2 größer. Nach einer Ecke stieg Manuela Vanegas völlig unbewacht empor und köpfte gegen die Laufrichtung von Merle Frohms zur Entscheidung ein. "Wir bekommen ein doofes Standard-Gegentor und hatten teilweise nicht die besten Ideen im letzten Drittel. Wir kommen aber nicht vom Weg ab", machte Doorsoun klar.
Für die deutsche Mannschaft war es die erste Pleite in einem WM-Gruppenspiel seit 1995. Damals verlor das DFB-Team 2:3 gegen Gastgeber Schweden, zog aber noch in das Finale ein. Vielleicht ist das auch ein gutes Omen. Schließlich hat das DFB-Team trotz der Niederlage das Weiterkommen noch selbst in der Hand.