Zehnkampf in Paris Neugebauer übernachtet auf Rang eins und darf von Gold träumen
Topfavorit Leo Neugebauer liegt beim olympischen Zehnkampf in Paris zur Halbzeit vorn und darf von Gold träumen. Ein frustrierter Niklas Kaul dagegen rätselt über die Gründe für seinen enttäuschenden Auftritt.
Zum Abschluss des ersten Tages lieferte Neugebauer noch einmal richtig ab: 47,70 Sekunden über 400 m, Saisonbestleistung - ein Ausrufezeichen. Er reckte die Arme in die Höhe und warf Kusshände in Richtung Tribüne, wo ihn Freunde und die gesamte Familie unterstützten und feierten.
"Das Stadion ist verrückt. Hier einen Wettkampf machen zu dürfen, ist eine Ehre und macht sehr viel Spaß", sagte der 24-Jährige in der Sportschau. "Ich kann mich nicht beschweren. Ich habe sehr gute Leistungen abgeliefert."
Zur Halbzeit nur knapp hinter dem deutschen Rekord
Der Weltjahresbeste präsentiert sich bei seinem Olympia-Debüt in Paris in blendender Verfassung und liegt nach fünf Disziplinen mit 4650 Punkten in Führung - im Vergleich mit seinem deutschen Rekord (8961) ist er nur knapp schlechter unterwegs und peilt ein Ergebnis von über 8900 Zählern an.
Tokio-Olympiasieger Damian Warner aus Kanada ist aktuell Vierter (4561), Europameister Johannes Erm (Estland) lauert auf Platz fünf (4510). Einen starken Eindruck machen auch die Norweger Sander Skotheim (4588) und Markus Rooth (4459) auf den Plätzen drei und sieben.
Von der Last des Favoriten keine Spur
Cool spult Neugebauer sein Pensum im Hexenkessel Stade de France mit über 70.000 Leichtathletik-Fans eindrucksvoll ab. Von der Last des Favoriten keine Spur, hochkonzentriert und fokussierter als bei den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr wirkt der deutsche Rekordhalter, der in Budapest bei all der Euphorie an seinem starken ersten Tag zu viele Körner gelassen hatte.
Nach Platz eins zur Halbzeit war er noch auf Rang fünf zurückgefallen. Das soll nicht noch einmal passieren. Er habe daraus gelernt, erklärte Neugebauer im Vorwege des olympischen Wettkampfs, und das ist auch spürbar. "Ich fühle mich sehr gut", sagte er, bevor er in die kurze Nacht verschwand.
Jubel nach 7,98 m im Weitsprung
Nicht alles lief am Freitag (02.08.2024) perfekt, aber bei schwüler Hitze doch vieles richtig gut. Als im Hochsprung 2,05 m im zweiten Versuch gemeistert waren, brüllte der 24-Jährige seine Freude heraus. Vier Zentimeter fehlten zur persönlichen Bestleistung, im Weitsprung schaffte er 7,98 m und ballte jubelnd die Faust. Die 7,86 m, die er im Juni bei seinem deutschen Rekord in Austin/Texas erzielt hatte, übertraf er mit der zweitbesten Weite im Feld klar.
Auch mit den 10,67 Sekunden über 100 m auf der lila Bahn zum Auftakt konnte er zufrieden sein. Nur drei Hundertstel war er damit langsamer als in Austin, wo er lebt und zuletzt seinen College-Abschluss in Wirtschaft gemacht hat. Lediglich beim Kugelstoßen ließ der Stuttgarter mit 16,55 m einige mögliche Zähler liegen und kam nicht an seine Bestleistung von 17,46 m aus dem Juni heran.
Kaul hadert und muss Medaille abhaken
Der ehemalige Weltmeister und Europameister Niklas Kaul erlebte dagegen einen enttäuschenden Tag. In vier der fünf Disziplinen blieb er hinter den selbst gesteckten Erwartungen zurück, nur im Hochsprung lief es mit Saisonbestleistung von 2,02 m nach Wunsch. Dabei hatte sich der Mainzer bei der WM im vergangenen Jahr wie auch schon bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio in dieser Disziplin eine Verletzung am Fußgelenk zugezogen - bittere Erfahrungen.
Nach dem kleinen Zwischenhoch waren 49,13 Sekunden über die abschließende Stadionrunde wieder eine Enttäuschung. Was wohl nicht daran lag, dass Kauls 400-m-Lauf mit Verzögerung begann. Die Franzosen feierten die nächste Goldmedaille von Schwimmstar Léon Marchand so laut, dass dieses Rennen erst mit Verzögerung und nach der Bitte um Ruhe gestartet werden konnte.
"Es ist einfach Mist. Ich weiß nicht, woran es liegt. Ich habe einfach keine Power, wie ausgeknipst. Ich verstehe es nicht", sagte der 26-Jährige frustriert. Schon am Vormittag war er nicht in Schwung gekommen und hatte sichtlich mit sich gehadert. Im Kugelstoßen hatte der EM-Vierte von Rom eine Weite über gut 15 m angepeilt, blieb mit 14,24 m aber fast einen Meter hinter seinen eigenen Vorgaben zurück.
Heute war alles Arbeit. Ich habe einfach keine Power, wie ausgeknipst.
Auch über 100 m hatte er sich mehr vorgenommen als die 11,34 Sekunden - eine 11,20er-Zeit war das Ziel. Im Weitsprung hatte er sich 7,40 m gewünscht, 7,09 wurden es.
Im Zwischenklassement belegt Kaul zunächst den vorletzten Platz (4041). Seine großen Stärken kommen erst am zweiten Wettkampftag, eine Medaille ist dennoch außer Reichweite.
Nachrücker Steinforth schlägt sich wacker
Till Steinforth, der kurzfristig als Ersatz für den durch eine Covid-Infektion ausgebremsten Manuel Eitel nachgerückt war, schlägt sich wacker und ist mit 4336 Zählern zunächst Zwölfter.
In Neugebauers 100-m-Lauf wäre am Morgen eigentlich auch Weltrekordler Kevin Mayer (9126 Punkte) dabei gewesen, der französische Nationalheld hatte aber am Vortag schweren Herzen wegen einer Oberschenkelverletzung passen müssen. Auch Weltmeister Pierce Lepage (Kanada) fehlt verletzungsbedingt.
Bob Beamon eröffnet Leichtathletik-Spektakel
Weitsprung-Legende Bob Beamon hatte kurz vor Beginn des Zehnkampfs mit den aus der französischen Theatertradition übernommenen drei Schlägen auf den Boden die Leichtathletik-Wettkämpfe im riesigen Stade de France eröffnet.
Am Nachmittag übernahm den Job der dreimalige Zehnkampf-Weltmeister Dan O'Brien aus dem USA, der 1996 in Atlanta beim Coup von Frank Busemann Olympiasieger geworden war. Die Silbermedaille des ARD-Experten vor 28 Jahren war das bis dato letzte olympische Edelmetall eines deutschen Zehnkämpfers. Nach Willi Holdorf 1964 und Christian Schenk 1988 könnte Neugebauer als dritter Deutscher Olympia-Gold gewinnen.