Eva Navarro

Nations League Spaniens Fußballerinnen zum Spielen gezwungen

Stand: 20.09.2023 12:32 Uhr

"Blamage für das ganze Land": Unter Bedrohung ihrer Karrieren und erst auf  Regierungsintervention treten Spaniens Weltmeisterinnen zur Nations League an.

Von Florian Haupt, Barcelona

Während in Spaniens Fußball mal wieder Land unter war, traf sich Regierungschef Pedro Sánchez am Rande der UN-Vollversammlung in New York mit FIFA-Präsident Gianni Infantino. Es gab ein Meeting, ein gemeinsames Foto, ein Handshake und eine Botschaft von Sánchez: Das Königreich arbeite weiterhin an seiner Kandidatur für die WM 2030 mit Portugal und Marokko. "Und wir tun das mit einer klaren Idee: Der Fußball ist ein globaler Sport, der Werte vermitteln kann", sagte er.

Zur selben Stunde verhandelten in Oliva bei Valencia die besten Fußballerinnen Spaniens mit ihrem Fußballverband. Gegen ihren Willen und zu allgemeiner Verblüffung waren sie von der neuen Nationaltrainerin Montse Tomé für die Nations-League-Spiele am Freitag in Schweden und am Dienstag gegen die Schweiz berufen worden. "Wir wurden gezwungen, hierher zu kommen" - so sagte es Mapi León vom FC Barcelona.

Der Konflikt schwelt seit einem Jahr

Die Weltklasseverteidigerin León hat seit über einem Jahr nicht mehr für Spanien gespielt, denn so lange geht der Konflikt mit dem Verband nun schon. Damals traten 15 Spielerinnen aus Protest gegen Teile des Funktionärspersonals und ihre Methoden in den Streik. Einige kehrten zur WM im Sommer zurück, die Spanien dann auch ohne die Abtrünnigen gewann.

Doch Verbandspräsident Luis Rubiales torpedierte den Triumph durch seinen Mundkuss-Übergriff gegen Stürmerin Jenni Hermoso. Als er eine aufrichtige Entschuldigung verweigerte und stattdessen Hermoso sowie einem "falschen Feminismus" die Schuld an dem weltweit beachteten Skandal gab, erklärten alle Spitzenspielerinnen des Landes ihren Rücktritt aus der Nationalelf.

39 von ihnen, darunter 21 der 23 Weltmeisterinnen, hielten diesen Boykott auch aufrecht, nachdem Rubiales auf Druck aus dem Weltverband FIFA vorige Woche doch noch seine Demission verkündete. Zwar war auch WM-Trainer Jorge Vilda ausgetauscht worden, aber nur gegen seine ehemalige Assistentin Tomé. Und von den "strukturellen Veränderungen", welche die Spielerinnen für ein Comeback zur Bedingung gemacht hatten, war nichts zu sehen. Unter dem von Rubiales bestimmten Interimsnachfolger Pedro Rocha regierten vielmehr weiter die alten Seil- und Machenschaften.

Hermoso: "Strategie der Spaltung und Manipulation"

"Eine weitere Strategie der Spaltung und Manipulation, um uns einzuschüchtern und mit rechtlichen Konsequenzen und wirtschaftlichen Sanktionen zu drohen" - so nannte Hermoso die Zwangsberufung vom Montag. Deren Zweck war purer Machiavellismus: Nach spanischem Sportrecht riskieren Sportler, die den Ruf einer Nationalauswahl missachten, ein langjähriges Berufsverbot - auch auf Klubebene.

Deshalb und weil ihnen Sportsstaatssekretär Víctor Francos nach einjähriger Zurückhaltung die Vermittlung der Regierung versprach, tauchten alle 23 Nominierten im Lauf des Nachmittags in Oliva auf. Hängender Köpfe die allermeisten und ohne Worte. Müde von leeren Versprechungen wie durch die Ad-hoc-Einberufung mit spontanem Reiseplan. Hin- und hergerissen zwischen ihrer längst auch gesellschaftlichen Rolle als couragierte Vorkämpferinnen der spanischen Frauenbewegung - und den Sorgen um ihre Fußballkarriere.

Verhandlungen bis fünf Uhr morgens

Vor diesem Hintergrund wurde dann gesprochen. Spielerinnen mit Staatssekretär. Spielerinnen mit Verband, wobei dessen Interimschef Rocha nicht mal zugegen war. Staatssekretär mit Verband. Bis fünf Uhr morgens gingen die Unterredungen.

Die danach verkündeten Ergebnisse lassen noch viel Raum für Konkretisierungen. Es soll eine gemeinsame Kommission von Spielerinnen, Verband und Francos’ Sportaufsichtsbehörde CSD gegründet werden, um Reformen voranzutreiben. Und es sollen weitere Köpfe des "Rubialismus" rollen, wobei die Medien - bisher keine offizielle Stelle - hier zuvorderst den Verbandsgeneralsekretär Andreu Camps nennen.

Die umstrittene Trainerin darf bleiben

Das vielleicht Überraschendste: Montse Tomé soll im Amt bleiben - obwohl auch sie gespalten hatte, als sie etwa Hermoso nicht einlud, und gelogen, als sie behauptete, mit den nominierten Spielerinnen über ihre Berufungen gesprochen zu haben. Obwohl sie letztlich eine Groteske verantwortete oder mindestens absegnete, die Francos als "inakzeptabel" und als "Blamage für das gesamte Land" bezeichnete.

Von den Spielerinnen wollten 21 in Oliva bleiben, zwei reisen ab. "Den 21 habe ich für ihre Geste zutiefst gedankt, meiner Auffassung nach ehrt sie das", erklärte Francos im Morgengrauen: "Zwei fühlen sich nicht mit genügend Kraft und Stärke, aber ich möchte, dass es denselben Respekt für die einen wie für die anderen gibt."

Der Politiker war erleichtert, denn gespielt werden wird also wohl am Freitag in Göteborg, nachdem in den Tagen zuvor selbst die Schwedinnen einen Solidaritätsboykott erwogen hatten. Der Weltranglistenerste empfängt den Zweiten, es geht um das Frauen-Debüt der Nations League und die nur zwei europäischen  Olympiatickets, die in ihrem Rahmen vergeben werden. Es hätte ein Fußballfest werden können. Aber die Hälfte der Akteurinnen wird nicht aus freien Stücken spielen.