Zehnkampf in Paris Neugebauer, Kaul und große deutsche Hoffnungen
Vorhang auf für die "Könige der Athleten": Am Freitag (02.08.2024) und Samstag ermitteln die Zehnkämpfer in Paris ihren Olympiasieger. Das deutsche Team hat beste Aussichten: Leo Neugebauer geht im Stade de France als Goldkandidat an den Start, auch Niklas Kaul hat Medaillenchancen.
28 Jahre ist es her, dass ein deutscher Zehnkämpfer bei Olympischen Spielen eine Medaille gewann. Frank Busemann, heute ARD-Experte, begeisterte 1996 in Atlanta die Zuschauer und überraschte die namhafte Konkurrenz mit seiner Leistungsfähigkeit und seiner Unbekümmertheit, als er strahlend zu Silber stürmte.
Fast drei Dekaden später stehen in Paris die Chancen denkbar gut, dass es wieder olympisches Edelmetall für die Mehrkämpfer gibt - vielleicht sogar zweimal und vielleicht sogar Gold. Größter Hoffnungsträger: Leo Neugebauer. Der 24-Jährige tritt ab Freitag (02.08.2024) als klare Nummer eins der Welt im Stade de France an und ist damit gleich bei seinem Olympia-Debüt der Favorit.
Eine Rolle, mit der er keine Probleme hat. Die ihm eigene Lockerheit soll ihn zum Erfolg führen. Druck? Verspürt er nicht. "Es ist einfach nur ein weiterer Zehnkampf. Ich will das machen, was ich davor gemacht habe und ran an die persönlichen Bestzeiten. Das wird dann schon reichen, um gut abzuschneiden", sagte er der Sportschau. "Ich fühle mich topfit und freue mich mega drauf. Das wird ein cooler Wettkampf."
Neugebauer hat noch Reserven
Erst im Juni hatte der Athlet vom VfB Stuttgart, der seit über vier Jahren in Texas lebt und dort nach seinem erfolgreichen College-Abschluss in Wirtschaft auch als Profi bleiben wird, bei den US-College-Meisterschaften in Austin 8961 Punkte erzielt und damit seinen eigenen deutschen Rekord verbessert. Knackt er als fünfter Zehnkämpfer der Geschichte nun sogar die magische 9000-Punkte-Marke? "Ich würde sagen, dass es definitiv drin ist, keine Frage", sagte Neugebauer. "Ich weiß, dass da auch noch ein bisschen mehr drin ist."
Auch deshalb sieht er vielmehr die Konkurrenten um Ex-Weltmeister Niklas Kaul unter Zugzwang. Seine Bestleistung bringe "eher den Druck auf andere Leute, weil die sehen: 'Oh Leo kann das machen, jetzt muss ich zeigen, was ich drauf habe.'"
Die Lehren aus der WM in Budapest gezogen
Auch bei seinem WM-Debüt im vergangenen Jahr in Budapest war er als Weltjahresbester an den Start gegangen - und hatte Lehrgeld bezahlt. Zur Halbzeit lag er auf Gold-Kurs und hatte nach beeindruckenden Leistungen an seinem ersten starken Tag immer wieder frenetisch mit den Fans gefeiert. Das kostete Körner, die am nächsten Tag fehlten. Er verriss den Hürdenlauf und den Diskuswurf, eigentlich seine Paradedisziplin. Am Ende wurde es Rang fünf.
"Da habe ich definitiv gelernt, dass manche Sachen okay sind für den Wettkampf und manche nicht. Da muss man dann runterschalten", sagte Neugebauer, der die nötige Ruhe und Kraft kurz vor der Anreise nach Paris im Trainingslager in Kienbaum vor den Toren Berlins tankte. Auch Trainer Edrick Floréal will die Sache an der Seine anders angehen. In Budapest habe er seinem Schützling gestattet, der verspielte Leo zu sein. "Wir haben gelacht und herumgejuxt." Das werde es bei Olympia nicht mehr geben.
Weltmeister Lepage und Weltrekordler Mayer nicht dabei
197 Punkte beträgt Neugebauers Vorsprung in der Weltrangliste auf Europameister Johannes Erm aus Estland. Weltmeister Pierce Lepage musste seinen Start verletzungsbedingt absagen, ebenso wie kurzfristig der französische Nationalheld Kevin Mayer. Der Weltrekordler (9126) laboriert weiter an einer Oberschenkelverletzung und gab nach einem letzten Fitness-Test am Donnerstag (01.08.2024) schweren Herzens seinen Verzicht auf Heim-Olympia bekannt.
Weg frei also für "Leo the German"? Davon will Neugebauer nichts wissen. "Ich werde alles geben und dann muss eigentlich etwas Gutes dabei rauskommen. Ob es für Gold reicht, weiß man nicht", betonte der 24-Jährige, der auch Tokio-Olympiasieger Damian Warner und seinen Teamkollegen Niklas Kaul auf dem Radar hat.
Kaul peilt Bestleistung an
Der erfahrene Mainzer hat mit Olympia noch eine Rechnung offen. In Tokio schied der 26-Jährige vor drei Jahren beim Hochsprung verletzt aus. Nun ist er "sehr zuversichtlich", dass seine Bestleitung von 8691 Punkten nach fünf Jahren fallen könnte. Mit der hatte sich der Europameister von München 2019 zum jüngsten Zehnkampf-Weltmeister aller Zeiten gekrönt.
Eine Olympia-Medaille fehlt ihm noch in seiner eindrucksvollen Sammlung, in Paris will er sich in den Disziplinen steigern, die kürzlich bei EM-Platz vier in Rom noch nicht funktionierten wie gewünscht. Immerhin: Die Gesamtpunktzahl (8547) war schon in der "ewigen Stadt" trotz einiger Schwächen in der Hälfte der Teildisziplinen beachtlich gewesen.
Neugebauers Schwächen sind Kauls Stärken
Spannend wird es hinten raus: Der schnellkräftige Neugebauer hat seine Stärken am ersten, Werfer- und Ausdauertyp Kaul seine am zweiten Tag. Speer und 1500 m zum Abschluss des schlauchenden Multi-Wettkampfs sind Kauls beste Disziplinen, aber Neugebauers schwächste. Er muss seinen Vorsprung auf die Konkurrenz dann schon drin haben.
"Ich hoffe, dass es mir sogar noch etwas mehr Power gibt, dass es die Olympischen Spiele sind", sagte Neugebauer, der wie im Vorjahr bei der WM in Budapest von vielen Freunden und Familienmitgliedern unterstützt wird. Beste Voraussetzungen also für die Olympia-Bühne, auf der Legenden geboren werden. So wie einst Frank Busemann.