Weitsprung bei den Paralympics Besondere Trainingsgruppe gibt Rehm noch mehr Schwung
Wenn Weitspringer Markus Rehm am Mittwoch (04.09.2024) in Paris um seinen vierten Titel bei den Paralympics kämpft, tritt er auch gegen zwei Freunde ein: Zu Noah Bodelier und Stelianos Malakopoulos hat der 36-Jährige ein ganz besonderes Verhältnis.
Alles begann mit einer Zufallsbegegnung. Als Markus Rehm bei der Golden Roof Challenge in Innsbruck im Hotel frühstückte, setzte sich Stelianos Malakopoulos an den Nebentisch. Der Grieche wollte sich offenbar nicht einfach zu seinem Konkurrenten setzen. "Stelios ist so ein freundlicher und zurückhaltender Typ - da habe ich ihn zu mir an den Tisch eingeladen", erzählt Rehm im Gespräch mit der Sportschau.
Klar, die Prothese ist wichtig. Aber sie springt nicht für dich.
Die beiden Spitzensportler merkten schnell, dass sie auf einer Wellenlänge waren. Bald nach dem Wettkampf vereinbarten sie ein gemeinsames Trainingslager - und dann noch eins. "Es hat sich schnell ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt", erklärt Rehm.
Die Freundschaft ging so weit, dass Malakopoulos zu Bayer Leverkusen wechselte. Dort bilden die beiden mit Nachwuchsmann Bodelier eine ungewöhnliche Trainingsgruppe. Und alle drei sind in der Klasse der Unterschenkel-Amputierten bei den Paralympics dabei.
Nerius schwärmt von ihren Athleten
"Es ist schön - einfach für den Markus auch eine Trainingsgruppe zu haben, um in verschiedenen Disziplinen mal wieder zu fighten. Es wird auch immer ein kleiner Contest gemacht - zum Beispiel bei den Läufen", berichtet Trainerin Steffi Nerius, die zuvor lange meist allein mit dem Ausnahme-Athleten gearbeitet hatte. "Für mich ist es auch schön. Es ist immer Freude im Team und wir haben Spaß."
Der 27-jährige Grieche und der noch sechs Jahre jüngere Bodelier sind in der Rolle der Herausforderer: "Sie schauen genau, was Markus macht. Er ist eine Riesen-Motivation für die beiden", weiß Nerius. Rehm betont: "Ich hätte nicht gedacht, dass das mit der Trainingsgruppe so gut funktionieren könnte und habe das auch noch nie irgendwo so erlebt. Da ist viel Sympathie, Wertschätzung und auch Harmonie."
Dass es nie Unruhe gibt, auch nicht zwischen seinen beiden Kollegen, die von den Weiten her deutlich dichter zusammen sind, weiß er sehr zu schätzen. Und ihm hat das Miteinander noch mal neuen Schwung gegeben. Auch Bodelier sieht nur Vorteile: "Eigentlich werden wir alle nur besser dadurch, dass wir zusammen trainieren."
Rehm und Bodelier teilen sich ein Paar Schuhe
Bodelier fand einst durch eine Begegnung mit Rehm, der in seiner Schule arbeitete, zum Parasport. Erst trainierte der Teenager mit den jüngeren Athleten in Leverkusen. Als sich die Trainingsgruppe unter Nerius formierte, war er mit dabei. Heute teilen sich die beiden schon mal ein Paar Schuhe - dem einen fehlt der linke, dem anderen der rechte Fuß.
Vor den Paralympics fertigte Rehm, der Orthopädietechniker-Meister ist, seinem Trainingskollegen sogar eine Ersatzprothese. Eigentlich mache er sowas nicht so gern, weil er nicht "dafür verantwortlich sein will, wenn etwas schiefgeht", erklärt Rehm lachend. Aber er helfe schließlich gern.
"Markus ist immer hilfsbereit, ihn kann man alles fragen", bestätigt Bodelier und fügt hinzu: "Ich versuche schon alles aufzusaugen, was er weiß."
Para-Weitsprung ist bei Diamond League dabei
Und auch der Jüngste weiß sich einzubringen. Zum Beispiel beim großen Projekt von Rehm und Malakopoulos. Die beiden haben die Para-Weitsprung-Wettbewerbe zur Diamond League gebracht. "Wir haben ein Paket zusammengestellt und bei der Diamond League angefragt, ob Interesse besteht", sagt Rehm. "Wir finden es cool, uns da präsentieren zu können."
Dass wir bei der Diamond League antreten, verändert, wie wir wahrgenommen werden: weniger als Behindertensportler, sondern mehr als Sportler.
Eine Idee, die auch der Trainerin gefällt. "Wir versuchen seit Jahren, dass die Wettkämpfe inklusiver sind - mit einem gemeinsamen Wettkampf in separater Wertung oder einem Einlagewettkampf. Da leistet Markus sicher Pionierarbeit für die Athleten, die in Zukunft kommen", so Nerius. Sie unterstreicht: "Es ist total wichtig, dass sich der Para-Sport dort zeigt. Dass er zeigt, was wir für tolle Athleten haben und was für tolle Leistungen die erbringen können."
Rehm in der ersten "herausfordernden Saison"
Und darum geht es nun auch auf der noch größeren Bühne, bei den Paralympics. Nerius hat für ihre drei Athleten Saisonbestleistungen als Ziel ausgegeben. Rehms ganz großer Sprung, er peilt die magischen neun Meter an, wird zumindest in dieser Saison nicht mehr gelingen. "Es war zum ersten Mal eine herausfordernde Saison. Markus ist ein bisschen stärker und auch ein bisschen schneller geworden - das war unser Ziel. Was wir beide so ein bisschen unterschätzt haben: Die Prothese reagiert anders, wenn man schneller am Brett ankommt und mehr Kraft hat. Wir haben die richtige Einstellung auch noch nicht final gefunden."
Mit 8,30 Metern sicherte sich Rehm in diesem Jahr seinen siebten WM-Titel. Als Saisonbestleistung sind 8,44 Meter notiert. Auf jeden Fall soll sein eigener Paralympics-Rekord von Rio (8,21 m) fallen.
US-Amerikaner Loccident Rehms größter Konkurrent
Bodeliers Saisonbestleistung liegt bei 7,49 m, die zugleich die persönliche Bestleistung sind. 7,15 m schlagen für den beidseitig-amputierten Malakopoulos zu Buche. Rehms größter Konkurrent ist Derek Loccident. Der Amerikaner ist der einzige andere Springer, der schon weiter als acht Meter gesprungen ist (8,13).
Im Wettkampf sind Rehms Freunde seine Konkurrenten. Und auch wenn er als klarer Favorit in die Paralympics geht, übt er sich in Demut: "Man darf nichts als selbstverständlich nehmen. Ich überschätze meine Gegner auch lieber, als einen Gegner vielleicht auf die leichte Schulter zu nehmen." Und sollte es mit einer Medaille (oder auch zweien?) für die Trainingsgruppe von Nerius klappen, würden sie alle gemeinsam feiern.