Fazit der Vierschanzentournee Große Skisprung-Emotionen und fehlende Leichtigkeit
Wieder kein deutscher Sieg bei der Vierschanzentournee. Während Österreich einen Dreifacherfolg und einige Rekorde bejubelte, bleibt beim deutschen Team Ernüchterung. Mit Blick auf die anstehende WM muss das DSV-Team die zu Beginn der Saison tragende Leichtigkeit wiederfinden.
Die großen Emotionen am Ende einer Vierschanzentournee – die gab es auch am Ende der 73. Tournee-Auflage am Montag (06.01.2025) und nach dem Finale von Bischofshofen. Jubel, Tränen, Skispringer, die auf Schultern getragen werden, lachende Gesichter.
Zum Beispiel bei Tages- und Gesamtsieger Daniel Tschofenig: "Es ist der wichtigste Triumph in einer Skisprung-Karriere. Das ist vollkommen unbeschreiblich", lachte der erst 22-Jährige am Sportschau-Mikrofon. Oder der große Frust nach dem verpassten Triumph, etwa bei Stefan Kraft.
Der Top-Favorit ging als Spitzenreiter in den letzten Sprung und sagte nach dem Abrutschen auf Rang drei traurig: "Da geht das Ladel runter, wie man in Österreich sagt." Oder auch beim zweitplatzierten Jan Hörl, der nach dem vergebenen Tourneesieg durch eine verpatzte Landung sagte: "Der erste Ärger war tief. Ich habe es ein bisserl verschissen."
Zahlreiche Rekorde für Österreich
Österreich hatte die ganz großen Emotionen, das Trio Tschofenig-Hörl-Kraft jubelte und trauerte nach dem Tournee-Finale - mit deutlicher Dominanz der positiven Emotionen: Über den dritten Dreifach-Triumph im Gesamtklassement nach 1975 und 2012, über einen Punkterekord des Gesamtsiegers (1.194 Punkte). Darüber, dass Trainer Andreas Widhölzl die Tournee als Erster überhaupt sowohl als Aktiver (2000) als auch als Coach (2025) gewann. Darüber, dass Österreich jetzt mit 17 Gesamtsiegen alleiniger Spitzenreiter vor Finnland (16) und den Deutschen (16) ist. Und, dass von den zwölf möglichen Podestplätzen in den Einzelspringen elf von Springern in rot-weiß-rot eingenommen wurden.
Ernüchterung im deutschen Team
Dabei wollten auch die deutschen Skispringer um das Podest mitspringen. Am besten gelang das noch dem damaligen Weltcupspitzenreiter Pius Paschke beim Auftakt in Oberstdorf, wo er Vierter wurde. Doch trotz großer Ambitionen verpassten die Deutschen mal wieder den Goldenen Adler. "Das ist sehr schade, wir hatten uns mehr vorgenommen", sagte Wellinger, der in Bischofshofen als Neunter bester Deutscher war und die Tournee als Gesamt-Elfter beendete.
Der 29-Jährige blieb damit weit hinter seinem zweiten Platz aus dem Vorjahr. Groß trauern über den erneut verpassten Gesamtsieg wollte er aber nicht: "Nicht verzagen, weitermachen", so Wellingers Antwort auf die Frage, was man künftig verbessern könne.
Geiger: "Mund abputzen"
Die ganz großen Emotionen fehlten nach dem Finale in Bischofshofen im deutschen Team. "Mund abputzen, Blick nach vorn, es geht weiter", sagte Karl Geiger, der die Tour 2020 und 2021 noch als Gesamt-Dritter und -Zweiter beendete. Bundestrainer Stefan Horngacher analysierte: "Wir haben alles gegeben, die Jungs haben sich wirklich bemüht. Mehr war nicht drin", sagte der Österreicher im ZDF.
Paschke: "Viel gelernt"
Als bester Deutscher beendet der bereits 34-jährige Pius Paschke die Tournee als Gesamt-Sechster. Der Routinier aus Kiefersfelden kam als Mann im Gelben Trikot zur Tournee und sollte die deutschen Skisprungfans 23 Jahre nach dem letzten deutschen Triumph durch Sven Hannawald erlösen. Doch Paschke kam bei der Tournee und trotz seiner riesigen Erfahrung von rund 180 Weltcupspringen die Lockerheit und Unbekümmertheit des Saisonstarts abhanden. "Freuen kann ich mich nicht", sagte der Bayer nach dem Finale. "Es gab coole Momente. Ich habe viel gelernt. Es war nicht, was im Vorfeld möglich erschien. Aber das Ergebnis geht genauso in Ordnung", ordnete Paschke nüchtern ein.
Horngacher: "Verkrampfung"
Fehlende Lockerheit ist auch bei den anderen Springern und dem Bundestrainer ein Thema. "Wir sind im Moment nicht in der Lage, locker zu springen, den Sprung schnell zu machen in der Luft", so die Analyse von Horngacher. Und die Erklärung: "Man geht hierher, man will ganz vorn mitspringen, Dann geht es nicht so leicht von der Hand. Dann steigert es sich meistens in Verkrampfung."
Horngacher selbst muss sich dabei zu seiner richtigen Kommunikationsstrategie Fragen gefallen lassen. Vor der Tournee sprach er davon, dass man mit Paschke "natürlich Favorit" sei. Während der Tournee bemängelte er Druck von außen. Zur Halbzeit, als alle Chancen auf den Gesamtsieg verflogen waren, sagte er, nun sei "der Rucksack leichter", man könne unbeschwert springen. Und nach dem Finale verwies er wieder auf mangelnde Lockerheit.
Paschke, Wellinger, Geiger: 34, 29, 31
Im Vergleich zu den siegreichen Österreichern fällt auf, dass das Widhölzl-Team gerade in Sachen Leichtigkeit einen Vorteil zu haben scheint. Und das scheint auch folgerichtig, schließlich bringen die Österreicher immer wieder große Talente hervor, das Team glänzt durch große Leistungsdichte: In der Tournee-Gesamtwertung stehen fünf Österreicher in den Top 10. Tschofenig und der ebenfalls bei der Tournee auftrumpfende Maximilian Ortner sind erst 22 Jahre alt.
Bei den deutschen Skispringern fehlt dagegen der Nachwuchs, der nach oben drängt: Die deutschen Leistungsträger Paschke, Wellinger und Geiger sind bereits 34, 29 und 31 Jahre alt. Der 24-jährige Philipp Raimund als Bester der nachfolgenden Generation ist aktuell 26. im Gesamt-Weltcup – abgesehen von guten Trainingssprüngen also weit weg von den Top-Platzierungen.
Deutsches Nachwuchsproblem? "Brauchen Geduld"
Haben die Deutschen neben dem Problem der fehlenden Leichtigkeit ein Nachwuchsproblem? Nein, meint Horngacher: "Es kommt was nach, nur nicht so in Massen wie in Österreich." Der Deutsche Skiverband habe im Nachwuchsbereich "Dinge verbessert. Es dauert seine Zeit, aber die Leistungsdichte wird besser." Horngacher gebe Nachwuchsspringern wie dem 20-jährigen Adrian Tittel aus Aue ganz bewusst Einsatzzeiten bei Weltcupspringen. Tittels bestes Ergebnis bei der Tournee: Rang 33 in Bischofshofen. "Da braucht es Geduld", so Horngacher.
Weltmeisterschaft in nur sieben Wochen
Geduld, die Horngacher mit Blick auf die Ende Februar im norwegischen Trondheim beginnende Weltmeisterschaft in Trondheim nicht hat. "Es betrifft nicht nur uns, es betrifft auch viele andere Nationen. Die anderen sind auch am Denken: Wie kommen wir an die Österreicher ran? Wir sind nicht alleine als Jäger. Aber wir sind einer der guten Jäger", so der 55-Jährige. Was macht dem Bundestrainer Hoffnung? "Skispringen ist eine Sportart, in der es schnell gehen kann - nach oben und unten. Wir müssen analysieren und die richtigen Dinge umlegen."
Paschke: "2035 gewinne ich die Tournee"
Unter anderem, um zur Lockerheit zurückzukommen. Andreas Wellinger will dafür in den kommenden Tagen "durchschnaufen und ein paar lockere Sprünge machen." Und Pius Paschke blickt lachend noch weiter voraus: "2035 gewinne ich dann die Tournee". Dann wäre der Bayer 44 Jahre alt. Es gäbe ganz große Emotionen am Ende der dann 83. Vierschanzentournee. Und die deutschen Adler hätten mit dem ältesten Tournee-Sieger wieder einen Rekordspringer.