Biathlon Biathlon-Nachwuchs: Was kommt nach Herrmann-Wick und Doll?
Denise Herrmann-Wick hat ihre Karriere gerade beendet, Benedikt Doll macht weiter – zumindest noch ein Jahr. Doch auch der erfolgreichste und beständigste Skijäger der jüngst abgelaufenen Saison gehört zur Ü30 und wird nicht mehr ewig in der Weltspitze mitmischen können.
Was kommt danach? Wie gut ist der deutsche Biathlon-Nachwuchs? Sehr gut, könnte man beim Blick auf die grandiose Jugend- und Junioren-Weltmeisterschaft mit insgesamt 15 Medaillen meinen.
Der Sportdirektor des Deutschen Skiverbandes, Felix Bitterling, freute sich über das "Erfolgsfestival" mit 15 Medaillen, ordnete die Leistungen im Sportschau-Interview aber auch ein: "Eine Junioren-WM ist nur ein kleiner Schritt auf der Leiter, die sie gehen wollen. Das große Ziel ist es, im Weltcup anzukommen und dort eine Rolle zu spielen. Wir wollen Athleten in den Weltcup bringen, die vielleicht ein bisschen brauchen, um sich einzugrooven, dann aber irgendwann Top-Leistungen abrufen können."
DSV-Männer schon Oldies
Die nächste Generation steht gewiss in den Startlöchern und macht Hoffnung für Biathlon-Deutschland. Die vergangenen Jahre waren schließlich oft kein Zuckerschlecken. Es fehlt ein Star in der deutschen Szene. Bei den Männern laufen Doll und Co. seit Jahren im Schatten der Norweger und wohl auch nicht mehr aus diesem heraus. Philipp Nawrath (30), Roman Rees (30) und Johannes Kühn (31) sind ebenfalls schon Ü30. Schwer vorstellbar, dass sie über den Sommer eine gewaltige Leistungsexplosion hinlegen.
Auch die Weltcup-Newcomer Justus Strelow oder David Zobel sind weder Überflieger noch junge Talente. Beide sind 26 und waren in dieser Saison nicht in der Lage, in die absolute Spitze, die von den Norwegern dominiert wird, vorzudringen. Nach der medaillenlosen Heim-WM sorgte Doll im Einzel von Östersund für den einzigen Saisonsieg der DSV-Männer.
Herrmann-Wick - die Strahlefrau geht
Bei den Frauen hielt nach dem Abschied der siebenmaligen Weltmeisterin Laura Dahlmeier 2018 ausgerechnet eine ehemalige Langläuferin die Fahnen hoch. Denise Herrmann-Wick gewann 2014 mit der Langlaufstaffel Bronze, gab am 9. Dezember 2016 kurz vor ihrem 28. Geburtstag ihr Weltcup-Debüt und startete mit einem Olympiasieg und Weltmeistertiteln durch. Die mittlerweile 34-Jährige verabschiedete sich nach der Saison 2022/23 und schrieb beim letzten Sprint ihrer Karriere mit dem Sieg ihr persönliches Biathlon-Märchen.
Wer tritt in ihre Fußstapfen? Mit Hanna Kebinger und Sophia Schneider tauchten zwei 25-Jährige in dieser Saison neu im Weltcup auf. Beide waren lange im zweitklassigen IBU-Cup unterwegs, sind dort gereift und kamen Mitte der Saison ins Weltcupteam. An guten Tagen sind beide in der Lage, in die Top Ten zu laufen. Zur absoluten Weltspitze fehlt (noch) ein Stück.
Deutsche Talente brauchen zu lange
Es ist augenscheinlich ein Problem, dass die DSV-Skijäger in ihrer ersten Weltcup-Saison schon Mitte 20 sind. "Die Athleten, die in die nächsthöhere Serie wechseln, sind zu alt", bestätigt Bitterling und untermauert: "Wir haben ganz wenig Junioren, die im IBU-Cup starten. Das muss mehr werden." Es habe zuletzt auch nur wenige Skijäger gegeben, die den IBU-Cup schnell passiert hätten und dann im Weltcup starten würden. Im Vergleich zu den Norwegern sind die Deutschen mindestens zwei Jahre zurück. Auch andere Nationen haben den DSV diesbezüglich überholt. Eric Perrot (21/Frankreich), Niklas Hartweg (23/Schweiz), Anna Gandler (22/Österreich) oder Elvira Oeberg (24/Schweden) sind deutlich früher im Konzert der Besten gelandet.
Der DSV hat das Problem erkannt und will in der Zukunft verstärkt Talente reinschnuppern lassen, allerdings müsse dafür auch die Leistung stimmen, so Bitterling. Eine Weltcup-Kandidatin ist mit Sicherheit Selina Grotian. Die 18-Jährige ist Deutschlands größte Zukunftshoffnung und ein absolutes Ausnahmetalent. 2023 war bisher ihr Jahr: Obwohl sie noch in der Jugend starten könnte, wurde die junge Bayerin Verfolgungs-Europameisterin bei den Erwachsenen und gewann jüngst bei der WM der Junioren vier Goldmedaillen. Die vorläufige Krönung war ihr Weltcup-Debüt in Östersund. Das beendete Grotian mit zwei Fehlern im Sprint auf dem 44. Platz.
Grotian - ein Biathlon-Juwel
Grotian wandelt auf den Spuren von Neuner und Dahlmeier - Parallelen lassen sich nicht abstreiten. Alle drei haben ihre Wurzeln in Garmisch-Partenkirchen, wurden im gleichen Klinikum geboren, lernten beim SC Mittenwald das Biathlon-Einmaleins und trainier(t)en unter Bernhard Kröll. Er formte "Gold-Lena" und "Gold-Laura" zu zwei der erfolgreichsten deutschen Wintersportlerinnen der Geschichte. Grotian könnte die Dritte im Bunde werden.
"Der Weg, den sie eingeschlagen hat, ähnelt dem von Laura Dahlmeier. Laura war eine überragende komplexe Athletin und das braucht es auch, um in der Weltspitze mitzulaufen. Biathlon hat sich extrem entwickelt, vor allem am Schießstand. Allein schnell laufen zu können, reicht nicht mehr. Mit vier Fehlern siehst du keinen Stich mehr", so Bitterling.
Selina Grotian gewann bei der Junioren-WM vier Goldmedaillen.
Dynamische Mädelsgruppe
Grotian ist nicht die Einzige aus der DSV-Nachwuchsschmiede, mit der in Zukunft zu rechnen ist. Auch die Jugendlichen Julia Tannheimer (DAV Ulm/Jahrgang 2005) und Julia Kink (WSV Aschau/2004) zählen zu den Top-Talenten, die bei der JWM glänzten. Beide starteten in der Jugend und wurden Einzel-Weltmeisterinnen im Sprint und der Verfolgung (Tannheimer) sowie im Einzel (Kink).
Bei den Juniorinnen stehen neben Grotian Johanna Puff, Marlene Fichtner und Selina Kastl in den Startlöchern. "Es sind richtig gute Mädels, die schon seit längerer Zeit zusammen in einer Gruppe sind. Wenn die eine einen Fortschritt macht, will die andere hinterher", lobt Bitterling den Ehrgeiz der Talente. Ob es für eine goldene Generation reiche, darüber wollte Bitterling nicht spekulieren, dafür sei das Biathlon zu sehr explodiert. "Früher gab es nur drei große Biathlon-Nationen, jetzt haben viele bei Budget und den Möglichkeiten nachgebessert", sagt der neue Biathlon-Sportdirektor.
Wer soll die Norweger stoppen?
Die Leistungsdichte ist deutlich enger geworden - außer bei den Männern. Da überflügen die Norweger einfach alles. Und daran wird sich wohl in absehbarer Zeit nichts ändern. Auch in Deutschland ist ein neuer Weltcup-Topläufer noch nicht in Sicht.
Es gibt einige mit Potenzial - so wie Benjamin Menz, der jüngst Einzel-Gold bei den Junioren holte. Der nächste Schritt muss jetzt der IBU-Cup sein. Nur wer dort beständig vorn mitläuft, hat im Weltcup realistische Chancen.