Erik Abramov aus Potsdam (Deutschland, blau, +90kg) frustriert nach der Niederlage im Kampf um Bronze im Judo Team Mixed.

Magere deutsche Bilanz bei Olympia Magere deutsche Bilanz bei Olympia: Ohne gute Trainer keine Medaillen

Stand: 11.08.2024 16:05 Uhr

Deutschland wollte bei den Olympischen Spielen in Paris die Top 5 im Medaillenspiegel angreifen. Dieses Ziel wurde klar verpasst. Ein Grund für die Stagnation im deutschen Leistungssport liegt auch in der mangelnden Anerkennung der Trainer. Von Jette John

Jacob Schopf und Max Lemke, die beiden Kanuten vom Potsdamer KC, legten gerade im Kajak-Zweier ein famoses 500-Meter-Rennen hin. Als sie ins Ziel gleiten, sind sie Doppelolympiasieger von Paris. Kurz darauf nehmen sie am Ufer von Vaires-sur-Marne ihren Trainer Arndt Hanisch in ihre Mitte, beide jeweils einen Arm um ihn.

Was folgt, ist ein Plädoyer für "mehr Anerkennung und mehr Respekt für unsere Trainer in Deutschland", wie es Lemke sagt.

Lemke und Schopf
Schopf und Lemke vom KC Potsdam paddeln zu Olympia-Gold
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Trainer Hanisch stellvertretend für andere Trainer

"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie wir es geschafft haben. Ich weiß nur, was er wirklich geschafft hat", sagt Schopf mit Betonung auf "er" und wirft einen Blick auf Hanisch, einen großen Mann mit Bart und Bürstenhaarschnitt, der peinlich berührt zu sein scheint, als der Kanute aus Berlin-Mahlsdorf fortfährt: "Er hat jetzt wirklich die letzten Jahre sehr viel Schweiß, Blut und wahrscheinlich schlaflose Nächte geopfert. Seit 2016 macht er die Kajak-Herren im olympischen Bereich. Er ist jetzt Cheftrainer und auch unser Heimtrainer. Er hat alles bewirkt, was man hier bewirken konnte, und es hat zu Doppelgold gereicht. Ich denke mal, dem werde ich noch sehr, sehr lange dankbar sein."
 
Hanisch, 55, Sportwissenschaftler und früher selbst Kanute, ist seit acht Jahren Trainer am Potsdamer Luftschiffhafen. In diesem Moment steht er zwischen seinen Athleten. Zugleich steht er stellvertretend für all die anderen Trainer bei diesen Olympischen Spielen, an den Bundesstützpunkten, in den großen und kleinen Vereinen, für Trainer aller Sportarten.

Hinter dem eigenen Anspruch zurückgeblieben

Wie zuletzt immer nach Olympischen Spielen wird am Ende zusammengerechnet und festgestellt, dass Deutschland im Medaillenspiegel hinter dem eigenen Anspruch, hinter den Erwartungen von Politik und Gesellschaft, zurückgeblieben ist. Ja, man habe sich gerade so in den Top Ten gehalten, aber eigentlich, meint Jörg Bügner, Leistungssportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, sei laut Leistungssportreform von 2016 ja das Ziel, sich mit dem gesamtdeutschen Sport unter die Top Fünf der Welt zu bewegen.
 
Warum das wieder nicht geklappt hat? Es seien strukturelle Fragen, zu viel Bürokratie. "Wir schreiben Exceltabellen, die anderen trainieren", sagt er.

Wir schreiben Exceltabellen, die anderen trainieren.

Ohne Trainer keine Medaillen

Und dann gibt es auch 2024 wieder dieses Trainerthema, auf das Schopf und Lemke zurecht hinweisen. "Wir müssen uns fragen, wie kriegen wir wieder Qualität in das System rein?", fragt Bügner.
 
Als der frühere Judoka und Judo-Bundestrainer Frank Wieneke das Interview mit Schopf und Lemke im Fernsehen sieht, denkt er: "Die beiden haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Ohne Trainer gibt es keine Medaillen." Wieneke ist inzwischen an der Kölner Trainerakademie zuständig für Fortbildungen. Er habe es schon oft Konversationen erlebt, in denen Trainer gefragt wurden, was sie denn beruflich so täten. Auf die Antwort: "Ich bin Trainer", folge häufig dann die Frage: "Und womit verdienst du dein Geld?"
 
Die drei Jahre an der Trainerakademie, in denen die Studierenden berufsbegleitend zu Diplomtrainern ausgebildet werden, seien sehr anspruchsvoll. Die geringe Wertschätzung des Trainerberufs hänge mit der geringen Anerkennung des Leistungssports in Deutschland allgemein zusammen, meint Wieneke. "Ein Bundestrainer sollte doch zumindest so viel verdienen wie ein Lehrer. Das ist meist nicht der Fall."
 
Und weshalb ist es bei einer Ehrung wie dem Silbernen Lorbeerblatt inzwischen Gewohnheit geworden, zwar Sportler, aber nicht deren Trainer auszuzeichnen?

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Die besten Trainer wandern ins Ausland ab

Erst in diesem Frühjahr schlug der Berufsverband der Trainer und Trainerinnen im deutschen Sport (BVTDS) Alarm, als das Bundesministerium des Inneren (BMI) seinen Entwurf eines Sportfördergesetzes vorlegte. Eine Verbesserung der Trainersituation, die seit Jahrzehnten gefordert wird, etwa mit der Einführung eines Tarifvertrags oder ein Mitspracherecht in sportpolitischen Gremien, sah der BVTDS gar nicht berücksichtigt. "Statt nun in die Umsetzung zu gehen, kommt mit dem Gesetzesentwurf des BMI nun ein erneuter tiefer Rückschlag. Wir erleben gerade, wie die nächste Leistungssport-Reform vor die Wand gefahren wird", sagt Holger Hasse, Co-Präsident des BVTDS.
 
Etliche Toptrainer entscheiden sich lieber für den Lehrerberuf – wie aktuell Lukas Wilaschek, der Coach des Olympia-Bronzemedaillengewinners Nelvie Tiafack im Boxen, der Berliner Wasserspringer Patrick Hausding oder die Berliner Schwimmtrainerin Nicole Warnatzsch. Etliche Toptrainer sind schon ins Ausland abgewandert. Etwa Wienekes früherer Co-Trainer Richard Trautmann. In Paris brachte er mit dem Team aus Aserbaidschan zwei Olympiasieger im Judo hervor. "Was der neben seinem Gehalt zusätzlich für Prämien für Goldmedaillen bekommt, das verdienen hier in Deutschland die meisten Bundestrainer nicht in vier Jahren", sagt Wieneke.

Was ist aus der Traineroffensive beim DOSB geworden?

Auch Hockey-Bundestrainer Jamilon Mülders, der in Tokio noch das Bronzeteam coachte, verabschiedete sich erst nach China und trainiert jetzt die niederländischen Frauen. Der Belgier Vital Heynen sagte den deutschen Volleyballerinnen kurz vor der Olympiaqualifikation Adieu, um fortan Chinas Männer anzuleiten. Anders als beispielsweise hochdotierte Coaches in den USA werden Trainer in Deutschland weder vom College bezahlt noch von privaten Klubs.
 
Aber was ist eigentlich aus der Traineroffensive des DOSB geworden? Aus dem Bundestrainerrat, beziehungsweise der 2018 gegründeten Trainerkommission? "Da tut sich nichts mehr" ist von denjenigen zu hören, die sich damals als Lobby und Austauschplattform für Trainer verstanden.
 
Beate Ludewig, früher Nachwuchs-Bundestrainerin des Deutschen Schwimmverbandes in Berlin, wo gerade eine Stelle als Schwimm-Landestrainer ausgeschrieben ist, sagt: "Wir haben immense Probleme, im Nachwuchs qualifizierte Trainer zu finden. Für den Aufwand und das Geld findet man keine mehr." Das Problem gehe bis ganz nach unten. Verantwortung, Aufwand und Arbeitszeit seien bei Trainern immens: Trainingslager, Wettkampfreisen, Wochenenden bei Wettbewerben. Von geregelter Arbeitszeit kann keine Rede sein.

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Appelle der Verzweiflung

Als sie noch Mitglied der DOSB-Trainerkommission war, erarbeitete Ludewig ein Konzept für einen bundesweiten Trainer- und Trainerinnen-Award. Einmal im Jahr sollten die besten Coaches im Spitzensport, im Nachwuchsleistungssport, im Kinder- und Jugend- sowie Erwachsenen- und Seniorenbereich, die besten Jungtrainer sowie für herausragendes Engagement und Lebenswerk ausgezeichnet werden. Ludewig stellte ihr Konzept bei Sportausschuss, DOSB, und BMI vor. Ihre Idee sei gut angekommen, sagt sie – und dann versandet.
 
Wenn schon die Umsetzung vergleichsweise kleiner Gesten scheitert, wie soll da eine Schubumkehr im Großen gelingen? Die Leistungssportreform von 2016 wird derzeit von Sport und Politik neu überarbeitet. "Wir beschäftigen uns jetzt seit zehn Jahren mit diesen Dingen. Das kann nicht sein", sagt Bügner. "Wir müssen jetzt auch ins Tun kommen." Insofern kann man das Trainer-Plädoyer der Kanuten Schopf und Lemke auch als Ausruf der Verzweiflung verstehen.

Sendung: rbb24|Inforadio, 11.08.2024, 18:15 Uhr