Johannes Kühn feiert mit Philipp Horn Bronze

Nach Staffel-Bronze bei Biathlon-WM "Das letzte Mal bei Hochzeit vor Glück geweint"

Stand: 22.02.2025 20:18 Uhr

Den deutschen Biathlon-Männern gelingt in der Staffel etwas, das ihnen so gut wie niemand zugetraut hätte. Die Bronzemedaille ist wohl die größte Überraschung dieser WM - es ist eine Sensation, die in der Nachbetrachtung viel wert sein wird.

Von Uri Zahavi, Lenzerheide

Ein sehr kluges Sprichwort besagt: "Gutes Timing ist alles im Leben." Ob die deutschen Biathlon-Männer sich diese Worte vor der WM-Staffel von Lenzerheide durch den Kopf gingen ließen, ist nicht überliefert. Wie dem auch sei, ihr Timing für eine grandiose Leistung hätte nicht besser sein können. "So eine Medaille kann eine ganze Saison aufhübschen", sinnierte Schlussläufer Philipp Horn über die Bedeutung dieser Bronzemedaille: "Ich glaube, das gibt uns allen Energie und einen Aufschwung. An die schlechten Ergebnisse wird in ein paar Jahren keiner mehr denken. Wir werden uns zurückerinnern an diesen Tag, den wir emotional zusammen gefeiert haben."

WM-Staffel der Männer in Lenzerheide - die Stimmen

Sportschau Wintersport, 22.02.2025 15:00 Uhr

Wenn Biathleten weinen

Es sind auch für normalerweise abgebrühte und zumindest für die Außenwelt meist gefasste Athleten besonders berührende Momente an diesem Samstagnachmittag (22.02.2025) in der Schweiz. Nachdem feststeht, dass die deutsche Männer-Staffel WM-Bronze gewinnen würde, bricht es aus Johannes Kühn und Philipp Horn heraus. Kühn, der seine erste WM-Medaille feiert, weint. Auch Philipp Horn, der noch vor einer Woche nach seinem völlig verkorksten Sprint-Wettkampf vor der Presse stand und gesagt hatte, die WM sei für ihn gelaufen, kämpft mit den Tränen. Spätestens auf dem Podium hat er diesen Fight dann endgültig verloren. Es ist die vermutlich süßeste Niederlage seiner Karriere. 

"Das letzte Mal habe ich bei meiner Hochzeit vor Glück geweint", sprudelt es förmlich aus dem 30-Jährigen heraus. Diese Bronze-Medaille der deutschen Biathleten ist ohne Zweifel die überraschendste bei diesen Weltmeisterschaften. Nur kühnste Optimisten werden ernsthaft mit Edelmetall geliebäugelt haben. Zusätzlich kommt dieser Erfolg nicht nur unerwartet - hinter ihm verstecken sich einige Geschichten und Schicksale.  

Strelow überraschend nicht im Aufgebot 

Nehmen wir Justus Strelow beispielsweise. Der 28-jährige Sachse wurde für einige Experten durchaus überraschend nicht für die Staffel berücksichtigt. Der beste deutsche Schütze und zweifache Medaillen-Gewinner der aktuellen Titelkämpfe musste vom Streckenrand aus zuschauen. Und das tat er als absoluter Teamplayer. Von draußen feuerte er seine Teamkollegen an, obwohl sie ihm vorgezogen wurden und er in einigen, flüchtigen Momenten sichtbar mit diesem Umstand und der Enttäuschung zu kämpfen hatte. "Ich weiß, wie es ist, zuzuschauen", gibt Mannschaftskamerad Johannes Kühn zu Protokoll:"Dann habe ich in der letzten Runde Justus gesehen und habe mir gesagt, ich gehe jetzt all in für ihn."

Johannes Kühn schreibt sein eigenes Märchen

Genau dieser Johannes Kühn schreibt bei diesen Weltmeisterschaften sein ganz eigenes kleines Märchen. Der Niederbayer war vom Trainer-Team nicht für den WM-Sprint nominiert worden - für den 34-Jährigen spür- und hörbar ein harter Schlag. Die gesamte erste Woche blieb er ohne Einsatz. Auch vor den Journalisten konnte er seinen Frust nicht verbergen, aber vielleicht wollte er das auch gar nicht. Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch war er bereits im Einzel auf einen ordentlichen zwölften Platz gelaufen, aber seine beste Leistung hob er sich für die Staffel auf. Gutes Timing eben. 

Deutsche Männer beenden die "Schieß-Krise"

"Mir ging es gar nicht unbedingt darum, dass es eine WM-Staffel ist, sondern dass ich der Mannschaft helfen konnte", erklärt der 33-Jährige seinen Gefühlsausbruch nach dem Rennen. Zur kurzen Einordnung: So positiv angefasst hatte sich Kühn selten in der Öffentlichkeit präsentiert. "Ich bin schon so lange dabei und es hat nie mit der WM-Medaille geklappt. Es war einfach eine Erleichterung. Ich bin sehr stolz darauf, wie wir das heute als Team gemacht haben." In der Vergangenheit war der Mann vom WSV Reit im Winkel bei WM-Staffel-Rennen am Schießstand immer wieder gescheitert - war auch wegen geschossener Strafrunden mitverantwortlich für die fünf medaillenlosen Jahre der DSV-Herren. 

Doch nicht in diesem Rennen. Fehlerfrei blieb Kühn am Schießstand. Insgesamt zeigte das deutsche Team in seiner Problem-Disziplin eine starke Antwort auf die immer lauter gewordene Kritik. "Schieß-Krise" drohte zum Wort-Ungetüm der WM zu werden. Mit elf Nachladern und ganz ohne Strafrunde hielten die DSV-Skijäger dem Druck stand. "Die Männer sind heute über sich hinausgewachsen. Sie mussten alle eine besondere Leistung zeigen", bestätigt auch Sportschau-Experte Arnd Peiffer die Besonderheit der Leistung: "Gerade, weil es am letzten Wochenende passiert ist und das bedeutet, mit einem Erfolgserlebnis herauszugehen: Das färbt dann die ganze WM wohlwollender ein. Deswegen macht diese Medaille einen sehr großen Unterschied." 

WM-Staffel der Männer in Lenzerheide - die Analyse

Sportschau Wintersport, 22.02.2025 15:00 Uhr

"Oh, wie ist das schön"

Dem schließt sich der überglückliche Sportdirektor Felix Bitterling an. "Die Männer haben nicht Biathlon verlernt, die hatten eine kleine Krise. Es hat einfach nicht zusammengepasst. Wenn sie gut gelaufen sind, haben sie schlecht geschossen und umgekehrt", blickt er zurück: "Umso schöner ist es, dass sie jetzt das Ding haben. Das gibt einen emotionalen Push für das letzte Trimester."

Übersetzt bedeutet das übrigens: "Gutes Timing ist alles im Leben." Wer hätte gedacht, dass die Männer-Staffel der Grund sein würde, aus dem die deutschen Fans in der Schweizer Arena lauthals "Oh, wie ist das schön" grölen würden. "Die Männer haben jetzt eine eigene Medaille, vorher waren sie ja nur an den Mixed-Erfolgen beteiligt", resümiert Arnd Peiffer: "Die Mannschaft wurde gescholten, weil sie nicht an das Niveau des Frauen-Teams herankam. Das tut jetzt richtig gut."