Vierschanzentournee Zwischen Stolz und Gänsehaut - Wellingers Wunsch bleibt unerfüllt
Andreas Wellinger ist nach Platz zwei bei der 72. Vierschanzentournee stolz - und wird sich noch lange an die Gänsehautmomente erinnern. An einen ganz besonders.
Als Ryōyū Kobayashi den Goldenen Adler in die Höhe reckte und im Schneetreiben von Bischofshofen ein breites Grinsen auspackte, stand Andreas Wellinger ein bisschen abseits. Gedankenverloren blickte er in den Auslauf, wo Halvor Egner Granerud, der Tourneesieger des vergangenen Jahres, Kobayashi herzte und ihn dabei kurz in die Luft hob. "Ich bin stolz darauf, was ich bei der Tournee gemacht habe", sagte Wellinger.
In seinen Stolz mischte sich aber auch ein wenig Bitterkeit: "Ich habe nicht viele Fehler gemacht, aber das reicht schon - wenn ein anderer besser ist." Als er dann nur einen Augenblick später auf dem Podium stand, hatte Wellinger sein Lächeln wiedergefunden. Er streckte beide Arme in die Höhe und jubelte - Platz zwei in der Gesamtwertung und eine Vierschanzentournee mit mehr als nur einem Gänsehautmoment.
In der Ruhe liegt der Erfolg
Denn vor dem Showdown um den Tourneesieg in Bischofshofen war das Vertrauen groß - in Wellinger, seine Stärke und vor allem seine Ruhe. Die hatte er aus den vergangenen Weltcupwochen mitgenommen zum Saisonhöhepunkt, hatte damit Fans und Verantwortliche manchmal überrascht, bisweilen vielleicht sogar verblüfft. "Er ruht in sich", sagte etwa Bundestrainer Horngacher.
Mit Ruhe und Leichtigkeit hatte Wellinger stets versucht "sein Zeug" runterzubringen, war sicher in seinem System und in der Vorbereitung auf die Tournee. Beim Weltcup in Engelberg etwa hatte der 28-Jährige einen Wunsch geäußert: "Ich würde am 6. Januar gern lesen: 'Endlich wieder ein Deutscher ganz oben.‘ Am liebsten natürlich ich."
Gänsehaut in Oberstdorf
Bis nach ganz oben hat es bei der 72. Vierschanzentournee nicht gereicht, aber schon beim Auftakt in Oberstdorf sorgte Wellinger für einen besonderen Moment. 25.000 Fans fieberten mit dem deutschen Team - und Wellinger lieferte. Sein Sieg zum Auftakt, ein Erfolg mit Gänsehaut-Garantie und einer, der selbst bei einem wortgewandten Wintersportler wie Wellinger dafür sorgte, dass er zumindest für einen kurzen Moment sprachlos war. Kobayashi landete auf Platz zwei.
"Als alter Hase werde ich die Emotionen schon in die richtigen Bahnen lenken können", sagte Wellinger als er die Worte wiedergefunden hatte. Die Emotionen sortiert, sprang Wellinger in Garmisch-Partenkirchen erneut auf das Podest. Rang drei, Kobayashi diesmal vor ihm, war erneut Zweiter. Wellinger aber verteidigte die Tourneeführung.
Innsbruck als Wendepunkt?
Das änderte sich beim dritten Springen der Tournee in Innsbruck - der Olympiasieger von 2018 kämpfte mit den Bedingungen und dem Bergisel, Kobayashi zeigte keine Nerven und eroberte, erneut mit Platz zwei, die Führung in der Gesamtwertung. "Es ist noch nichts verloren", brachte es Karl Geiger auf den Punkt: "Und das hatten wir in Innsbruck auch schon anders." Am Bergisel zerschellten in den vergangenen 20 Jahren mehr als einmal die deutschen Tourneehoffnungen.
In diesem Jahr nun also der Showdown in Bischofshofen - und die tiefe Überzeugung im deutschen Team, da geht was. Die Unterstützung für Wellinger, fast greifbar. Zimmerkollege Stephan Leyhe wollte am Abend vor der Entscheidung nichts mehr an den gewohnten Abläufen ändern. Pius Paschke hoffte, dass Wellinger "bei seinen Sachen bleibt" und Geiger fand, "dass es Zeit wird".
Erinnerungen für die Ewigkeit
Und Wellinger selbst? "Ich war selten so gut sortiert, wie die letzten zehn Tage", sagte er. Und doch knirschte es in Bischofshofen. Bei der Qualifikation sei es ihm plötzlich "schwergefallen". Zwar lief es am Samstag besser, im ersten Durchgang aber vermisste Wellinger das Tempo im Anlauf, im zweiten lief es deutlich besser, den Rückstand auf Kobayashi aber konnte Wellinger nicht mehr aufholen. Die besonderen Momente dieser Tournee aber nimmt ihm niemand mehr. Angesprochen auf die Siegerehrung in Oberstdorf, auf die frenetischen Fans, hat Wellinger ein Glitzern in den Augen: "So etwas habe ich noch nie erlebt." Und das bleibt auch ohne den Gesamtsieg.