Ausnahmetalent von DFB-Gegner Kolumbien Linda Caicedo - einst im Angesicht des Todes, nun im Fußball-Himmel
Linda Caicedo erkrankte vor drei Jahren im Alter von 15 an Eierstockkrebs. Für die kolumbianische Ausnahme-Fußballerin brach die Welt zusammen. Der Kampf gegen die tückische Krankheit verlangte der Stürmerin alles ab. Nach Monaten des Hoffens und Bangens war die Teenagerin geheilt. Nun verzaubert sie mit ihrem Heimatland bei der Frauen-WM in Australien und Neuseeland die Fans.
Bauchschmerzen, immer wieder diese schrecklichen Bauchschmerzen - für Linda Caicedo wurden sie kurz nach ihrem 15. Geburtstag zu einem ständigen Begleiter. Woher kamen sie nur? Die Ärzte gingen von einer Magenschleimhautentzündung (Gastritis) bei der jungen Frau aus. Doch die Behandlung schlug fehl. Die Schmerzen wurden immer unerträglicher, sodass Mutter Herlinda Alegría und Vater Mauro Caicedo beschlossen, ihre Tochter zu einer Untersuchung in eine Klinik zu bringen. Dort erhielt Linda die niederschmetternde Diagnose: Eierstockkrebs.
Fußballkarriere war wegen Krebserkrankung in Gefahr
Von einem Moment auf den anderen war alles anders. Ein paar Wochen bevor das Coronavirus die Welt zu Stillstand bringen sollte, stand selbige für die hochbegabte Fußballerin bereits aus anderen Gründen still. "Sie war am Boden zerstört und befürchtete, dass sie nie wieder würde Fußball spielen können", berichtete ihre Mutter im Podcast "My New Favourite Futbolista".
Ihre Tochter habe die Ärzte bei jedem Krankenhaus-Besuch weinend angefleht, ihr die Wahrheit zu sagen, ob sie jemals wieder ihrer großen Leidenschaft würde nachgehen können. Das, so die Antwort der Mediziner, würde sehr lange dauern.
Caicedo übersteht Operation und Chemotherapie
Tränen, unendlich viele Tränen der Verzweiflung flossen in den darauffolgenden Monaten. Linda wurde zunächst in einer Operation ein Tumor entfernt, dann begann sie eine Chemotherapie. Die medikamentöse Behandlung der Krebserkrankung schlug bei der 15-Jährigen an. Nach einem halben Jahr galt sie als geheilt. Nur zwei Tage nach ihrer letzten Behandlung stand sie bei Deportivo Cali wieder auf dem Fußballplatz. Linda war nun aber nicht mehr dieselbe Linda wie zuvor. Ihr Haar war ausgefallen und das vor der Erkrankung so fröhliche Mädchen sehr nachdenklich.
Die psychischen Narben verheilten nur langsam. Eine von einem Spezialisten angefertigte Perücke half der Angreiferin dabei, ihr Selbstbewusstsein langsam wieder zurückzugewinnen. "Als sie begann, die Perücke zu tragen, fing sie wieder an zu lächeln", erzählte ihre Mutter Herlinda Alegría.
Erst der Krebs, dann schwere Unruhen
Linda fand Schritt für Schritt zurück in ihr altes Leben. Nur die Nachuntersuchungen, zu denen sie zunächst noch regelmäßig musste, führten ihr vor Augen, dass der Krebs noch zurückkehren könnte. Der Weg von ihrem Wohnort in die Klinik nach Cali war dabei sehr beschwerlich. Kolumbien wurde Mitte 2021 von schweren Unruhen erschüttert. Auf den Straßen brannten Barrikaden, Demonstranten zündeten Autos an und verwüsteten ganze Straßenzüge. Jeder Krankenhaus-Besuch in Cali wurde daher zu einer Reise ins Ungewisse. "Als wir einmal zurückkamen, warf sich Linda auf den Boden und schrie: 'Mama, ich kann das nicht mehr'", sagte ihre Mutter.
"Kolumbianische Neymar" spielt Sterne vom Himmel
Wieder rappelte sich die Stürmerin, die ihre Gegenspielerin so elegant und temporeich umkurvt, auf. Im November 2021 erhielt sie schließlich die erlösende Nachricht, dass der Krebs endgültig besiegt ist. Den härtesten Zweikampf ihres jungen Lebens hatte sie gewonnen. Fortan scheint für die in der kleinen Stadt Candelaria knapp 30 Kilometer von Cali aufgewachsene Fußballerin nur noch die Sonne. Genau genommen spielt der "kolumbianische Neymar", wie sie von Medien in ihrem Heimatland in Anlehnung an den brasilianischen Superstar tituliert wird, die Sterne vom Himmel.
Wechsel zu Real Madrid mit 18 Jahren
2021 war sie beste Torschützin der Copa Libertadores. Ein Jahr später nahm sie an der U20-Weltmeisterschaft teil. Und bei der U17-WM Monate später führte die Stürmerin Kolumbien auf den zweiten Platz. Anfang dieses Jahres folgte dann der Wechsel von Deportivo Cali zu Real Madrid - zwei Tage nach ihrem 18. Geburtstag.
Treffer beim WM-Debüt
"Ich bin demütig und dankbar, dass Real meinen Mädchentraum hat wahr werden lassen", schrieb Caicedo auf ihrem Instagram-Account und kündigte an, all ihre Kraft und Energie für den spanischen Topclub einsetzen zu wollen. Im selben Post bedankte sich die Stürmerin bei ihren Eltern, die ihr den Weg nach oben geebnet haben. Wo aber genau ist oben für ein solches Ausnahmetalent, von dem ihre Mama sagt, sie habe bereits im Mutterleib mit dem Fußball spielen begonnen?
Die Kolumbianerin könnte von ihren Veranlagungen her in den kommenden Jahren zu einer der weltbesten Spielerinnen werden - vielleicht sogar zur besten. Bei ihrem WM-Debüt gegen Südkorea hat die 18-Jährige gleich einmal ein Tor geschossen - wenn auch mit tatkräftiger Unterstützung der südkoreanischen Keeperin Young-geul Yoon, die ihren nicht sonderlich gefährlichen Ball zum 2:0 durch die Hände gleiten ließ.
Zusammenbruch im Training
Einen Schreckmoment gab es dann aber am Donnerstag (27.7.2023) im Training. Videoaufnahmen zeigen Caicedo beim leichten Joggen mit Teamkolleginnen, als sie sich plötzlich an die Brust fasst und kontrolliert auf den Rasen sinken lässt. Sie wurde medizinisch versorgt, konnte die Einheit danach aber fortsetzen. "Sie war nur müde, es geht ihr gut", wiegelte ein Sprecher des kolumbianischen WM-Teams ab.
Caicedo, die mit Neymar verglichen wird, aber ein großer Fan von Argentiniens Superstar Lionel Messi ist, will gegen Deutschland unbedingt spielen und vielleicht ein weiteres Mal ihren Torjubel zelebrieren. Gegen Südkorea hatte sie nach ihrem Treffer die Hände vor den Fotografen zu einem Herz geformt. Eine Geste mit Symbolcharakter. Denn im fußballverrückten Kolumbien lässt die Stürmerin die Herzen der Fans höher schlagen. Und ihr selbst, die in jungen Jahren schon so viel erlebt hat, fliegen die Herzen zu.