Superstar vor Startelf-Rückkehr? Sam Kerr - Australiens Titel-Joker mit Risiko
Sam Kerr feierte im Achtelfinale der Frauen-WM gegen Dänemark ihr Comeback. Die Fans in Australien wollen ihr Idol am Samstag (12.08.2023, 9 Uhr MESZ, Live-Ticker und Audiostream auf sportschau.de) gegen Frankreich am liebsten in der Startelf sehen - doch das Team hat auch ohne sie funktioniert. Trainer Tony Gustavsson zögert eine Entscheidung zumindest öffentlich hinaus.
Caitlin Foord, Emily van Egmond, Mary Fowler und Haylo Raso haben während der verletzungsbedingten Abwesenheit von Kerr bei der WM in der Offensive der "Matildas" einen guten Job gemacht. Die Last der Verantwortung im Angriff packten sie gemeinsam auf ihre Schultern - und waren damit sehr erfolgreich.
Dennoch freut sich Flügelstürmerin Foord, dass der australische Fußball-Superstar nun wieder eine Option für die Anfangsformation ist. Für die kommenden Gegner sei es "ziemlich beängstigend zu wissen, dass sie zurück im Team ist und mit uns ein Teil davon sein wird". Ihrer Mannschaft gebe das "einen enormen Schub".
Ähnlich klingt es, wenn van Egmond von einer "unglaublichen Anführerin" spricht, die "wahrscheinlich die beste Stürmerin ist, die es im Frauenfußball derzeit gibt". Lobeshymnen auf Kerr singen zudem die Gegnerinnen. "Sie ist eine außergewöhnliche Spielerin im Strafraum und beschäftigt die Verteidigerinnen", sagte die französische Flügelspielerin Kenza Dali: "Eine Sekunde Unachtsamkeit im Strafraum und das Tor ist da."
Gustavsson: "Wenn Sam fit für 90 Minuten ist, wird sie anfangen"
Trotz der unbestrittenen sportlichen Klasse ließ Australiens Coach Gustavsson auch am Tag vor dem Spiel gegen Frankreich noch offen, ob Kerr startet oder zunächst nur auf der Bank sitzt. Er machte in der Pressekonferenz am Freitag (11.08.2023) aber eine klare Ansage: "Wenn Sam fit ist, um 90 Minuten zu spielen, dann wird sie anfangen. Das steht nicht einmal infrage, und die Mannschaft weiß das." Das entscheidende Wort habe demnach die medizinische Abteilung nach dem letzten Trainigstag am Abend.
Kerr würde, da ist sich Gustavsson sicher, in seinem eingespielten Team kein Fremdkörper sein, wenn sie beginnen sollte: "Ich würde Sam definitiv niemals als Störfaktor für die Mannschaft sehen."
Kerr bei Einwechslung gegen Dänemark umjubelt
Wie wichtig der Kerr-Faktor atmosphärisch und psychisch für Australiens Spiel gegen Frankreich sein kann, wurde beim 2:0 im Achtelfinale gegen Dänemark deutlich. Als die Stürmerin kurz vor dem Spielende vor über 75.000 frenetischen Fans in Sydney eingewechselt wurde, war der Jubel lauter als zuvor bei den beiden Treffern von Foord und Raso.
Nach ihrer Wadenverletzung feierte der Superstar sein Comeback, kam in den letzten zehn Minuten zum Einsatz. Für Kerr war es "eine große Erleichterung, wieder zurück zu sein. Ich fühle mich gut. Ich dachte, ich wäre ein bisschen eingerostet, aber nein, ich fühle mich großartig."
Auch der Heimvorteil soll ein Faktor werden
Nicht nur Kerr selbst, sondern auch der Heimvorteil der "Matildas" soll nun dafür sorgen, dass die Australierinnen auch die nächsten beiden Runden überstehen und ins Endspiel im eigenen Wohnzimmer einziehen. "Wir haben natürlich ein großes Ziel, aber wir gehen Schritt für Schritt, Spiel für Spiel", so die Offensivspielerin.
Knifflige Aufgabe für Trainer Gustavsson
Coach Gustavsson steht nun auf jeden Fall vor einer schwierigen Entscheidung. Die Fans wollen Kerr sehen, sie selbst auch möglichst schnell in die Anfangsformation zurück - schließlich ist sie zweifellos die beste Spielerin im Kader. Aber der Trainer muss die Frage beantworten: Was ist für das Team das Beste? Eine Einzelkönnerin kann das Niveau noch mal anheben, aber sie kann auch die Mitspielerinnen davon abhalten, selbst Verantwortung zu übernehmen. Nach dem Motto: Sam wird es schon richten.
Als kurz vor dem Turnierstart der Australierinnen klar wurde, dass Kerr den Start verpassen wird, machte sie klar, was zählt. Andererseits machte Gustavsson auch deutlich, wie groß der Stellenwert der 29-Jährigen ist. "Sam hat gesagt, es gehe nicht um sie, es gehe um uns, um das Team", sagte der Nationaltrainer der "Matildas" nach dem Auftaktsieg gegen Irland (1:0). Den Ausfall bezeichnete er dennoch als "verheerend". "Sie bedeutet für uns emotional und spirituell sehr viel", so Gustavsson.
Sofortige Verstärkung oder weiter Ersatzbank?
Kerr ist Australiens Titel-Joker - die Bedeutung des Wortes "Joker" ist in diesem Falle aber noch nicht geklärt. Ist Kerr die Spielkarte, die das Team noch stärker macht und zum Sieg führt? Oder ist ihr Platz eben erst mal nur auf der Bank und sie muss sich nach Einwechslungen wieder zurückkämpfen? Es ist zwar schwer vorstellbar, dass Gustavsson seine Topspielerin nicht sofort aufstellen würde, wenn sie die Kraft für die Startelf hat, aber sicher sein kann er sich dann nicht, wo das hinführt. Ein Risiko besteht so oder so.
Man muss dabei allerdings bedenken, welchen Stellenwert Kerr - wie von Gustavsson angesprochen - hat. Sie hat den Frauenfußball in Australien populär gemacht. Keine Spielerin hat in der Geschichte des Landes annähernd derartige Erfolge vorzuweisen. Kerr wurde unter anderem viermal mit dem FC Chelsea englischer Meister, 2021 belegte sie bei der Wahl zur Weltfußballerin des Jahres Platz zwei hinter Alexia Putellas - und sie war als erster weiblicher Profi überhaupt neben Kylian Mbappé auf dem Cover des Videospiels FIFA 23. Doch jetzt stellt sich die Frage, wo im Viertelfinale und insgesamt bei der WM ihr Platz sein wird.
- FIFA-Ranking: Australien Rang 10 / Frankreich Rang 5
- Fun Fact: Zuletzt schaffte es 2003 ein WM-Gastgeberland über das WM-Viertelfinale hinaus. Das waren die USA, die damals Dritte wurden.