Die DHB-Spieler nach dem Ausscheiden
analyse

WM-Aus in Oslo Planlos, mutlos, ideenlos - Deutschland scheitert an sich selbst

Stand: 30.01.2025 08:57 Uhr

Deutschland ist bei der Handball-WM nach einem Verlängerungs-Krimi an Portugal gescheitert - aber noch viel mehr an sich selbst. Eine Analyse.

Dieses Hartplastik-Schild, das der "Player of the Match" nach jeder Partie der Handball-WM 2025 in Dänemark, Kroatien und Norwegen überreicht bekommt, dieses überdimensionale und ziemlich schmucklose Rechteck, hätte Andreas Wolff wohl am liebsten noch an der Mittellinie zerstört.

Der Torhüter der deutschen Nationalmannschaft war für seine erneut überragende Leistung trotz der Viertelfinal-Niederlage gegen Portugal (30:31 nach Verlängerung) als Mann des Abends in Oslo ausgezeichnet worden.

Zu viele Defizite durch die WM geschleppt

Dass aber selbst 21 Paraden von Wolff nicht reichten, um ins Halbfinale einzuziehen, sagt sehr viel über seine Vorderleute aus. Deutschland hatte das Erreichen der Top 4 schlicht auch nicht verdient, weil zu viele Defizite durch das gesamte Turnier geschleppt wurden. Weil der Lerneffekt aus den sechs Partien zuvor, von denen fünf mehr oder weniger glanzlos gewonnen wurden, extrem gering war.

Immer wieder hatte das DHB-Team in Vor- und Hauptrunde die Startphase verschlafen, hatte regelmäßig kraftraubende Aufholjagden gebraucht. Möglicherweise fehlte genau diese verbrauchte Kraft in der Endphase gegen die Portugiesen.

Stephanie Müller-Spirra /Johannes Bitter /Dominik Klein, Handball auf die 1 – der Sportschau-Podcast zur Handball-WM, 30.01.2025 04:24 Uhr

Golla ehrlich: "Absolut katastrophal"

"Das war absolut katastrophal", sagte Kapitän Johannes Golla wohltuend ehrlich über die ersten 30 Minuten am Mittwochabend, in denen den Deutschen mickrige neun Tore gelungen waren, und davon nur fünf (!) aus dem Spiel heraus.

Hätte Wolff nicht schon von Beginn an einen Ball nach dem anderen entschärft und Lukas Zerbe (am Ende neun Tore) einen Siebenmeter nach dem anderen verwandelt, wäre schon zur Pause alles vorbei gewesen.

Portugal gegen Deutschland - Analyse und Stimmen

Sportschau Handball-WM 2025, 29.01.2025 20:30 Uhr

"Wo ist da die Vorbereitung?"

Sportschau-Experte Johannes Bitter war noch weit nach Mitternacht fassungslos: "Das ist ja gegen Portugal nicht zum ersten Mal passiert. Wir brauchen fast in jedem Spiel die ersten 20 Minuten, um überhaupt mal zu lernen und zu verstehen, was der Gegner macht. Da frage ich mich ganz ehrlich: Wo ist die Vorbereitung?"

Geradezu erschreckend waren zunächst vor allem die Ausrechenbarkeit, die Ideenlosigkeit und die Armut an Varianten im deutschen Angriff um den als Spielmacher komplett überforderten Luca Witzke. Renārs Uščins nahm teilweise Würfe aus unmöglichen Situationen, musste das aber manchmal auch deshalb tun, weil sich die Kollegen versteckten.

Kreis und Linksaußen nicht existent

Spiel über den Kreis in der ersten Hälfte? Nicht existent. Spiel über Linksaußen im gesamten Spiel? Fehlanzeige. Julian Köster, Lukas Mertens, Witzke und Golla im ersten Durchgang? Allesamt torlos.

Was über das gesamte Turnier aber beeindruckend war: Deutschland gibt nicht auf. Verzweifelt nicht an den eigenen Unzulänglichkeiten und dem fehlenden Plan B von der Trainerbank, steckt auch die oft weitgehend inhaltsleeren Auszeiten ("Hey Jungs, macht euren Job...") weg. Der Kampfgeist bei der WM 2025 war überragend, aber mit besserem Coaching, mehr Vertrauen auch mal in jüngere Shooter wie Marko Grgic (21) oder Nils Lichtlein (22) hätte sich das DHB-Team die am Ende fehlenden Reserven vielleicht erhalten können.

"Halbgar und ohne letzte Konsequenz"

Sportschau-Experte Dominik Klein fehlte neben dem klaren Plan ("Viele Angriffe wirken halbgar, ohne die letzte Konsequenz") auch jegliches Leadership auf der Platte - bis hin zur peinlichen Mutlosigkeit in der 60. Minute: Deutschland hatte bei 26:26 den Ball, traute sich aber keinen Abschluss mehr zu.

Bundestrainer Alfred Gislason erklärte das später mit der Tatsache, dass man zu diesem Zeitpunkt in Unterzahl spielte: "Wir hatten deshalb den Torwart rausgenommen, da wollten wir dann nicht das Risiko gehen, den Ball noch zu verlieren und ins leere Tor zu bekommen."

Wolff wütend: "Das darf nicht passieren"

Logisch klingt das nicht, allenfalls mal wieder "halbgar": Gislason hätte dann ja auch Wolff auf dem Feld lassen können, um wenigstens - auch mit einem Mann weniger - noch einen Wurf zu kreieren. Zum Beispiel über Juri Knorr, der nach seiner Krankheit ein tolles Comeback feierte und sieben Tore warf.

Stattdessen kam ein Pass auf die rechte Seite zu Uščins, der dort völlig isoliert war und den Angriff vorsichtshalber abbrach. "Das regt mich wirklich extrem auf, dass wir da nicht mal einen Wurf hinbekommen haben“, gab Wolff hinterher offen zu: "Ich bin enttäuscht, aber auch wütend. Das darf einfach nicht passieren." Wie so vieles andere auch während dieser Weltmeisterschaft beim deutschen Team - vor allem die Plan-, Ideen- und Mutlosigkeit.

Portugal gegen Deutschland - das Re-Live

Sportschau Handball-WM 2025, 29.01.2025 20:30 Uhr