
Kopfsteinpflaster-Klassiker Paris-Roubaix - Vorteil van der Poel beim epischen Duell mit Pogacar
Bei Paris-Roubaix trifft der Niederländer Mathieu van der Poel am Sonntag erneut auf seinen größten Klassiker-Gegner Tadej Pogacar, der sich erstmals über die 55 Kopfsteinpflaster-Kilometer traut. Die Sportschau hat die Details analysiert, die über den Sieg entscheiden können.
Vordergründig betrachtet ist Paris-Roubaix ein Radrennen, das am zweiten Sonntag im April abgewunken wird und das Teil der World-Tour-Serie ist. Doch diese nüchterne Kategorisierung wird diesem Kopfsteinpflaster-Spektakel nicht gerecht. Paris-Roubaix ist eines der fünf Monumente des Radsports neben Mailand-Sanremo, der Flandern-Rundfahrt, Lüttich-Bastogne-Lüttich und der Lombardei-Rundfahrt, es ist zudem ein Spektakel, "ein Mythos", wie Renndirektor Thierry Gouvenou sagt und wegen seiner Unberechenbarkeit und dem hohen Schwierigkeitsgrad die Königin der Klassiker.
An diesem Sonntag ist es wieder soweit und die Organisatoren um Gouvenou haben schon vor dem Beginn des Rennens einen Erfolg verbuchen können. Denn Tadej Pogacar wird sein Debüt geben, der derzeit wohl aufregendste Fahrer der Gegenwart, stark in jedem Terrain und bei allen Rennen, an denen er teilnimmt, zudem ist er der aktuelle Sieger der Tour de France. Der slowenische Champion Pogacar trifft am Sonntag auf eine Reihe von Favoriten, von denen der formstarke niederländische Vorjahressieger van der Poel der größte von allen ist. Auf den Pavés des Nordens setzt sich somit das epische Duell dieses Frühjahrs zwischen diesen beiden herausragenden Profis um die Vorherrschaft bei den Klassikern fort.
Mailand-Sanremo gewann im März van der Poel, Pogacar wurde an der ligurischen Küste Dritter. Bei der Flandern-Rundfahrt am vergangenen Sonntag gewann Pogacar, dort belegte van der Poel Rang drei. In der Sammlung ihrer Monumente liegt Pogacar derzeit mit 8:7 gegen van der Poel in Führung. Doch was wird am Sonntag passieren? Eine Analyse.

Pogacar (l.) und van der Poel bei der Flandern-Rundfahrt 2025
Die Strecke
Das Rennen geht über eine Distanz von knapp 260 Kilometern, wobei die ersten 96 von Compiègne bis Troisville über gewöhnlichen Asphalt verlaufen. Doch hinter dem Café "Chez Françoise" geht es hinein in den ersten von 30 Kopfsteinpflaster-Sektoren bis zum Ziel, dem Velodrom von Roubaix. 55 Kilometer kommen insgesamt zusammen, eine Tortur für die Fahrer und ihr Material. Die Pavés sind uneben, bisweilen ragen die Spitzen der Steine heraus, auf der Strecke liegen Gräser, Moos und eine Menge Dreck. Kein Problem bei Trockenheit, aber eine unberechenbare Mischung bei Regen.
Pogacar hat die Kopfsteinpflaster-Passagen bereits einmal in der vergangenen Woche befahren, er wird sie wie van der Poel vor dem Rennen erneut aktiv besichtigen. Bei seiner Besichtigung in der Vorwoche stellte Pogacar auf drei Sektoren, unterstützt von einem Moped als Schrittmacher, Passagen-Rekorde auf. Zu bedeuten hat das letztlich nicht viel.
Denn van der Poel kennt den Parcours auch im Rennverlauf, er weiß, mit welchem Tempo das Peloton in die Sektoren hetzt. Vor allem aber gilt er als famoser Beherrscher seiner Maschine in holprigem, unebenem Terrain wie den Hoppel-Passagen vor Roubaix. Van der Poel ist siebenmaliger Cross-Weltmeister, Rekord, und ein Meister des Geländes. Pogacar wiederum ist in der Lage, Tempoverschärfungen auch auf holprigem Untergrund mitzugehen und herbeizuführen, im Februar etwa gewann er bereits den Schotterklassiker Strade Bianche in der Toskana. Doch dort war das Gelände hügelig sowie in den Spitzen sehr steil und somit ideal für den besten Bergfahrer der Gegenwart.
Alles in allem gilt: Vorteil van der Poel.

Das Peloton bei Paris-Roubaix 2024
Fahrertypen
Van der Poel ist schwerer als Pogacar, was im Allgemeinen als Vorteil auf anspruchsvollem Untergrund gilt. Doch Pogacar hat mehrfach bewiesen, dass auch ein leichterer Fahrer wie er dank der enormen Kraft seiner Beine überall einen Unterschied machen kann. Bei Paris-Roubaix jedoch ist er ein Anfänger, und dort kommt es auch auf harte Faktoren wie Risikobereitschaft und breite Schultern bei rasanten Fahrten nebeneinander auf den Pavés an. In diesem Bereich sind kräftige Roubaix-Spezialisten wie van der Poel, Wout van Aert oder Mads Pedersen klar im Vorteil gegenüber Pogacar.
Alles in allem gilt: Vorteil van der Poel.
Das Wetter
Zuletzt herrschten "ideale Bedingungen, der Parcours ist in exzellentem Zustand", sagte Renndirektor Gouvenou bei einer Besichtigung am Dienstag. Die Pflastersteine waren trocken. Doch just für den Sonntag ist ein Wechsel des konstanten, sonnigen Frühlingswetters vorausgesagt. Es soll regnen, "und dann ist alles anders, auf einen Schlag", sagt Gouvenou. Die Sektoren werden glitschig und damit gefährlich, Stürze sind programmiert und damit der Faktor Glück.
Diese Verhältnisse wiederum liebt der Steuerkünstler van der Poel, der seine Cross-Triumphe auf matschigem Untergrund einfuhr. Er ist dank seiner fahrerischen Klasse in der Lage, alle Verhältnisse auf den Pavés am besten von allen Teilnehmern zu überstehen.
Alles in allem gilt: Vorteil van der Poel.

Van der Poel bei Paris-Roubaix 2021
Die Mannschaften
Pogacar hat eine Klassiker-Elite an seiner Seite, tempoharte Männer, die ihren Kapitän bestens durch das Gelände lotsen können wie Tim Wellens, Mikkel Bjerg oder Nils Politt aus Hürth bei Köln. Der ehemalige deutsche Meister war 2019 bereits Zweiter in Roubaix und beendete das Rennen im Vorjahr als Vierter. Er wäre somit selbst in der Lage, das Rennen mitzuprägen, verzichtet aber aus Teamräson darauf. Politt ist die Ersatz-Option für UAE, sollte Pogacar durch einen Sturz oder Defekte ausgebremst werden.
Für van der Poels Team Alpecin-Deceuninck bedeutet das viel Arbeit. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Pogacar seinen Helfer Politt in eine Gruppe schickt, um das Rennen zu animieren und um van der Poel zu verwirren. Doch auch der Niederländer hat herausragende Fahrer an seiner Seite, darunter Jasper Philipsen, der zuletzt zweimal Zweiter in Roubaix wurde und somit gesetzt ist für Plan B des Teams. Hinzu kommen Gianni Vermeersch, der das Rennen vor einem Jahr als Sechster beendete und Silvan Dillier, der Zweite von 2018.
Alles in allem: unentschieden.
Psychologie
Pogacar hat sich zum Ziel gesetzt, alle wichtigen Radrennen der Gegenwart mindestens einmal zu gewinnen. Von den Monumenten fehlen ihm nur noch Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix in seiner Sammlung, deshalb wagt er nun den Ausflug auf die Pavés des Nordens. Der bislang letzte aktuelle Tour-Sieger, der sich das Abenteuer Paris-Roubaix zutraute, war Greg LeMond 1991. Er beendete das Rennen damals auf Rang 55.
Van der Poel wiederum jagt Bestmarken. Bei der Flandern-Rundfahrt verpasste er am vergangenen Sonntag Triumph Nummer vier, damit wäre er alleiniger Rekordhalter dieses Rennens gewesen. Paris-Roubaix gewann er bereits zweimal, hier fehlen ihm noch zwei Siege, um mit den viermaligen belgischen Gewinnern Roger de Vlaeminck und Tom Boonen gleichzuziehen. Das speist van der Poels Motivation.
Alles in allem: unentschieden.

Van der Poel feiert 2024 seinen zweiten Roubaix-Sieg.
Material
Die Ausstattung für Paris-Roubaix spielt eine entscheidende Rolle. Der deutsche Roubaix-Veteran André Greipel erzählt, dass einige Fahrer mit vollaufgepumpten Reifen in Compiègne starten, aber vor den ersten Sektoren auf eine Maschine umsteigen, deren Pneus mit weniger Luft gefüllt sind. Außerdem greifen alle Teilnehmer auf die größtmögliche Mantelbreite zurück, die ihre Rahmen gestatten, das sind mindestens 32 Millimeter. Laut Greipel sind die Canyon-Räder von van der Poels Team leicht im Vorteil, weil der Hersteller wegen der Cross-Erfahrung des Niederländers besondere Komponenten entwickelt habe. Doch auch Pogacars Lieferant Colnago stelle starkes Material. "Aber ist es wahrscheinlich auch egal, auf welchem Rad Pogacar fährt. Er hat bisher sehr viele Theorien mit seiner Fahrweise widerlegt", sagt Greipel.
Alles in allem: unentschieden.
Fazit
Vor allem die Streckenkenntnis, gemischt mit der aktuell herausragenden Form, sprechen für Mathieu van der Poel. Hinzu kommen seine Klarheit auf der Strecke, sein Antizipationsvermögen und seine fahrerische Klasse bei allen Witterungsverhältnissen. Das ist ein Gesamtpaket, das überzeugender wirkt als die Tempohärte von Tadej Pogacar.
Aber Achtung: Paris-Roubaix ist kein normales Radrennen, es ist wegen der vielen Tücken sowie Defekt- und Sturzgefahren unberechenbar.